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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Ludwig Costenoble.

Stachel blutend erprobt, zerrissen haben sie ihm das weiche Herz; und bis zu
dem Momente der Unglücksthat, wo der Dämon ihn überwältigte, hat er der
Leiden überwiegend mehr als Genüsse eingeerntet -- der wahre Dichter kann
im Leben eigentlich nicht ganz glücklich sein! --, aber gerade an dem Felsen
so bitterer Erfahrungen ward der edlere Funken in seiner Brust herausge¬
schlagen; gewappnet gegen die Angriffe der Hohlheit ging er aus dem Kampfe
hervor, und weil die Wirklichkeit seinem Ideale nicht entsprach, baute er sich
eine neue Welt im schweigsamen Innern . . . Raimund hat in den Haupt¬
gestalten seiner Schöpfungen immer sich selbst, seine eigne, vielgestaltige, liebens¬
würdige Individualität gegeben: der gemütliche, tiefsinnige Florian, der auf¬
brausende Wurzel mit seiner ergreifenden Umwandlung in das unheimliche
Bild des Aschenmannes, der menschenfeindliche Nappclkopf, dem nur die
glühendste Liebe zu seinesgleichen als Zündstoff dient, die derbkräftige, aber
wahre Ironie des Harfenisten Nachtigall und endlich wieder das nationale
Bild des gemütlichen Tischlers mit der reichsten Mischung von Laune und
Empfindung -- dieser recht eigentlich versinnlichte Humor mit geringen Schat-
tirungen erscheint uns in all den genannten, so verschiedenen Gebilden eine
integrirende Hauptfarbe, eine immer wieder auftauchende Lieblingskinde, die wir
füglich in dem poetischen Naturell Raimunds begründet halten dürfen."

Es sollte aber noch lange dauern, bis Raimund auch in weitern Kreisen
zu jener Anerkennung kam, die Costenoble für ihn beanspruchte; in Deutschland
haben sich Wilibald Alexis und Karl Goedeke am frühesten für ihn begeistert.
In Wien wurde seine Volkstümlichkeit zunächst von einem humoristischen Genie
genau entgegengesetzter Art abgelöst, von Johann Nestroy, dessen Anfänge
Costenoble noch erlebte und wieder in überraschend scharfsichtiger Weise beur¬
teilte. Am 2. Juni 1837 schreibt er: "Mit Kellet seinem litterarischen Freundes
im Theater a. d. Wien, wo man Hopps "Hutmacher und Strumpfwirker" gab.
Wir haben über die kraftvolle Komik des Scholz viel gelacht. Das fadeste,
widersinnigste Zeug erhält im Munde dieses Lustigmachers Würze und erschüttert
das Zwerchfell. Weniger reizte die Spielart Nestroys, so viel Mühe er sich
auch geben mochte. Sein Wesen ist -- ich möchte sagen -- nicht im mindesten
so harmlos-graziös wie Scholz' Eigentümlichkeit und erinnert immer an die¬
jenige Hefe des Pöbels, die in Revolutionsfällen zum Plündern und Tod¬
schlagen bereit ist. Wie komisch Nestroy auch zuweilen wird -- er kann das
Unheimliche nicht verdrängen, welches den Zuhörer beschleicht." Costenobles
Urteil ist nicht ganz gerecht, ja es ist hart: so gemein ist Nestroy nicht; aber
das revolutionäre Element in ihm hat er mit richtigem Gefühl betont, und daß es
den zu dieser Zeit schon achtundsechzigjährigen Burgschauspieler abstieß, der sich
unter Kaiser Franz des Zweiten Regierung ins patriarchalische System unmerklich
eingelebt hatte, war nur natürlich.

Einer der merkwürdigsten Charakterzüge Costenobles, der übrigens ein


Karl Ludwig Costenoble.

Stachel blutend erprobt, zerrissen haben sie ihm das weiche Herz; und bis zu
dem Momente der Unglücksthat, wo der Dämon ihn überwältigte, hat er der
Leiden überwiegend mehr als Genüsse eingeerntet — der wahre Dichter kann
im Leben eigentlich nicht ganz glücklich sein! —, aber gerade an dem Felsen
so bitterer Erfahrungen ward der edlere Funken in seiner Brust herausge¬
schlagen; gewappnet gegen die Angriffe der Hohlheit ging er aus dem Kampfe
hervor, und weil die Wirklichkeit seinem Ideale nicht entsprach, baute er sich
eine neue Welt im schweigsamen Innern . . . Raimund hat in den Haupt¬
gestalten seiner Schöpfungen immer sich selbst, seine eigne, vielgestaltige, liebens¬
würdige Individualität gegeben: der gemütliche, tiefsinnige Florian, der auf¬
brausende Wurzel mit seiner ergreifenden Umwandlung in das unheimliche
Bild des Aschenmannes, der menschenfeindliche Nappclkopf, dem nur die
glühendste Liebe zu seinesgleichen als Zündstoff dient, die derbkräftige, aber
wahre Ironie des Harfenisten Nachtigall und endlich wieder das nationale
Bild des gemütlichen Tischlers mit der reichsten Mischung von Laune und
Empfindung — dieser recht eigentlich versinnlichte Humor mit geringen Schat-
tirungen erscheint uns in all den genannten, so verschiedenen Gebilden eine
integrirende Hauptfarbe, eine immer wieder auftauchende Lieblingskinde, die wir
füglich in dem poetischen Naturell Raimunds begründet halten dürfen."

Es sollte aber noch lange dauern, bis Raimund auch in weitern Kreisen
zu jener Anerkennung kam, die Costenoble für ihn beanspruchte; in Deutschland
haben sich Wilibald Alexis und Karl Goedeke am frühesten für ihn begeistert.
In Wien wurde seine Volkstümlichkeit zunächst von einem humoristischen Genie
genau entgegengesetzter Art abgelöst, von Johann Nestroy, dessen Anfänge
Costenoble noch erlebte und wieder in überraschend scharfsichtiger Weise beur¬
teilte. Am 2. Juni 1837 schreibt er: „Mit Kellet seinem litterarischen Freundes
im Theater a. d. Wien, wo man Hopps »Hutmacher und Strumpfwirker« gab.
Wir haben über die kraftvolle Komik des Scholz viel gelacht. Das fadeste,
widersinnigste Zeug erhält im Munde dieses Lustigmachers Würze und erschüttert
das Zwerchfell. Weniger reizte die Spielart Nestroys, so viel Mühe er sich
auch geben mochte. Sein Wesen ist — ich möchte sagen — nicht im mindesten
so harmlos-graziös wie Scholz' Eigentümlichkeit und erinnert immer an die¬
jenige Hefe des Pöbels, die in Revolutionsfällen zum Plündern und Tod¬
schlagen bereit ist. Wie komisch Nestroy auch zuweilen wird — er kann das
Unheimliche nicht verdrängen, welches den Zuhörer beschleicht." Costenobles
Urteil ist nicht ganz gerecht, ja es ist hart: so gemein ist Nestroy nicht; aber
das revolutionäre Element in ihm hat er mit richtigem Gefühl betont, und daß es
den zu dieser Zeit schon achtundsechzigjährigen Burgschauspieler abstieß, der sich
unter Kaiser Franz des Zweiten Regierung ins patriarchalische System unmerklich
eingelebt hatte, war nur natürlich.

Einer der merkwürdigsten Charakterzüge Costenobles, der übrigens ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/283>, abgerufen am 25.07.2024.