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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Lostenoble.

den berüchtigten Zensurstücklein, und mit einer erheiternden Auslese derselben
wollen wir diese Auszüge schließen.

Am 23. November 1318: "Zum erstenmale "Tartüffe," Lustspiel in fünf
Akten nach Moliere von Deinhardstein. Ich darf keck behaupten, daß ich gut
gespielt habe, und das hat auch mancher, der Sinn für Wahrheit hat, anerkannt;
aber dennoch konnte ich das Stück nicht heben. Einmal und hauptsächlich war
der Mord des Moliöreschen Meisterwerkes schon dadurch begangen, daß es in
Wien und für Wien bearbeitet werden mußte. Tartüffe durfte kein Geistlicher, kein
Betbruder bleiben; er wurde nur als ein Tngendhcuchler geduldet. Ich fragte:
"Wenn ich nicht als kriechender, demnthcuchelnder Betbruder Tartüffe erscheinen
darf, als was denn sonst?" -- "Als tugendhaft scheinender Mensch," sagte
Deinhardstein. -- Ich fragte: "Ist denn ein tugendhaft scheinender, also ein fromm
scheinender nicht ein Heuchler, der kriecht und weint, wo es zu seinem Ziele
führt?" Darauf wußte weder Korn noch der Bearbeiter etwas Genügendes zu
erwidern." -- Am 10. Juni 1818: "Dienstpflicht. Ein schurkischer Kriegsrat
wird in Wien nicht geduldet." -- Am 25. Januar 1819 berichtet er über die
erste Ausführung des "Nathan" in Wien: "Dieses herrliche Stück wird erbärmlich
verstümmelt auf die Hofbühue gebracht. Um alles Zcnsurwidrige wegzunehmen
mußte der ehemalige Souffleur des Burgtheatcrs, Herr Barliug, die Beschnei¬
dung des weisen Juden übernehmen, und seine Hand war geschickt genug,
alles zu umgehen, was die Aufführung bisher gehindert hatte. Der Haupt¬
schnitt geschah mit dem Märlein der drei Ringe. Saladin darf Nathan nicht
fragen, welcher Glaube ihm am meisten eingeleuchtet hat, der türkische, der
christliche oder der jüdische, sondern mir welche Wahrheit, Lehre und Meinung
ihm die reinste scheine. So gestutzt passirt das Buch sowohl die Zensur der
Polizei, als auch die des Erzbischofs. Der Patriarch war überdies in einen
Großcomthur verwandelt, und der Klosterbruder in einen Diener desselben."
Am 21. Mai 1824: "Kabale und Liebe. Präsident von Walter -- in Wien,
Gott erbarme sich, ein Vizedom! -- war keine meiner schlechtesten Rollen."
Am 8. August 1822: "Es wurde Leseprobe gehalten von einem Drama, welches
unser Reil verfaßt hat. Der Stoff war aus dem Leben des Descartes, weil
aber die Zensur den Namen dieses Philosophen anstößig fand, so mußte der
Verfasser den Namen verändern und Descartes in Tranquillus verwandeln."
Am 9. November 1836: "Die Zensur hat einen Aufsatz in Lamberts "Tele¬
graphen" gestrichen, der vom Wesen der Goldmacherei und von der Kunst, un¬
edle Metalle in edle zu gestalten, handelt. Weil in Wien einst so ein Gold¬
koch gelebt und gewirkt hat, meint die Zensur, das Volk könne durch Lesen
solcher Dinge wieder auf derlei Laboriren geraten. O Vorsorge! Ebenso dumm,
als die Sorge der Sanitätskommission, keine Bäume auf den Gottesäckern zu
gestatten, weil die Ausdünstung der Blätter den Menschen schädlich werden
könnte." Am 8. August 1833: "Das Treiben der Zensur ist wahrhaft greulich;


Karl Ludwig Lostenoble.

den berüchtigten Zensurstücklein, und mit einer erheiternden Auslese derselben
wollen wir diese Auszüge schließen.

Am 23. November 1318: „Zum erstenmale »Tartüffe,« Lustspiel in fünf
Akten nach Moliere von Deinhardstein. Ich darf keck behaupten, daß ich gut
gespielt habe, und das hat auch mancher, der Sinn für Wahrheit hat, anerkannt;
aber dennoch konnte ich das Stück nicht heben. Einmal und hauptsächlich war
der Mord des Moliöreschen Meisterwerkes schon dadurch begangen, daß es in
Wien und für Wien bearbeitet werden mußte. Tartüffe durfte kein Geistlicher, kein
Betbruder bleiben; er wurde nur als ein Tngendhcuchler geduldet. Ich fragte:
»Wenn ich nicht als kriechender, demnthcuchelnder Betbruder Tartüffe erscheinen
darf, als was denn sonst?« — »Als tugendhaft scheinender Mensch,« sagte
Deinhardstein. — Ich fragte: »Ist denn ein tugendhaft scheinender, also ein fromm
scheinender nicht ein Heuchler, der kriecht und weint, wo es zu seinem Ziele
führt?« Darauf wußte weder Korn noch der Bearbeiter etwas Genügendes zu
erwidern." — Am 10. Juni 1818: „Dienstpflicht. Ein schurkischer Kriegsrat
wird in Wien nicht geduldet." — Am 25. Januar 1819 berichtet er über die
erste Ausführung des „Nathan" in Wien: „Dieses herrliche Stück wird erbärmlich
verstümmelt auf die Hofbühue gebracht. Um alles Zcnsurwidrige wegzunehmen
mußte der ehemalige Souffleur des Burgtheatcrs, Herr Barliug, die Beschnei¬
dung des weisen Juden übernehmen, und seine Hand war geschickt genug,
alles zu umgehen, was die Aufführung bisher gehindert hatte. Der Haupt¬
schnitt geschah mit dem Märlein der drei Ringe. Saladin darf Nathan nicht
fragen, welcher Glaube ihm am meisten eingeleuchtet hat, der türkische, der
christliche oder der jüdische, sondern mir welche Wahrheit, Lehre und Meinung
ihm die reinste scheine. So gestutzt passirt das Buch sowohl die Zensur der
Polizei, als auch die des Erzbischofs. Der Patriarch war überdies in einen
Großcomthur verwandelt, und der Klosterbruder in einen Diener desselben."
Am 21. Mai 1824: „Kabale und Liebe. Präsident von Walter — in Wien,
Gott erbarme sich, ein Vizedom! — war keine meiner schlechtesten Rollen."
Am 8. August 1822: „Es wurde Leseprobe gehalten von einem Drama, welches
unser Reil verfaßt hat. Der Stoff war aus dem Leben des Descartes, weil
aber die Zensur den Namen dieses Philosophen anstößig fand, so mußte der
Verfasser den Namen verändern und Descartes in Tranquillus verwandeln."
Am 9. November 1836: „Die Zensur hat einen Aufsatz in Lamberts »Tele¬
graphen« gestrichen, der vom Wesen der Goldmacherei und von der Kunst, un¬
edle Metalle in edle zu gestalten, handelt. Weil in Wien einst so ein Gold¬
koch gelebt und gewirkt hat, meint die Zensur, das Volk könne durch Lesen
solcher Dinge wieder auf derlei Laboriren geraten. O Vorsorge! Ebenso dumm,
als die Sorge der Sanitätskommission, keine Bäume auf den Gottesäckern zu
gestatten, weil die Ausdünstung der Blätter den Menschen schädlich werden
könnte." Am 8. August 1833: „Das Treiben der Zensur ist wahrhaft greulich;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/286>, abgerufen am 30.06.2024.