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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Reichsverfassung und Unitarismus.

europäischen Nationen nur noch passiv beteiligt bleiben würde." Um die Existenz
Preußens sowie die des übrigen Deutschlands zu sichern, mußte die Möglichkeit
einer Trennung Preußens von den übrigen reindeutschen Vundesstaaten dem
Auslande gegenüber beseitigt sein. Dieser Gesichtspunkt war maßgebend bei
allem, was nachher geschah, um durch Begründung einer nationalen Verfassung
ein festes, unlösbares Band um alle Glieder des einen Volkes zu schlingen.
Die Thronrede, mit der der König von Preußen bei Eröffnung des Reichs¬
tages des norddeutschen Bundes am 24. Februar 1867 den der Volksvertretung
vorzulegenden Verfassungsentwurf charakterisirte, hat in nüchternen, aber in
ihrer schlichten Einfachheit monumentalen Worten für immer das Prinzip preu¬
ßischer Bundespolitik ausgesprochen. Der König sagte von dem Verfassungs¬
entwurf, "daß die verbündeten Regierungen, im Anschluß an gewohnte frühere
Verhältnisse, sich über eine Anzahl bestimmter und begrenzter, aber thatsächlich
bedeutsamer Einrichtungen verständigt haben, welche ebenso im Bereiche der
unmittelbaren Möglichkeit, wie des zweifellosen Bedürfnisses liegen." Der rein
praktische und dabei möglichst konservative Charakter dieses Programms hat sich
seitdem in der preußischen Bundespolitik keinen Augenblick verläugnet. Es ist
eben nicht blos die Einsicht und der Charakter des leitenden Staatsmannes,
der sich darin ausspricht, sondern der Charakter des preußischen Staates. Fried¬
rich der Große hat in einem Zeitalter, wo alle deutschen Fürsten, denen es
irgend möglich war, nach ausländischen Kronen oder nach Länderbesitz, gleich¬
viel welcher Art, gierig haschten, ruhig und klar gesagt, wenn ein Staat da¬
rauf ausgehe, seine äußere Macht zu mehren, so müsse er zuvor wohl erwägen,
ob solcher Zuwachs, selbst wenn er zu erreichen sei, nicht einen Verlust an
innerer Stärke, also im ganzen eine Schwächung bedeute. Ebenso klar aber hat
auch Fürst Vismarck bei jeder Gelegenheit der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß
das Vertrauen der Bundesgenossen ein Machtkapital Preußens sei, welches durch
keine über sie zu erringenden Vorteile aufgewogen werden könne. Es wäre ein
schlechter Handel, auch vom Standpunkt des Gewinn- und Verlustkontos aus
betrachtet, wenn Preußen irgendwelchen Bestrebungen näher treten wollte, durch
deren Begünstigung es das Vertrauen der ihm treu verbundenen Genossen auch
nur im geringsten verscherzen könnte. Die Politik des "ehrlichen Makkers" ist
immer auch die eines klugen Handelsmannes gewesen. Sollte je Gefahr drohen,
daß sie dem Hause, das er mit so unvergleichlichen Erfolge vertritt, ab¬
handen käme, die Erfahrung würde bald dafür sorgen, daß auf die erprobten
Wege zurttckgelenkt wird. Übrigens läuft der Wagen des preußischen Staates
in so tiefen und sichern Gleisen, daß ein Verlassen derselben kaum unter die
Möglichkeiten zu rechnen ist. Mit voller Sicherheit ist anzunehmen, daß das
Irrlicht unitarischer Zukunftsgestaltung niemals eine solche Folge haben wird.

Doch gehen wir nicht zu weit? Indem wir erweisen, daß der Unitaris¬
mus im Reiche keine Stelle hat, noch haben darf, indem wir der Vundestreue


Grenzboten IV. 1833. 32
Reichsverfassung und Unitarismus.

europäischen Nationen nur noch passiv beteiligt bleiben würde." Um die Existenz
Preußens sowie die des übrigen Deutschlands zu sichern, mußte die Möglichkeit
einer Trennung Preußens von den übrigen reindeutschen Vundesstaaten dem
Auslande gegenüber beseitigt sein. Dieser Gesichtspunkt war maßgebend bei
allem, was nachher geschah, um durch Begründung einer nationalen Verfassung
ein festes, unlösbares Band um alle Glieder des einen Volkes zu schlingen.
Die Thronrede, mit der der König von Preußen bei Eröffnung des Reichs¬
tages des norddeutschen Bundes am 24. Februar 1867 den der Volksvertretung
vorzulegenden Verfassungsentwurf charakterisirte, hat in nüchternen, aber in
ihrer schlichten Einfachheit monumentalen Worten für immer das Prinzip preu¬
ßischer Bundespolitik ausgesprochen. Der König sagte von dem Verfassungs¬
entwurf, „daß die verbündeten Regierungen, im Anschluß an gewohnte frühere
Verhältnisse, sich über eine Anzahl bestimmter und begrenzter, aber thatsächlich
bedeutsamer Einrichtungen verständigt haben, welche ebenso im Bereiche der
unmittelbaren Möglichkeit, wie des zweifellosen Bedürfnisses liegen." Der rein
praktische und dabei möglichst konservative Charakter dieses Programms hat sich
seitdem in der preußischen Bundespolitik keinen Augenblick verläugnet. Es ist
eben nicht blos die Einsicht und der Charakter des leitenden Staatsmannes,
der sich darin ausspricht, sondern der Charakter des preußischen Staates. Fried¬
rich der Große hat in einem Zeitalter, wo alle deutschen Fürsten, denen es
irgend möglich war, nach ausländischen Kronen oder nach Länderbesitz, gleich¬
viel welcher Art, gierig haschten, ruhig und klar gesagt, wenn ein Staat da¬
rauf ausgehe, seine äußere Macht zu mehren, so müsse er zuvor wohl erwägen,
ob solcher Zuwachs, selbst wenn er zu erreichen sei, nicht einen Verlust an
innerer Stärke, also im ganzen eine Schwächung bedeute. Ebenso klar aber hat
auch Fürst Vismarck bei jeder Gelegenheit der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß
das Vertrauen der Bundesgenossen ein Machtkapital Preußens sei, welches durch
keine über sie zu erringenden Vorteile aufgewogen werden könne. Es wäre ein
schlechter Handel, auch vom Standpunkt des Gewinn- und Verlustkontos aus
betrachtet, wenn Preußen irgendwelchen Bestrebungen näher treten wollte, durch
deren Begünstigung es das Vertrauen der ihm treu verbundenen Genossen auch
nur im geringsten verscherzen könnte. Die Politik des „ehrlichen Makkers" ist
immer auch die eines klugen Handelsmannes gewesen. Sollte je Gefahr drohen,
daß sie dem Hause, das er mit so unvergleichlichen Erfolge vertritt, ab¬
handen käme, die Erfahrung würde bald dafür sorgen, daß auf die erprobten
Wege zurttckgelenkt wird. Übrigens läuft der Wagen des preußischen Staates
in so tiefen und sichern Gleisen, daß ein Verlassen derselben kaum unter die
Möglichkeiten zu rechnen ist. Mit voller Sicherheit ist anzunehmen, daß das
Irrlicht unitarischer Zukunftsgestaltung niemals eine solche Folge haben wird.

Doch gehen wir nicht zu weit? Indem wir erweisen, daß der Unitaris¬
mus im Reiche keine Stelle hat, noch haben darf, indem wir der Vundestreue


Grenzboten IV. 1833. 32
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[0257] Reichsverfassung und Unitarismus. europäischen Nationen nur noch passiv beteiligt bleiben würde." Um die Existenz Preußens sowie die des übrigen Deutschlands zu sichern, mußte die Möglichkeit einer Trennung Preußens von den übrigen reindeutschen Vundesstaaten dem Auslande gegenüber beseitigt sein. Dieser Gesichtspunkt war maßgebend bei allem, was nachher geschah, um durch Begründung einer nationalen Verfassung ein festes, unlösbares Band um alle Glieder des einen Volkes zu schlingen. Die Thronrede, mit der der König von Preußen bei Eröffnung des Reichs¬ tages des norddeutschen Bundes am 24. Februar 1867 den der Volksvertretung vorzulegenden Verfassungsentwurf charakterisirte, hat in nüchternen, aber in ihrer schlichten Einfachheit monumentalen Worten für immer das Prinzip preu¬ ßischer Bundespolitik ausgesprochen. Der König sagte von dem Verfassungs¬ entwurf, „daß die verbündeten Regierungen, im Anschluß an gewohnte frühere Verhältnisse, sich über eine Anzahl bestimmter und begrenzter, aber thatsächlich bedeutsamer Einrichtungen verständigt haben, welche ebenso im Bereiche der unmittelbaren Möglichkeit, wie des zweifellosen Bedürfnisses liegen." Der rein praktische und dabei möglichst konservative Charakter dieses Programms hat sich seitdem in der preußischen Bundespolitik keinen Augenblick verläugnet. Es ist eben nicht blos die Einsicht und der Charakter des leitenden Staatsmannes, der sich darin ausspricht, sondern der Charakter des preußischen Staates. Fried¬ rich der Große hat in einem Zeitalter, wo alle deutschen Fürsten, denen es irgend möglich war, nach ausländischen Kronen oder nach Länderbesitz, gleich¬ viel welcher Art, gierig haschten, ruhig und klar gesagt, wenn ein Staat da¬ rauf ausgehe, seine äußere Macht zu mehren, so müsse er zuvor wohl erwägen, ob solcher Zuwachs, selbst wenn er zu erreichen sei, nicht einen Verlust an innerer Stärke, also im ganzen eine Schwächung bedeute. Ebenso klar aber hat auch Fürst Vismarck bei jeder Gelegenheit der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß das Vertrauen der Bundesgenossen ein Machtkapital Preußens sei, welches durch keine über sie zu erringenden Vorteile aufgewogen werden könne. Es wäre ein schlechter Handel, auch vom Standpunkt des Gewinn- und Verlustkontos aus betrachtet, wenn Preußen irgendwelchen Bestrebungen näher treten wollte, durch deren Begünstigung es das Vertrauen der ihm treu verbundenen Genossen auch nur im geringsten verscherzen könnte. Die Politik des „ehrlichen Makkers" ist immer auch die eines klugen Handelsmannes gewesen. Sollte je Gefahr drohen, daß sie dem Hause, das er mit so unvergleichlichen Erfolge vertritt, ab¬ handen käme, die Erfahrung würde bald dafür sorgen, daß auf die erprobten Wege zurttckgelenkt wird. Übrigens läuft der Wagen des preußischen Staates in so tiefen und sichern Gleisen, daß ein Verlassen derselben kaum unter die Möglichkeiten zu rechnen ist. Mit voller Sicherheit ist anzunehmen, daß das Irrlicht unitarischer Zukunftsgestaltung niemals eine solche Folge haben wird. Doch gehen wir nicht zu weit? Indem wir erweisen, daß der Unitaris¬ mus im Reiche keine Stelle hat, noch haben darf, indem wir der Vundestreue Grenzboten IV. 1833. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/257>, abgerufen am 30.06.2024.