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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Karl Tudwig Lostenoble.

etwas von dieser Manier, witzelnd Theaterkritik zu betreiben, wird in Wien
heute noch als unumgänglich notwendige Eigenschaft eines Theaterrezensenten
betrachtet. Saphirs aber hatte man sich bald entledigt, und Deinhardstein konnte
nach Belieben mit der besten Kiinstlcrschaft wirtschaften. Ein litterarischer Geist
konnte sich in Wien bei dem Drucke der Zensur Metternichs und Sedlnitzkys nicht
frei entwickeln. Grillparzer und Bauernfeld hatten beide Lust, auszuwandern,
Anastasius Grün wurde nur durch sein Grafentum vor stärkerer Belästigung
bewahrt. So wurde das Publikum Jahrzehnte lang in möglichster Unwissenheit
erhalten. Das Lustspiel allein, und auch nur das harmlos unterhaltende oder
das seine Anzüglichkeiten vorsichtig verhüllende, konnte gedeihen; Nestroy löste
den tief empfindenden Raimund mit seiner alles zersetzenden, galligen und auch
frivolen Parodie ab; die hohe Tragödie fand bei den verweichlichten Wienern
so wenig Anklang, daß "König Lear" schauspielmäßig einen guten Ausgang
annehmen mußte, und selbst der weiche "Correggio" Oehlenschlägers wurde nicht
als Trauerspiel vertragen.

So war es um das Burgtheater, um Wien, seine Litteratur, seine Kritik
und sein Publikum in den zwei Jahrzehnten bestellt, als der Charakterkomiker
Costenoble dort lebte und wirkte. Wie es viele andre Schauspieler, Schröder,
Jffland, Anschütz, zu halten pflegten, so führte auch Costenoble fleißig Tage¬
bücher, in denen er alles verzeichnete, was er erfuhr, erlebte oder dachte. Da er
noch außerdem, wie seine großen Vorbilder Schröder und Jffland, selbst Stücke für
die Bühne schrieb oder einrichtete und übersetzte, so war er der Feder voll¬
kommen mächtig, und er setzte sich gern und regelmäßig an seinen Schreibtisch.

Costenoble hat seine Tagebücher mit der ausdrücklichen Absicht geführt,
daß sie der Nachwelt als geschichtliche Quelle für die Kenntnis seines Lebens
und seiner Zeit dienen möchten. Am 26. Oktober 1836, als er seinen Nekrolog
auf Ferdinand Raimund einleitete, schrieb er: "Indem ich dieses niederschreibe
und immer noch hoffe, daß diese Tagesblätter vielleicht nach meinem Tode nicht
ungelesen und nicht unnütz bleiben dürften, füge ich folgendes bei." Aber erst
mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tode sollte sein Herzenswunsch in Erfüllung
gehen. Ein um die litterarische Geschichte der Stadt Wien höchst verdienter
Gelehrter, der Stadtarchivar Dr. Karl Glossy (der Herausgeber von Ferdinand
Raimunds Werken) hat sich im Verein mit einem jüngern Germanisten, Karl
Zeidler, der schwierigen Aufgabe unterzogen, die bändereiche Coftenoblesche Hand¬
schrift zu mustern, zu kürzen, auf die wertvollsten Mitteilungen zu beschränken
und so der Öffentlichkeit zu übergeben. Immerhin sind zwei stattliche Bände
entstanden*). Wenn man die Schwierigkeit einer solchen Aufgabe bedenkt, die



") Aus dem Burgtheater 1818 -- 1837. Tagebuchblätter des weil. K. K. Hofschau¬
spielers und Regisseurs Karl Ludwig Costenoble. Mit dem Porträt Costenobles. Zwei
Bände. Wien, Konegen, 1389, / , . v, ^ ^
Karl Tudwig Lostenoble.

etwas von dieser Manier, witzelnd Theaterkritik zu betreiben, wird in Wien
heute noch als unumgänglich notwendige Eigenschaft eines Theaterrezensenten
betrachtet. Saphirs aber hatte man sich bald entledigt, und Deinhardstein konnte
nach Belieben mit der besten Kiinstlcrschaft wirtschaften. Ein litterarischer Geist
konnte sich in Wien bei dem Drucke der Zensur Metternichs und Sedlnitzkys nicht
frei entwickeln. Grillparzer und Bauernfeld hatten beide Lust, auszuwandern,
Anastasius Grün wurde nur durch sein Grafentum vor stärkerer Belästigung
bewahrt. So wurde das Publikum Jahrzehnte lang in möglichster Unwissenheit
erhalten. Das Lustspiel allein, und auch nur das harmlos unterhaltende oder
das seine Anzüglichkeiten vorsichtig verhüllende, konnte gedeihen; Nestroy löste
den tief empfindenden Raimund mit seiner alles zersetzenden, galligen und auch
frivolen Parodie ab; die hohe Tragödie fand bei den verweichlichten Wienern
so wenig Anklang, daß „König Lear" schauspielmäßig einen guten Ausgang
annehmen mußte, und selbst der weiche „Correggio" Oehlenschlägers wurde nicht
als Trauerspiel vertragen.

So war es um das Burgtheater, um Wien, seine Litteratur, seine Kritik
und sein Publikum in den zwei Jahrzehnten bestellt, als der Charakterkomiker
Costenoble dort lebte und wirkte. Wie es viele andre Schauspieler, Schröder,
Jffland, Anschütz, zu halten pflegten, so führte auch Costenoble fleißig Tage¬
bücher, in denen er alles verzeichnete, was er erfuhr, erlebte oder dachte. Da er
noch außerdem, wie seine großen Vorbilder Schröder und Jffland, selbst Stücke für
die Bühne schrieb oder einrichtete und übersetzte, so war er der Feder voll¬
kommen mächtig, und er setzte sich gern und regelmäßig an seinen Schreibtisch.

Costenoble hat seine Tagebücher mit der ausdrücklichen Absicht geführt,
daß sie der Nachwelt als geschichtliche Quelle für die Kenntnis seines Lebens
und seiner Zeit dienen möchten. Am 26. Oktober 1836, als er seinen Nekrolog
auf Ferdinand Raimund einleitete, schrieb er: „Indem ich dieses niederschreibe
und immer noch hoffe, daß diese Tagesblätter vielleicht nach meinem Tode nicht
ungelesen und nicht unnütz bleiben dürften, füge ich folgendes bei." Aber erst
mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tode sollte sein Herzenswunsch in Erfüllung
gehen. Ein um die litterarische Geschichte der Stadt Wien höchst verdienter
Gelehrter, der Stadtarchivar Dr. Karl Glossy (der Herausgeber von Ferdinand
Raimunds Werken) hat sich im Verein mit einem jüngern Germanisten, Karl
Zeidler, der schwierigen Aufgabe unterzogen, die bändereiche Coftenoblesche Hand¬
schrift zu mustern, zu kürzen, auf die wertvollsten Mitteilungen zu beschränken
und so der Öffentlichkeit zu übergeben. Immerhin sind zwei stattliche Bände
entstanden*). Wenn man die Schwierigkeit einer solchen Aufgabe bedenkt, die



») Aus dem Burgtheater 1818 — 1837. Tagebuchblätter des weil. K. K. Hofschau¬
spielers und Regisseurs Karl Ludwig Costenoble. Mit dem Porträt Costenobles. Zwei
Bände. Wien, Konegen, 1389, / , . v, ^ ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/276>, abgerufen am 25.08.2024.