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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

Bistums Eichstädt und eine Anzahl von kleineren geistlichen Gebieten. Außer¬
dem wurden in den folgenden beiden Jahren sämtliche Gebiete der Reichsritter¬
schaft, die innerhalb der bairischen Grenzen lagen, der Hoheit des Kurfürsten
unterworfen. Die Größe des Landes war damit auf 1074 Quadratmeilen mit
etwa 2.650,000 Einwohnern gewachsen. Eine Reihe von Gebietsaustauschungen
mit dem damals preußischen Ansbach und Baireuth und mit Württemberg, die
hier nicht alle aufgeführt werden können, änderte hieran nichts wesentliches,
diente aber dazu, das Staatsgebiet abzurunden.

Man sieht, beim "Scicularisiren" und "Mediatoren" machte Baiern recht
gute Geschäfte und bewies sich durchaus nicht blöde und zaghaft. Ob die
Länder früher geistlichen oder weltlichen Fürsten gehört hatten, ob es freie
Reichsstädte oder Besitzungen des Neichsadels gewesen waren, spielte dabei gar
keine Rolle: zum Einverleiben waren sie ausnahmslos höchst geeignete Objekte.

Für die Gewaltthat, durch die Maximilian I. Donauwörth an sich brachte,
schützte er wenigstens einen Rechtsanspruch vor (Entschädigung für aufgewandte
Execntiouskosten); die Erwerbung der Oberpfalz durch Waffengewalt war
wenigstens durch das Neichsoberhaupt, deu römischen Kaiser, genehmigt und
bestätigt worden. Beim Reichsdeputations-Hauptschlusse wurden zwar die Ge¬
schädigten auch nicht um ihre Zustimmung gefragt, aber man hatte doch Ge-
bietsvcrluste zu ersetzen. Jedoch für den Länderraub und Landerschacher, den
Baiern in deu nächsten Jahren mit ungeschwächten Kräften, ja man kann sagen,
mit einer gewissen Virtuosität fortsetzte, so lange die Glückssoune Napoleons
strahlte und Napoleons Gunst dem Hause Wittelsbach erhalten blieb, läßt sich
auch nicht eine Spur von Recht anführen, eigentlich nicht einmal das sehr an¬
fechtbare Recht des Stärkeren; denn der Stärkere war nicht Baiern. sondern
Napoleon, der "große Alliirte", und für die Beutestücke, die dieser dem er¬
stem zuwarf als Belohnung für geleistete Schergcndieuste, mußten ungezählte
bairische Landeskinder, ihr Herzblut vergießen, das in jener Zeit strom-
weise für den Dränger und Treiber floß. Nun, die Baiern sind jetzt unsere
guten Freunde und treuen Bundesbrüder, und jenes Unrecht ist längst verjährt.
Aber wenn die zahlreichen Partikularisten innerhalb der blauweißen Grenz¬
pfühle noch hente sogar mit einer Art von tugendhafter Entrüstung über ge¬
wisse kleine Grenzregulirnngeu, sogenannte Annexionen des Jahres 1866
sprechen, so sollten sie doch lieber vorher etwas in den Geschichtsbüchern ihres
Landes studieren.

Das Verhältnis Baierns zu Napoleon in den Jahren von 1805 bis 1812
gleicht ganz dem des Fuchses in der Fabel, der mit dem Löwen gemeinsam auf
Beute ausgeht. Der Friede zu Preßburg brachte dem Lande und der Dynastie
reiche Belohnungen; nicht nur erlangte Max Joseph die heißersehnte Königs¬
würde und die völlige Unabhängigkeit vom Reiche, sondern es wurden ihm auch
folgende Lande zu teil: der Hauptteil des Hochstiftes Eichstätt, das Hochstift


Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

Bistums Eichstädt und eine Anzahl von kleineren geistlichen Gebieten. Außer¬
dem wurden in den folgenden beiden Jahren sämtliche Gebiete der Reichsritter¬
schaft, die innerhalb der bairischen Grenzen lagen, der Hoheit des Kurfürsten
unterworfen. Die Größe des Landes war damit auf 1074 Quadratmeilen mit
etwa 2.650,000 Einwohnern gewachsen. Eine Reihe von Gebietsaustauschungen
mit dem damals preußischen Ansbach und Baireuth und mit Württemberg, die
hier nicht alle aufgeführt werden können, änderte hieran nichts wesentliches,
diente aber dazu, das Staatsgebiet abzurunden.

Man sieht, beim „Scicularisiren" und „Mediatoren" machte Baiern recht
gute Geschäfte und bewies sich durchaus nicht blöde und zaghaft. Ob die
Länder früher geistlichen oder weltlichen Fürsten gehört hatten, ob es freie
Reichsstädte oder Besitzungen des Neichsadels gewesen waren, spielte dabei gar
keine Rolle: zum Einverleiben waren sie ausnahmslos höchst geeignete Objekte.

Für die Gewaltthat, durch die Maximilian I. Donauwörth an sich brachte,
schützte er wenigstens einen Rechtsanspruch vor (Entschädigung für aufgewandte
Execntiouskosten); die Erwerbung der Oberpfalz durch Waffengewalt war
wenigstens durch das Neichsoberhaupt, deu römischen Kaiser, genehmigt und
bestätigt worden. Beim Reichsdeputations-Hauptschlusse wurden zwar die Ge¬
schädigten auch nicht um ihre Zustimmung gefragt, aber man hatte doch Ge-
bietsvcrluste zu ersetzen. Jedoch für den Länderraub und Landerschacher, den
Baiern in deu nächsten Jahren mit ungeschwächten Kräften, ja man kann sagen,
mit einer gewissen Virtuosität fortsetzte, so lange die Glückssoune Napoleons
strahlte und Napoleons Gunst dem Hause Wittelsbach erhalten blieb, läßt sich
auch nicht eine Spur von Recht anführen, eigentlich nicht einmal das sehr an¬
fechtbare Recht des Stärkeren; denn der Stärkere war nicht Baiern. sondern
Napoleon, der „große Alliirte", und für die Beutestücke, die dieser dem er¬
stem zuwarf als Belohnung für geleistete Schergcndieuste, mußten ungezählte
bairische Landeskinder, ihr Herzblut vergießen, das in jener Zeit strom-
weise für den Dränger und Treiber floß. Nun, die Baiern sind jetzt unsere
guten Freunde und treuen Bundesbrüder, und jenes Unrecht ist längst verjährt.
Aber wenn die zahlreichen Partikularisten innerhalb der blauweißen Grenz¬
pfühle noch hente sogar mit einer Art von tugendhafter Entrüstung über ge¬
wisse kleine Grenzregulirnngeu, sogenannte Annexionen des Jahres 1866
sprechen, so sollten sie doch lieber vorher etwas in den Geschichtsbüchern ihres
Landes studieren.

Das Verhältnis Baierns zu Napoleon in den Jahren von 1805 bis 1812
gleicht ganz dem des Fuchses in der Fabel, der mit dem Löwen gemeinsam auf
Beute ausgeht. Der Friede zu Preßburg brachte dem Lande und der Dynastie
reiche Belohnungen; nicht nur erlangte Max Joseph die heißersehnte Königs¬
würde und die völlige Unabhängigkeit vom Reiche, sondern es wurden ihm auch
folgende Lande zu teil: der Hauptteil des Hochstiftes Eichstätt, das Hochstift


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[0315] Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands. Bistums Eichstädt und eine Anzahl von kleineren geistlichen Gebieten. Außer¬ dem wurden in den folgenden beiden Jahren sämtliche Gebiete der Reichsritter¬ schaft, die innerhalb der bairischen Grenzen lagen, der Hoheit des Kurfürsten unterworfen. Die Größe des Landes war damit auf 1074 Quadratmeilen mit etwa 2.650,000 Einwohnern gewachsen. Eine Reihe von Gebietsaustauschungen mit dem damals preußischen Ansbach und Baireuth und mit Württemberg, die hier nicht alle aufgeführt werden können, änderte hieran nichts wesentliches, diente aber dazu, das Staatsgebiet abzurunden. Man sieht, beim „Scicularisiren" und „Mediatoren" machte Baiern recht gute Geschäfte und bewies sich durchaus nicht blöde und zaghaft. Ob die Länder früher geistlichen oder weltlichen Fürsten gehört hatten, ob es freie Reichsstädte oder Besitzungen des Neichsadels gewesen waren, spielte dabei gar keine Rolle: zum Einverleiben waren sie ausnahmslos höchst geeignete Objekte. Für die Gewaltthat, durch die Maximilian I. Donauwörth an sich brachte, schützte er wenigstens einen Rechtsanspruch vor (Entschädigung für aufgewandte Execntiouskosten); die Erwerbung der Oberpfalz durch Waffengewalt war wenigstens durch das Neichsoberhaupt, deu römischen Kaiser, genehmigt und bestätigt worden. Beim Reichsdeputations-Hauptschlusse wurden zwar die Ge¬ schädigten auch nicht um ihre Zustimmung gefragt, aber man hatte doch Ge- bietsvcrluste zu ersetzen. Jedoch für den Länderraub und Landerschacher, den Baiern in deu nächsten Jahren mit ungeschwächten Kräften, ja man kann sagen, mit einer gewissen Virtuosität fortsetzte, so lange die Glückssoune Napoleons strahlte und Napoleons Gunst dem Hause Wittelsbach erhalten blieb, läßt sich auch nicht eine Spur von Recht anführen, eigentlich nicht einmal das sehr an¬ fechtbare Recht des Stärkeren; denn der Stärkere war nicht Baiern. sondern Napoleon, der „große Alliirte", und für die Beutestücke, die dieser dem er¬ stem zuwarf als Belohnung für geleistete Schergcndieuste, mußten ungezählte bairische Landeskinder, ihr Herzblut vergießen, das in jener Zeit strom- weise für den Dränger und Treiber floß. Nun, die Baiern sind jetzt unsere guten Freunde und treuen Bundesbrüder, und jenes Unrecht ist längst verjährt. Aber wenn die zahlreichen Partikularisten innerhalb der blauweißen Grenz¬ pfühle noch hente sogar mit einer Art von tugendhafter Entrüstung über ge¬ wisse kleine Grenzregulirnngeu, sogenannte Annexionen des Jahres 1866 sprechen, so sollten sie doch lieber vorher etwas in den Geschichtsbüchern ihres Landes studieren. Das Verhältnis Baierns zu Napoleon in den Jahren von 1805 bis 1812 gleicht ganz dem des Fuchses in der Fabel, der mit dem Löwen gemeinsam auf Beute ausgeht. Der Friede zu Preßburg brachte dem Lande und der Dynastie reiche Belohnungen; nicht nur erlangte Max Joseph die heißersehnte Königs¬ würde und die völlige Unabhängigkeit vom Reiche, sondern es wurden ihm auch folgende Lande zu teil: der Hauptteil des Hochstiftes Eichstätt, das Hochstift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/315>, abgerufen am 04.07.2024.