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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Llsaß-Tothringen und die Paßverordnung.

doch spätestens im September aufgestellt hat, beweist, daß der Rückgang sich
in Folge der allgemeinen politischen Verhältnisse und namentlich in Folge der
rohen Behandlung Deutscher in Frankreich schon lange vor dem 1. Juni fühl¬
bar gemacht hat. Früher z. B. waren Ausflüge nach Nancy, Belfort u. s. w.
beliebte Vergnügungsfahrten der Offiziere des 15. Armeekorps, bereits seit meh¬
reren Jahren mußten diese in aller Form streng untersagt werden. Für den
Rückgang im Personenverkehr entschädigt die Zunahme im Güterverkehr um
2 Millionen Mark hinlänglich und beweist, daß die "wirtschaftliche Störung"
jedenfalls nicht sehr erheblich sein kann. Wir werden fpüter darauf zurück¬
kommen. Was die Beamten anlangt, so scheint ihnen so manches als Ungeschickt-
heit ausgelegt worden zu sein, was im Grunde genommen nur die strenge Aus¬
übung ihrer gebotenen Pflicht war. Auf eine laxe Handhebung einer derartigen An¬
ordnung konnte doch, wenn die Anordnung irgend von Wirkung sein und ihren
Zweck auch nur annähernd erreichen sollte, überhaupt nicht gerechnet werden. Es
soll zugegeben werden, daß das Polizeimaterial, welches der Verwaltung in Elsaß-
Lothringen zu Gebote steht, nicht immer das erwünschte ist. Die Polizei, so
wichtig auch gerade in diesem Grenzlande ihre Aufgabe ist, war bis zum
vorigen Jahre ein wenig gepflegter Zweig des öffentlichen Dienstes, die Krisis
von 1887 legte die bereits vom vorigen Statthalter erkannte Notwendigkeit
einer gründlichen Verbesserung unabweislich dar. Seitdem sind diese Dinge in
festere Hände genommen, hoffentlich mit besserem Erfolg.

Was durch den Paßzwang getroffen wurde, waren weit weniger die wirt¬
schaftlichen, als die persönlichen Beziehungen, d. h. der gemütliche Verkehr,
deu die Franzosen und die französischen Elsaß-Lothringer bis dahin nach
dem Reichslande unterhalten hatten. Man kam oder ging, als hätte das Jahr
1870 gar keine Veränderung gebracht. In Straßburg und Metz erschienen
täglich, gemeldet und nicht gemeldet, französische Offiziere in nicht immer ge¬
ringer Zahl, auf Urlaub; sie bewegten sich als Mitglieder oder Gäste franzö¬
sischer und elsässischer Jagdgesellschaften ungenirt im Lande; die Sommerfrischen
in den Vogesen waren von französischen Gästen vollständig besetzt. Zu dieser
schwerlich erwünschten Gesellschaft gesellten sich dann noch die Optanten oder
solche, die es verstanden hatten, sich auf irgend eine Weise der deutschen Mi¬
litärpflicht zu entziehen und nun diejenigen verhöhnten, welche den deutschen
Waffenrock trugen oder getragen hatten. Dazu dann noch ein ganzes Netz von
Agenten aller Art, oornrms voz^Fönrs in Waaren und in Politik. Alle diese
Besucher sind durch den Paßzwang und die wesentlich verschärfte Fremdenaufsicht
getroffen worden; sie sollten aber auch getroffen werden, es war die höchste
Zeit. Viele Familienbeziehungen, das kann nicht bestritten werden, sind dadurch
in hohem Grade erschwert worden. Söhne elsässischer und lothringischer Familien,
die im französischen Heere dienen, können nicht mehr beliebig nach Hause auf
Urlaub kommen, auch sonst werden die jungen Leute beiderlei Geschlechts, welche


Llsaß-Tothringen und die Paßverordnung.

doch spätestens im September aufgestellt hat, beweist, daß der Rückgang sich
in Folge der allgemeinen politischen Verhältnisse und namentlich in Folge der
rohen Behandlung Deutscher in Frankreich schon lange vor dem 1. Juni fühl¬
bar gemacht hat. Früher z. B. waren Ausflüge nach Nancy, Belfort u. s. w.
beliebte Vergnügungsfahrten der Offiziere des 15. Armeekorps, bereits seit meh¬
reren Jahren mußten diese in aller Form streng untersagt werden. Für den
Rückgang im Personenverkehr entschädigt die Zunahme im Güterverkehr um
2 Millionen Mark hinlänglich und beweist, daß die „wirtschaftliche Störung"
jedenfalls nicht sehr erheblich sein kann. Wir werden fpüter darauf zurück¬
kommen. Was die Beamten anlangt, so scheint ihnen so manches als Ungeschickt-
heit ausgelegt worden zu sein, was im Grunde genommen nur die strenge Aus¬
übung ihrer gebotenen Pflicht war. Auf eine laxe Handhebung einer derartigen An¬
ordnung konnte doch, wenn die Anordnung irgend von Wirkung sein und ihren
Zweck auch nur annähernd erreichen sollte, überhaupt nicht gerechnet werden. Es
soll zugegeben werden, daß das Polizeimaterial, welches der Verwaltung in Elsaß-
Lothringen zu Gebote steht, nicht immer das erwünschte ist. Die Polizei, so
wichtig auch gerade in diesem Grenzlande ihre Aufgabe ist, war bis zum
vorigen Jahre ein wenig gepflegter Zweig des öffentlichen Dienstes, die Krisis
von 1887 legte die bereits vom vorigen Statthalter erkannte Notwendigkeit
einer gründlichen Verbesserung unabweislich dar. Seitdem sind diese Dinge in
festere Hände genommen, hoffentlich mit besserem Erfolg.

Was durch den Paßzwang getroffen wurde, waren weit weniger die wirt¬
schaftlichen, als die persönlichen Beziehungen, d. h. der gemütliche Verkehr,
deu die Franzosen und die französischen Elsaß-Lothringer bis dahin nach
dem Reichslande unterhalten hatten. Man kam oder ging, als hätte das Jahr
1870 gar keine Veränderung gebracht. In Straßburg und Metz erschienen
täglich, gemeldet und nicht gemeldet, französische Offiziere in nicht immer ge¬
ringer Zahl, auf Urlaub; sie bewegten sich als Mitglieder oder Gäste franzö¬
sischer und elsässischer Jagdgesellschaften ungenirt im Lande; die Sommerfrischen
in den Vogesen waren von französischen Gästen vollständig besetzt. Zu dieser
schwerlich erwünschten Gesellschaft gesellten sich dann noch die Optanten oder
solche, die es verstanden hatten, sich auf irgend eine Weise der deutschen Mi¬
litärpflicht zu entziehen und nun diejenigen verhöhnten, welche den deutschen
Waffenrock trugen oder getragen hatten. Dazu dann noch ein ganzes Netz von
Agenten aller Art, oornrms voz^Fönrs in Waaren und in Politik. Alle diese
Besucher sind durch den Paßzwang und die wesentlich verschärfte Fremdenaufsicht
getroffen worden; sie sollten aber auch getroffen werden, es war die höchste
Zeit. Viele Familienbeziehungen, das kann nicht bestritten werden, sind dadurch
in hohem Grade erschwert worden. Söhne elsässischer und lothringischer Familien,
die im französischen Heere dienen, können nicht mehr beliebig nach Hause auf
Urlaub kommen, auch sonst werden die jungen Leute beiderlei Geschlechts, welche


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[0298] Llsaß-Tothringen und die Paßverordnung. doch spätestens im September aufgestellt hat, beweist, daß der Rückgang sich in Folge der allgemeinen politischen Verhältnisse und namentlich in Folge der rohen Behandlung Deutscher in Frankreich schon lange vor dem 1. Juni fühl¬ bar gemacht hat. Früher z. B. waren Ausflüge nach Nancy, Belfort u. s. w. beliebte Vergnügungsfahrten der Offiziere des 15. Armeekorps, bereits seit meh¬ reren Jahren mußten diese in aller Form streng untersagt werden. Für den Rückgang im Personenverkehr entschädigt die Zunahme im Güterverkehr um 2 Millionen Mark hinlänglich und beweist, daß die „wirtschaftliche Störung" jedenfalls nicht sehr erheblich sein kann. Wir werden fpüter darauf zurück¬ kommen. Was die Beamten anlangt, so scheint ihnen so manches als Ungeschickt- heit ausgelegt worden zu sein, was im Grunde genommen nur die strenge Aus¬ übung ihrer gebotenen Pflicht war. Auf eine laxe Handhebung einer derartigen An¬ ordnung konnte doch, wenn die Anordnung irgend von Wirkung sein und ihren Zweck auch nur annähernd erreichen sollte, überhaupt nicht gerechnet werden. Es soll zugegeben werden, daß das Polizeimaterial, welches der Verwaltung in Elsaß- Lothringen zu Gebote steht, nicht immer das erwünschte ist. Die Polizei, so wichtig auch gerade in diesem Grenzlande ihre Aufgabe ist, war bis zum vorigen Jahre ein wenig gepflegter Zweig des öffentlichen Dienstes, die Krisis von 1887 legte die bereits vom vorigen Statthalter erkannte Notwendigkeit einer gründlichen Verbesserung unabweislich dar. Seitdem sind diese Dinge in festere Hände genommen, hoffentlich mit besserem Erfolg. Was durch den Paßzwang getroffen wurde, waren weit weniger die wirt¬ schaftlichen, als die persönlichen Beziehungen, d. h. der gemütliche Verkehr, deu die Franzosen und die französischen Elsaß-Lothringer bis dahin nach dem Reichslande unterhalten hatten. Man kam oder ging, als hätte das Jahr 1870 gar keine Veränderung gebracht. In Straßburg und Metz erschienen täglich, gemeldet und nicht gemeldet, französische Offiziere in nicht immer ge¬ ringer Zahl, auf Urlaub; sie bewegten sich als Mitglieder oder Gäste franzö¬ sischer und elsässischer Jagdgesellschaften ungenirt im Lande; die Sommerfrischen in den Vogesen waren von französischen Gästen vollständig besetzt. Zu dieser schwerlich erwünschten Gesellschaft gesellten sich dann noch die Optanten oder solche, die es verstanden hatten, sich auf irgend eine Weise der deutschen Mi¬ litärpflicht zu entziehen und nun diejenigen verhöhnten, welche den deutschen Waffenrock trugen oder getragen hatten. Dazu dann noch ein ganzes Netz von Agenten aller Art, oornrms voz^Fönrs in Waaren und in Politik. Alle diese Besucher sind durch den Paßzwang und die wesentlich verschärfte Fremdenaufsicht getroffen worden; sie sollten aber auch getroffen werden, es war die höchste Zeit. Viele Familienbeziehungen, das kann nicht bestritten werden, sind dadurch in hohem Grade erschwert worden. Söhne elsässischer und lothringischer Familien, die im französischen Heere dienen, können nicht mehr beliebig nach Hause auf Urlaub kommen, auch sonst werden die jungen Leute beiderlei Geschlechts, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/298>, abgerufen am 22.07.2024.