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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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das Emporkommen und Gedeihen des anmutigsten und fruchtbarsten österreichischen
Lustspieldichters, Eduard Bauernfelds, erleben. Gleichzeitig standen Kotzebue,
Raupnch, Jffland in ihrer Blüte. Friedrich Halm hatte 1835 seine erste Dich¬
tung, "Griseldis". mit durchschlagenden Erfolg aufführen lassen. Das Burg¬
theater war auch nach dem Urteile des strengen Immermann der Mittelpunkt aller
ernstern dramatischen Bestrebungen jener vormärzlichen Jahrzehnte Deutschlands.
Es hatte vor allen andern Hofbühnen schon den einen wichtigen Vorzug, daß es
damals die einzige war, an der nicht Oper und Schauspiel zugleich zu gegen¬
seitigem Schaden gepflegt wurden, es war ausschließlich dem gesprochenen Drama
gewidmet. Einer der ausgezeichnetsten Dramaturgen Deutschlands, Schreyvogel,
stand über zwei Jahrzehnte zwar nicht an der Spitze des, wie alle Hofbühnen
damals, von unwissenden Exzellenzen geleiteten Hoftheaters, wohl aber war er
in der bescheidenen Form des Hoftheatersekretärs die treibende Seele desselben.
Er warb die großen Schauspieler für die Burg an, die Anschütz, Löwe, Fichtner,
Wilhelmi, La Noche, Julie Rettich, Sophie Schröder; er hielt durch seine hin¬
gebungsvolle Begeisterung, seine Gerechtigkeit, seine ehrfurchtgebietende litterarische
und künstlerische Einsicht strenge Zucht unter der leichtbeweglichen Künstlerschar,
und sein Geschmack vor allem war ausschlaggebend für die Bildung des Reper¬
toires. Er führte Schiller und Goethe auf der Wiener Bühne ein, brachte auch
Lessings "Nathan" auf die Bretter und befestigte die Schauspieler in derSchröder-
schen Überlieferung, welche Natur und Wahrheit, das charakteristische Spiel als
einziges hohes Ziel dem Künstler hinstellte. 1833 wurde Schreyvogel nach
mehr als zwanzigjähriger Thätigkeit in roher Weise plötzlich seines Dienstes
entlassen und durch den ebenso unkundigen als frivolen Streber und Dichter¬
ling Deinhardstein ersetzt, unter dessen Leitung Costenoble ebenfalls noch einige
Jahre zu spielen hatte.

Die Persönlichkeit des Burgtheaterdirektors war damals für das Gedeihen
der Anstalt noch weit bedeutsamer als gegenwärtig. Denn sowohl Schreyvogel
als auch Deinhardstein waren gleichzeitig Zensoren aller in Wien erscheinenden
Theaterblätter, und beide nahmen gar keinen Anstand, Kritiken, die ihnen un¬
angenehm waren, und mochten sie auch von Tieck herrühren, der damals in
Dresden den theatralischen Kunstpapst spielte, kurzerhand zu unterdrücken. Es
gedieh deshalb in Wien auch keine öffentliche Kritik des Burgtheaters, die
heilsame Mitarbeit der Kritik konnte sich nicht geltend machen. In aus¬
wärtigen Blättern, in Stuttgart oder Leipzig, machten sich die Krittler Luft,
ohne nützen zu können. Der erste, der in Wien den Mut hatte, angreifende
Kritiken zu schreiben und diesen Mut allerdings trotz vielfacher Unterstützung
hoher Herren oft durch Verordnungen der Polizei zu büßen hatte, war der
frivole Witzling M. G. Saphir, der in des nicht minder frivolen Bäuerle
Theaterzeitung in den ersten dreißiger Jahren sehr erfolgreich zum Gaudium
des Wiener Publikums schrieb. Das Publikum ist sich gleich geblieben, denn


das Emporkommen und Gedeihen des anmutigsten und fruchtbarsten österreichischen
Lustspieldichters, Eduard Bauernfelds, erleben. Gleichzeitig standen Kotzebue,
Raupnch, Jffland in ihrer Blüte. Friedrich Halm hatte 1835 seine erste Dich¬
tung, „Griseldis". mit durchschlagenden Erfolg aufführen lassen. Das Burg¬
theater war auch nach dem Urteile des strengen Immermann der Mittelpunkt aller
ernstern dramatischen Bestrebungen jener vormärzlichen Jahrzehnte Deutschlands.
Es hatte vor allen andern Hofbühnen schon den einen wichtigen Vorzug, daß es
damals die einzige war, an der nicht Oper und Schauspiel zugleich zu gegen¬
seitigem Schaden gepflegt wurden, es war ausschließlich dem gesprochenen Drama
gewidmet. Einer der ausgezeichnetsten Dramaturgen Deutschlands, Schreyvogel,
stand über zwei Jahrzehnte zwar nicht an der Spitze des, wie alle Hofbühnen
damals, von unwissenden Exzellenzen geleiteten Hoftheaters, wohl aber war er
in der bescheidenen Form des Hoftheatersekretärs die treibende Seele desselben.
Er warb die großen Schauspieler für die Burg an, die Anschütz, Löwe, Fichtner,
Wilhelmi, La Noche, Julie Rettich, Sophie Schröder; er hielt durch seine hin¬
gebungsvolle Begeisterung, seine Gerechtigkeit, seine ehrfurchtgebietende litterarische
und künstlerische Einsicht strenge Zucht unter der leichtbeweglichen Künstlerschar,
und sein Geschmack vor allem war ausschlaggebend für die Bildung des Reper¬
toires. Er führte Schiller und Goethe auf der Wiener Bühne ein, brachte auch
Lessings „Nathan" auf die Bretter und befestigte die Schauspieler in derSchröder-
schen Überlieferung, welche Natur und Wahrheit, das charakteristische Spiel als
einziges hohes Ziel dem Künstler hinstellte. 1833 wurde Schreyvogel nach
mehr als zwanzigjähriger Thätigkeit in roher Weise plötzlich seines Dienstes
entlassen und durch den ebenso unkundigen als frivolen Streber und Dichter¬
ling Deinhardstein ersetzt, unter dessen Leitung Costenoble ebenfalls noch einige
Jahre zu spielen hatte.

Die Persönlichkeit des Burgtheaterdirektors war damals für das Gedeihen
der Anstalt noch weit bedeutsamer als gegenwärtig. Denn sowohl Schreyvogel
als auch Deinhardstein waren gleichzeitig Zensoren aller in Wien erscheinenden
Theaterblätter, und beide nahmen gar keinen Anstand, Kritiken, die ihnen un¬
angenehm waren, und mochten sie auch von Tieck herrühren, der damals in
Dresden den theatralischen Kunstpapst spielte, kurzerhand zu unterdrücken. Es
gedieh deshalb in Wien auch keine öffentliche Kritik des Burgtheaters, die
heilsame Mitarbeit der Kritik konnte sich nicht geltend machen. In aus¬
wärtigen Blättern, in Stuttgart oder Leipzig, machten sich die Krittler Luft,
ohne nützen zu können. Der erste, der in Wien den Mut hatte, angreifende
Kritiken zu schreiben und diesen Mut allerdings trotz vielfacher Unterstützung
hoher Herren oft durch Verordnungen der Polizei zu büßen hatte, war der
frivole Witzling M. G. Saphir, der in des nicht minder frivolen Bäuerle
Theaterzeitung in den ersten dreißiger Jahren sehr erfolgreich zum Gaudium
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[0275] das Emporkommen und Gedeihen des anmutigsten und fruchtbarsten österreichischen Lustspieldichters, Eduard Bauernfelds, erleben. Gleichzeitig standen Kotzebue, Raupnch, Jffland in ihrer Blüte. Friedrich Halm hatte 1835 seine erste Dich¬ tung, „Griseldis". mit durchschlagenden Erfolg aufführen lassen. Das Burg¬ theater war auch nach dem Urteile des strengen Immermann der Mittelpunkt aller ernstern dramatischen Bestrebungen jener vormärzlichen Jahrzehnte Deutschlands. Es hatte vor allen andern Hofbühnen schon den einen wichtigen Vorzug, daß es damals die einzige war, an der nicht Oper und Schauspiel zugleich zu gegen¬ seitigem Schaden gepflegt wurden, es war ausschließlich dem gesprochenen Drama gewidmet. Einer der ausgezeichnetsten Dramaturgen Deutschlands, Schreyvogel, stand über zwei Jahrzehnte zwar nicht an der Spitze des, wie alle Hofbühnen damals, von unwissenden Exzellenzen geleiteten Hoftheaters, wohl aber war er in der bescheidenen Form des Hoftheatersekretärs die treibende Seele desselben. Er warb die großen Schauspieler für die Burg an, die Anschütz, Löwe, Fichtner, Wilhelmi, La Noche, Julie Rettich, Sophie Schröder; er hielt durch seine hin¬ gebungsvolle Begeisterung, seine Gerechtigkeit, seine ehrfurchtgebietende litterarische und künstlerische Einsicht strenge Zucht unter der leichtbeweglichen Künstlerschar, und sein Geschmack vor allem war ausschlaggebend für die Bildung des Reper¬ toires. Er führte Schiller und Goethe auf der Wiener Bühne ein, brachte auch Lessings „Nathan" auf die Bretter und befestigte die Schauspieler in derSchröder- schen Überlieferung, welche Natur und Wahrheit, das charakteristische Spiel als einziges hohes Ziel dem Künstler hinstellte. 1833 wurde Schreyvogel nach mehr als zwanzigjähriger Thätigkeit in roher Weise plötzlich seines Dienstes entlassen und durch den ebenso unkundigen als frivolen Streber und Dichter¬ ling Deinhardstein ersetzt, unter dessen Leitung Costenoble ebenfalls noch einige Jahre zu spielen hatte. Die Persönlichkeit des Burgtheaterdirektors war damals für das Gedeihen der Anstalt noch weit bedeutsamer als gegenwärtig. Denn sowohl Schreyvogel als auch Deinhardstein waren gleichzeitig Zensoren aller in Wien erscheinenden Theaterblätter, und beide nahmen gar keinen Anstand, Kritiken, die ihnen un¬ angenehm waren, und mochten sie auch von Tieck herrühren, der damals in Dresden den theatralischen Kunstpapst spielte, kurzerhand zu unterdrücken. Es gedieh deshalb in Wien auch keine öffentliche Kritik des Burgtheaters, die heilsame Mitarbeit der Kritik konnte sich nicht geltend machen. In aus¬ wärtigen Blättern, in Stuttgart oder Leipzig, machten sich die Krittler Luft, ohne nützen zu können. Der erste, der in Wien den Mut hatte, angreifende Kritiken zu schreiben und diesen Mut allerdings trotz vielfacher Unterstützung hoher Herren oft durch Verordnungen der Polizei zu büßen hatte, war der frivole Witzling M. G. Saphir, der in des nicht minder frivolen Bäuerle Theaterzeitung in den ersten dreißiger Jahren sehr erfolgreich zum Gaudium des Wiener Publikums schrieb. Das Publikum ist sich gleich geblieben, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/275>, abgerufen am 24.08.2024.