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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Ludwig Costenoble.

dies mehr als einmal hervor; er bewundert den Geist Bauernfelds, tadelt aber
den Mangel an Handlung in seinen Lustspielen. Nach der Aufführung des
"Liebcsprotokolls" schrieb Bauernfeld dem um den Erfolg des Lustspiels am
meisten verdienten Costenoble einen Dankbrief, der mit Genugthuung dem Tage¬
buche einverleibt wurde. Zu Grillparzer dagegen stand Costenoble in kältern,
ja unfreundlichen Beziehungen. Seine Urteile über den jungen Dichter, der sich
scharf zu äußern liebte und überhaupt noch lange nicht der vergrämte Hypo¬
chonder war, als welcher er der Gegenwart vor Augen steht, sind immer von
Hochachtung erfüllt, nicht immer aber zutreffend. Für Castelli, Saphir, Bäuerle
hatte Costenoble die richtige Geringschätzung.

Für keinen einzigen dichtenden Zeitgenossen hatte er sich aber so begeistert
wie sür den Schauspieler Ferdinand Raimund. Es muß ihn wohl ein wahl¬
verwandter Zug zu diesem melancholisch-humoristischen Genius getrieben haben.
Denn von dem ersten Augenblicke der Bekanntschaft mit Raimund bis zu seinem
tragischen Ende verfolgt Costenoble mit begeisterter Teilnahme dessen künst¬
lerische und persönliche Schicksale. Zu einer Zeit, wo Raimund noch mit der
Kälte des Publikums und mit unebenbürtiger, aber eingesessener Nebenbuhlern
zu kämpfen hatte, prophezeite Costenoble die Größe Raimunds, schrieb darüber
ins Tagebuch und schlug sich mit seinen Gegnern im Leben herum. Beide
verband auch gute Freundschaft. Costenoble ist immer glücklich, wenn er mit
Raimund zusammen ist; eine zufällige Straßenbegegnung mit seinem Liebling
findet er zu verzeichnen werth, und als dann die Anerkennung Raimunds immer
weiter um sich greift und sein Meisterwerk "Der Verschwender" Wien begeistert,
da beruft sich Costenoble auf seine Vorhersage und ist stolz auf Raimunds
Erfolge. Von den vielen Todesfällen, die er im Tagebuche verzeichnet, hat ihn
keiner so tief erschüttert, als der Selbstmord seines hypochondrischen Freundes.
Raimund wurde bekanntlich von einem Hunde gebissen, der, wie festgestellt
wurde, gar uicht wutkrank war; Raimund sah sich aber in seiner angsterfüllter
Phantasie schon wasserscheu und jagte sich eine Kugel ins Hirn, um nicht dem
Wahnsinn zu verfallen. Was Costenoble nur von den letzten Umständen Rai¬
munds erfahren konnte, hat er sorgfältig in seinem Tagebuche verzeichnet; am
26. Oktober 1836 hat er sogar eine ausführliche Charakteristik des Viel¬
betrauerten entworfen. Darin heißt es: "Viel ist an Raimund, dem Lebenden,
gemäkelt worden -- der Urteilsspruch der Nachwelt wird auch gewiß uicht ohne
Zusatz von Tadel lauten; allein jede Zeit wird eingestehen, er war eine in¬
teressante, in vielen Beziehungen wichtige Erscheinung; er war ein echtes, tiefes,
warmes, poetisches Gemüt. Unter ungünstigen Verhältnissen ins Dasein ein¬
geführt, riß er sich mit Kampf und Mühe aus der drückenden Atmosphäre
heraus in die reinere Luft des Kunstgebietes, nach dessen Herrlichkeit seine
dürstende Seele lechzte; die jugendliche Phantasie erblickte nur Bilder der
Freude, wo leider der Dornen Übermaß karge Rosen verdeckte. Er hat ihren


Rarl Ludwig Costenoble.

dies mehr als einmal hervor; er bewundert den Geist Bauernfelds, tadelt aber
den Mangel an Handlung in seinen Lustspielen. Nach der Aufführung des
„Liebcsprotokolls" schrieb Bauernfeld dem um den Erfolg des Lustspiels am
meisten verdienten Costenoble einen Dankbrief, der mit Genugthuung dem Tage¬
buche einverleibt wurde. Zu Grillparzer dagegen stand Costenoble in kältern,
ja unfreundlichen Beziehungen. Seine Urteile über den jungen Dichter, der sich
scharf zu äußern liebte und überhaupt noch lange nicht der vergrämte Hypo¬
chonder war, als welcher er der Gegenwart vor Augen steht, sind immer von
Hochachtung erfüllt, nicht immer aber zutreffend. Für Castelli, Saphir, Bäuerle
hatte Costenoble die richtige Geringschätzung.

Für keinen einzigen dichtenden Zeitgenossen hatte er sich aber so begeistert
wie sür den Schauspieler Ferdinand Raimund. Es muß ihn wohl ein wahl¬
verwandter Zug zu diesem melancholisch-humoristischen Genius getrieben haben.
Denn von dem ersten Augenblicke der Bekanntschaft mit Raimund bis zu seinem
tragischen Ende verfolgt Costenoble mit begeisterter Teilnahme dessen künst¬
lerische und persönliche Schicksale. Zu einer Zeit, wo Raimund noch mit der
Kälte des Publikums und mit unebenbürtiger, aber eingesessener Nebenbuhlern
zu kämpfen hatte, prophezeite Costenoble die Größe Raimunds, schrieb darüber
ins Tagebuch und schlug sich mit seinen Gegnern im Leben herum. Beide
verband auch gute Freundschaft. Costenoble ist immer glücklich, wenn er mit
Raimund zusammen ist; eine zufällige Straßenbegegnung mit seinem Liebling
findet er zu verzeichnen werth, und als dann die Anerkennung Raimunds immer
weiter um sich greift und sein Meisterwerk „Der Verschwender" Wien begeistert,
da beruft sich Costenoble auf seine Vorhersage und ist stolz auf Raimunds
Erfolge. Von den vielen Todesfällen, die er im Tagebuche verzeichnet, hat ihn
keiner so tief erschüttert, als der Selbstmord seines hypochondrischen Freundes.
Raimund wurde bekanntlich von einem Hunde gebissen, der, wie festgestellt
wurde, gar uicht wutkrank war; Raimund sah sich aber in seiner angsterfüllter
Phantasie schon wasserscheu und jagte sich eine Kugel ins Hirn, um nicht dem
Wahnsinn zu verfallen. Was Costenoble nur von den letzten Umständen Rai¬
munds erfahren konnte, hat er sorgfältig in seinem Tagebuche verzeichnet; am
26. Oktober 1836 hat er sogar eine ausführliche Charakteristik des Viel¬
betrauerten entworfen. Darin heißt es: „Viel ist an Raimund, dem Lebenden,
gemäkelt worden — der Urteilsspruch der Nachwelt wird auch gewiß uicht ohne
Zusatz von Tadel lauten; allein jede Zeit wird eingestehen, er war eine in¬
teressante, in vielen Beziehungen wichtige Erscheinung; er war ein echtes, tiefes,
warmes, poetisches Gemüt. Unter ungünstigen Verhältnissen ins Dasein ein¬
geführt, riß er sich mit Kampf und Mühe aus der drückenden Atmosphäre
heraus in die reinere Luft des Kunstgebietes, nach dessen Herrlichkeit seine
dürstende Seele lechzte; die jugendliche Phantasie erblickte nur Bilder der
Freude, wo leider der Dornen Übermaß karge Rosen verdeckte. Er hat ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/282>, abgerufen am 06.02.2025.