Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gebietscntwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

Stützung zu verschaffen. Da dieser aber trotzdem feindlich gegen das Kaiser-
geschlecht auftrat, so wurde es ihm durch einen Ncichstagsspvuch wieder entzogen^
aber seinem Schwiegersohne, dem Grafen Wels I., einem Sohne des Grafen
Azzo von Este, der aus einer Nebenlinie des ältern welfischen Hauses herstammte,
übertragen. Dieser gab den minder berühmten väterlichen Namen Este auf und
wurde Stammvater der jüngern welfischen Linie, die später auf den Thronen
von Braunschweig, Hannover und Großbritannien saß, und deren Oberhaupt
heute der hannoversche Prätendent, der Herzog von Cumberland, ist. Unter
den bairischen Welsen ragen hervor die drei Heinriche, der Schwarze, der Stolze
und der Löwe. Ihr folgenschweres Eingreifen in die Geschicke des Vaterlandes
gehört der allgemeinen deutschen Geschichte an. Unter dem letzten mächtigen
Herzoge, der Baiern und Sachsen zugleich besaß, hatte die Macht des Welfen-
geschlcchtes ihren Gipfel erreicht. Der Löwe glänzte unbedingt als zweiter
Stern am Fürsienhimmel des damaligen Deutschlands, ja sein Licht überstrahlte
zeitweilig fast das des ersten Sterns, des gewaltigen Kaisers, Friedrichs des
Rotbarts. Auf keinen deutschen Fürsten passen vielleicht so gut wie auf ihn
die bekannten Verse Schillers aus der Braut von Messina:


Jenen ward der gewaltige Wille
Und die unzerbrechliche Kraft.
Mit der furchtbaren Stärke gerüstet,
Führen sie aus, was den Herzen gelüstet,
FMcu die Erde mit mächtigem Schall;
Aber hinter den großen Höhen
Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall.

Sein in den Jahrbüchern deutscher Geschichte unerhörter Treubruch, sein schwarzer
Verrat an Kaiser und Reich, der die furchtbare Niederlage bei Legnago ver¬
schuldete, führten den Sturz des Welfensürsten und seines Stammes herbei. Der
edelherzige und hochgesinnte Herrscher konnte dem meineidiger Lehnsmanne, der
ihn und das Vaterland so furchtbar geschädigt hatte, wohl das verwirkte Leben
schenken und die verhältnismäßig leichte Strafe der Verbannung über ihn aus¬
sprechen. Aber seine beiden Herzogtümer gingen verloren, und seinen Nach¬
kommen verblieb nur das Erbe seiner Mutter, die Lande Braunschweig und
Lüneburg.

Kein Ereignis der mittelalterlichen Geschichte unsers Vaterlandes, auch
nicht einmal der Untergang des herrlichen Geschlechtes der Staufer, hat einen
so großen und so nachhaltigen Einfluß auf die Gebietsentwicklung der Einzel¬
staaten Deutschlands geübt wie der Sturz Heinrichs des Löwen (1180). Mit
diesem Sturze beginnt die Gebietsgeschichte des heutigen Staates Baiern, die
mit der Geschichte der neuen Dynastie, welche an die Spitze des Landes gestellt
wurde, völlig zusammenfällt, wie das ja bei allen Einzelstaaten Deutschlands
fast ausnahmslos der Fall ist.

An die Stelle des entsetzten Hauses Wels-Este trat das Haus Mittels-


Die Gebietscntwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

Stützung zu verschaffen. Da dieser aber trotzdem feindlich gegen das Kaiser-
geschlecht auftrat, so wurde es ihm durch einen Ncichstagsspvuch wieder entzogen^
aber seinem Schwiegersohne, dem Grafen Wels I., einem Sohne des Grafen
Azzo von Este, der aus einer Nebenlinie des ältern welfischen Hauses herstammte,
übertragen. Dieser gab den minder berühmten väterlichen Namen Este auf und
wurde Stammvater der jüngern welfischen Linie, die später auf den Thronen
von Braunschweig, Hannover und Großbritannien saß, und deren Oberhaupt
heute der hannoversche Prätendent, der Herzog von Cumberland, ist. Unter
den bairischen Welsen ragen hervor die drei Heinriche, der Schwarze, der Stolze
und der Löwe. Ihr folgenschweres Eingreifen in die Geschicke des Vaterlandes
gehört der allgemeinen deutschen Geschichte an. Unter dem letzten mächtigen
Herzoge, der Baiern und Sachsen zugleich besaß, hatte die Macht des Welfen-
geschlcchtes ihren Gipfel erreicht. Der Löwe glänzte unbedingt als zweiter
Stern am Fürsienhimmel des damaligen Deutschlands, ja sein Licht überstrahlte
zeitweilig fast das des ersten Sterns, des gewaltigen Kaisers, Friedrichs des
Rotbarts. Auf keinen deutschen Fürsten passen vielleicht so gut wie auf ihn
die bekannten Verse Schillers aus der Braut von Messina:


Jenen ward der gewaltige Wille
Und die unzerbrechliche Kraft.
Mit der furchtbaren Stärke gerüstet,
Führen sie aus, was den Herzen gelüstet,
FMcu die Erde mit mächtigem Schall;
Aber hinter den großen Höhen
Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall.

Sein in den Jahrbüchern deutscher Geschichte unerhörter Treubruch, sein schwarzer
Verrat an Kaiser und Reich, der die furchtbare Niederlage bei Legnago ver¬
schuldete, führten den Sturz des Welfensürsten und seines Stammes herbei. Der
edelherzige und hochgesinnte Herrscher konnte dem meineidiger Lehnsmanne, der
ihn und das Vaterland so furchtbar geschädigt hatte, wohl das verwirkte Leben
schenken und die verhältnismäßig leichte Strafe der Verbannung über ihn aus¬
sprechen. Aber seine beiden Herzogtümer gingen verloren, und seinen Nach¬
kommen verblieb nur das Erbe seiner Mutter, die Lande Braunschweig und
Lüneburg.

Kein Ereignis der mittelalterlichen Geschichte unsers Vaterlandes, auch
nicht einmal der Untergang des herrlichen Geschlechtes der Staufer, hat einen
so großen und so nachhaltigen Einfluß auf die Gebietsentwicklung der Einzel¬
staaten Deutschlands geübt wie der Sturz Heinrichs des Löwen (1180). Mit
diesem Sturze beginnt die Gebietsgeschichte des heutigen Staates Baiern, die
mit der Geschichte der neuen Dynastie, welche an die Spitze des Landes gestellt
wurde, völlig zusammenfällt, wie das ja bei allen Einzelstaaten Deutschlands
fast ausnahmslos der Fall ist.

An die Stelle des entsetzten Hauses Wels-Este trat das Haus Mittels-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203745"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gebietscntwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> Stützung zu verschaffen. Da dieser aber trotzdem feindlich gegen das Kaiser-<lb/>
geschlecht auftrat, so wurde es ihm durch einen Ncichstagsspvuch wieder entzogen^<lb/>
aber seinem Schwiegersohne, dem Grafen Wels I., einem Sohne des Grafen<lb/>
Azzo von Este, der aus einer Nebenlinie des ältern welfischen Hauses herstammte,<lb/>
übertragen. Dieser gab den minder berühmten väterlichen Namen Este auf und<lb/>
wurde Stammvater der jüngern welfischen Linie, die später auf den Thronen<lb/>
von Braunschweig, Hannover und Großbritannien saß, und deren Oberhaupt<lb/>
heute der hannoversche Prätendent, der Herzog von Cumberland, ist. Unter<lb/>
den bairischen Welsen ragen hervor die drei Heinriche, der Schwarze, der Stolze<lb/>
und der Löwe. Ihr folgenschweres Eingreifen in die Geschicke des Vaterlandes<lb/>
gehört der allgemeinen deutschen Geschichte an. Unter dem letzten mächtigen<lb/>
Herzoge, der Baiern und Sachsen zugleich besaß, hatte die Macht des Welfen-<lb/>
geschlcchtes ihren Gipfel erreicht. Der Löwe glänzte unbedingt als zweiter<lb/>
Stern am Fürsienhimmel des damaligen Deutschlands, ja sein Licht überstrahlte<lb/>
zeitweilig fast das des ersten Sterns, des gewaltigen Kaisers, Friedrichs des<lb/>
Rotbarts. Auf keinen deutschen Fürsten passen vielleicht so gut wie auf ihn<lb/>
die bekannten Verse Schillers aus der Braut von Messina:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_21" type="poem">
              <l> Jenen ward der gewaltige Wille<lb/>
Und die unzerbrechliche Kraft.<lb/>
Mit der furchtbaren Stärke gerüstet,<lb/>
Führen sie aus, was den Herzen gelüstet,<lb/>
FMcu die Erde mit mächtigem Schall;<lb/>
Aber hinter den großen Höhen<lb/>
Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_756"> Sein in den Jahrbüchern deutscher Geschichte unerhörter Treubruch, sein schwarzer<lb/>
Verrat an Kaiser und Reich, der die furchtbare Niederlage bei Legnago ver¬<lb/>
schuldete, führten den Sturz des Welfensürsten und seines Stammes herbei. Der<lb/>
edelherzige und hochgesinnte Herrscher konnte dem meineidiger Lehnsmanne, der<lb/>
ihn und das Vaterland so furchtbar geschädigt hatte, wohl das verwirkte Leben<lb/>
schenken und die verhältnismäßig leichte Strafe der Verbannung über ihn aus¬<lb/>
sprechen. Aber seine beiden Herzogtümer gingen verloren, und seinen Nach¬<lb/>
kommen verblieb nur das Erbe seiner Mutter, die Lande Braunschweig und<lb/>
Lüneburg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_757"> Kein Ereignis der mittelalterlichen Geschichte unsers Vaterlandes, auch<lb/>
nicht einmal der Untergang des herrlichen Geschlechtes der Staufer, hat einen<lb/>
so großen und so nachhaltigen Einfluß auf die Gebietsentwicklung der Einzel¬<lb/>
staaten Deutschlands geübt wie der Sturz Heinrichs des Löwen (1180). Mit<lb/>
diesem Sturze beginnt die Gebietsgeschichte des heutigen Staates Baiern, die<lb/>
mit der Geschichte der neuen Dynastie, welche an die Spitze des Landes gestellt<lb/>
wurde, völlig zusammenfällt, wie das ja bei allen Einzelstaaten Deutschlands<lb/>
fast ausnahmslos der Fall ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758" next="#ID_759"> An die Stelle des entsetzten Hauses Wels-Este trat das Haus Mittels-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Die Gebietscntwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands. Stützung zu verschaffen. Da dieser aber trotzdem feindlich gegen das Kaiser- geschlecht auftrat, so wurde es ihm durch einen Ncichstagsspvuch wieder entzogen^ aber seinem Schwiegersohne, dem Grafen Wels I., einem Sohne des Grafen Azzo von Este, der aus einer Nebenlinie des ältern welfischen Hauses herstammte, übertragen. Dieser gab den minder berühmten väterlichen Namen Este auf und wurde Stammvater der jüngern welfischen Linie, die später auf den Thronen von Braunschweig, Hannover und Großbritannien saß, und deren Oberhaupt heute der hannoversche Prätendent, der Herzog von Cumberland, ist. Unter den bairischen Welsen ragen hervor die drei Heinriche, der Schwarze, der Stolze und der Löwe. Ihr folgenschweres Eingreifen in die Geschicke des Vaterlandes gehört der allgemeinen deutschen Geschichte an. Unter dem letzten mächtigen Herzoge, der Baiern und Sachsen zugleich besaß, hatte die Macht des Welfen- geschlcchtes ihren Gipfel erreicht. Der Löwe glänzte unbedingt als zweiter Stern am Fürsienhimmel des damaligen Deutschlands, ja sein Licht überstrahlte zeitweilig fast das des ersten Sterns, des gewaltigen Kaisers, Friedrichs des Rotbarts. Auf keinen deutschen Fürsten passen vielleicht so gut wie auf ihn die bekannten Verse Schillers aus der Braut von Messina: Jenen ward der gewaltige Wille Und die unzerbrechliche Kraft. Mit der furchtbaren Stärke gerüstet, Führen sie aus, was den Herzen gelüstet, FMcu die Erde mit mächtigem Schall; Aber hinter den großen Höhen Folgt auch der tiefe, der donnernde Fall. Sein in den Jahrbüchern deutscher Geschichte unerhörter Treubruch, sein schwarzer Verrat an Kaiser und Reich, der die furchtbare Niederlage bei Legnago ver¬ schuldete, führten den Sturz des Welfensürsten und seines Stammes herbei. Der edelherzige und hochgesinnte Herrscher konnte dem meineidiger Lehnsmanne, der ihn und das Vaterland so furchtbar geschädigt hatte, wohl das verwirkte Leben schenken und die verhältnismäßig leichte Strafe der Verbannung über ihn aus¬ sprechen. Aber seine beiden Herzogtümer gingen verloren, und seinen Nach¬ kommen verblieb nur das Erbe seiner Mutter, die Lande Braunschweig und Lüneburg. Kein Ereignis der mittelalterlichen Geschichte unsers Vaterlandes, auch nicht einmal der Untergang des herrlichen Geschlechtes der Staufer, hat einen so großen und so nachhaltigen Einfluß auf die Gebietsentwicklung der Einzel¬ staaten Deutschlands geübt wie der Sturz Heinrichs des Löwen (1180). Mit diesem Sturze beginnt die Gebietsgeschichte des heutigen Staates Baiern, die mit der Geschichte der neuen Dynastie, welche an die Spitze des Landes gestellt wurde, völlig zusammenfällt, wie das ja bei allen Einzelstaaten Deutschlands fast ausnahmslos der Fall ist. An die Stelle des entsetzten Hauses Wels-Este trat das Haus Mittels-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/310>, abgerufen am 23.06.2024.