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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Lostenoble.

Dresdner Hoftheater galt bei den Wienern als ein Jntriguenuest, und die
nachher so berühmt gewordene Julie Rettich war froh, von Dresden nach Wien
zurückkehren zu können.

Aber mehr noch als in litterarischen Dingen haben sich Costenobles Urteile
über Schauspieler bewährt. Sie nehmen natürlich den meisten Raum in den
Tagebüchern ein; denn er berichtet nicht t'loß über das eigene Spiel, sondern
auch über seine Genossen, und für seine Lieblinge enthalten seine Blätter fort¬
laufende Nachrichten, so daß sie in der That für die Geschichte des Burgtheaters
unter Schreyvogels und Deinhardsteins Leitung von großem Werte sind. So
oft ein Gast auftritt oder ein neues Talent sichtbar wird, ist Costenoble auf
dem Platze. Er sagt voraus, daß Wilhelmine Schröder eine große Rolle spielen
wird, nachdem er sie ein- oder zweimal auf der Bühne gesehen hat; er prophe¬
zeit Raimund, der Therese Krones, Fichtner, La Roche die Begeisterung des
Wiener Publikums. Wie für Raimund, so ist auch für Sophie Schröder, für
Anschütz (den größten König Lear), für Löwe und für den jungen, unmittelbar
aus Goethes Schule stammenden La Noche, den Costenoble nicht genug be¬
wundern konnte, das Tagebuch eine fortlaufende Lebensnachricht. Am meisten
aber für Schreyvogel, zu dem Costenoble in aufrichtiger Verehrung aufsah, ohne
deswegen alles, was er that, kritiklos hinzunehmen. Ärgert er sich doch sogar
für seinen geliebten Dramaturgen, wenn dieser im Gefühl seiner schwankend ge¬
wordenen Stellung sich durch Huldigungen gegen die Eitelkeit seiner ersten
Schauspieler zu befestigen suchte.

Es kommt dem Tagebuche zu gute, daß Costenoble als Protestant und
Norddeutscher zunächst fremd in Wien war. Dadurch mutete ihn vieles so
neu an, daß er die Eindrücke eigens verzeichnen mußte und so viele Mitteilungen
gemacht hat, die für die Sittengeschichte Wiens von Interesse sind. So erzählt
er, daß die Gräfin Forgatsch im Bette liegend Besuche anzunehmen pflegte, was
an die Zeiten Ludwigs XIV. in Paris erinnert. Der Kaiser Franz wird sein
besondrer Liebling; wo er eine Anekdote hört, notirt er sie und trachtet den
Wortlaut des Kaisers, der im wienerisch urwüchsigen Dialekt sprach, wiederzu¬
geben. Es war damals Sitte, daß am 3. Oktober zur Feier des kaiserlichen
Namenstage das ganze Burgtheaterpersonal im Festkleide sich auf der Bühne
versammelte und mit dem Publikum die Volkshymne sang. Als Costenoble
dies zum erstenmale mitmachte, war er ganz hingerissen von der Wirkung
und sang aus voller Kehle mit. Auf dem neue" Boden war es für ihn eine
der ersten und wichtigsten Aufgaben, das Wiener Publikum zu studiren, das
sich wesentlich von seinem frühern Hamburger unterschied. Die geistreichen
Bemerkungen, die Costenoble über das Publikum macht, sind ganz besonders
wertvoll, denn grade sie geben das lebendigste Bild der damaligen Welt. Neu
war endlich für Costenoble auch die Wiener Zensur, deren Dummheit und
Rohheit für uns Nachgeborene erstaunlich ist. Zu Hunderten erzählt er von


Karl Ludwig Lostenoble.

Dresdner Hoftheater galt bei den Wienern als ein Jntriguenuest, und die
nachher so berühmt gewordene Julie Rettich war froh, von Dresden nach Wien
zurückkehren zu können.

Aber mehr noch als in litterarischen Dingen haben sich Costenobles Urteile
über Schauspieler bewährt. Sie nehmen natürlich den meisten Raum in den
Tagebüchern ein; denn er berichtet nicht t'loß über das eigene Spiel, sondern
auch über seine Genossen, und für seine Lieblinge enthalten seine Blätter fort¬
laufende Nachrichten, so daß sie in der That für die Geschichte des Burgtheaters
unter Schreyvogels und Deinhardsteins Leitung von großem Werte sind. So
oft ein Gast auftritt oder ein neues Talent sichtbar wird, ist Costenoble auf
dem Platze. Er sagt voraus, daß Wilhelmine Schröder eine große Rolle spielen
wird, nachdem er sie ein- oder zweimal auf der Bühne gesehen hat; er prophe¬
zeit Raimund, der Therese Krones, Fichtner, La Roche die Begeisterung des
Wiener Publikums. Wie für Raimund, so ist auch für Sophie Schröder, für
Anschütz (den größten König Lear), für Löwe und für den jungen, unmittelbar
aus Goethes Schule stammenden La Noche, den Costenoble nicht genug be¬
wundern konnte, das Tagebuch eine fortlaufende Lebensnachricht. Am meisten
aber für Schreyvogel, zu dem Costenoble in aufrichtiger Verehrung aufsah, ohne
deswegen alles, was er that, kritiklos hinzunehmen. Ärgert er sich doch sogar
für seinen geliebten Dramaturgen, wenn dieser im Gefühl seiner schwankend ge¬
wordenen Stellung sich durch Huldigungen gegen die Eitelkeit seiner ersten
Schauspieler zu befestigen suchte.

Es kommt dem Tagebuche zu gute, daß Costenoble als Protestant und
Norddeutscher zunächst fremd in Wien war. Dadurch mutete ihn vieles so
neu an, daß er die Eindrücke eigens verzeichnen mußte und so viele Mitteilungen
gemacht hat, die für die Sittengeschichte Wiens von Interesse sind. So erzählt
er, daß die Gräfin Forgatsch im Bette liegend Besuche anzunehmen pflegte, was
an die Zeiten Ludwigs XIV. in Paris erinnert. Der Kaiser Franz wird sein
besondrer Liebling; wo er eine Anekdote hört, notirt er sie und trachtet den
Wortlaut des Kaisers, der im wienerisch urwüchsigen Dialekt sprach, wiederzu¬
geben. Es war damals Sitte, daß am 3. Oktober zur Feier des kaiserlichen
Namenstage das ganze Burgtheaterpersonal im Festkleide sich auf der Bühne
versammelte und mit dem Publikum die Volkshymne sang. Als Costenoble
dies zum erstenmale mitmachte, war er ganz hingerissen von der Wirkung
und sang aus voller Kehle mit. Auf dem neue» Boden war es für ihn eine
der ersten und wichtigsten Aufgaben, das Wiener Publikum zu studiren, das
sich wesentlich von seinem frühern Hamburger unterschied. Die geistreichen
Bemerkungen, die Costenoble über das Publikum macht, sind ganz besonders
wertvoll, denn grade sie geben das lebendigste Bild der damaligen Welt. Neu
war endlich für Costenoble auch die Wiener Zensur, deren Dummheit und
Rohheit für uns Nachgeborene erstaunlich ist. Zu Hunderten erzählt er von


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/285>, abgerufen am 02.07.2024.