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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gclnetsentwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

Österreich ganz aus Deutschland ausscheiden mußte, so wurde dieses Ausscheiden
nicht etwa durch die willkürliche Politik eines einzelnen Staates, nicht durch
die wenn auch uoch so feinen Berechnungen eines Staatsmannes, nicht durch
die glänzenden Waffenerfolge Preußens im Jahre 1866 allein herbeigeführt
sondern es war wesentlich mit eine Folge der Gebietsentwicklung des Kaiser¬
staates. Die Lösung des Bandes, welches diesen Staat mit dem übrigen Deutsch¬
land verband, war ja schließlich eine gewaltsame; aber man darf wohl mit Recht
sagen, Österreich wäre niemals mit Gewalt aus Deutschland hinausgedrängt
worden, wenn es nicht schon vorher in Bezug auf sein Gebiet mehr oder weniger
aus Deutschland "hinausgewachsen" gewesen wäre, wie es H. v. Treitschke sehr
treffend bezeichnet.

Alle auch nur einigermaßen bedeutenden übrigen Fürstenhäuser Deutschlands
haben in gleicher Weise darnach gestrebt, ihre Länder zu vergrößern und die
durch solche Vergrößerungen erlangte Machterwciterung dann zu benutzen, um
die schwächer" Nachbarn, namentlich die teuern Vettern, in eine möglichst
große Abhängigkeit von sich zu bringen. Der Erfolg war sehr verschieden. Die
glänzendsten Ergebnisse in dieser Beziehung erzielte das Haus Wittelsbach.
Seine Machtstellung war daher eine bedeutende, namentlich in den Zeiten des
Rheinbundes und des Wiener Kongresses. Noch im Jahre 1866, kurz vor
Ausbruch des Krieges, bot Preußen Baiern eine führende Stellung in Süd¬
deutschland an. Von den andern kleinern Dynastien war keine mächtig genug,
eine solche Stellung, uach der doch alle trachteten, auch nur in sehr beschränktem
Maße einzunehmen.

Wenn Preußen allein fähig und imstande war, die Leitung Deutschlands,
die es seit mehr als zwanzig Jahren errungen hat, in seine starke Hand zu
nehmen, so haben natürlich eine Menge Umstände zusammenwirken müssen,
um das herbeizuführen. Von unberechenbarer Wichtigkeit dabei waren die
Persönlichkeiten, die Fürsten, Feldherren, Staatsmänner, die für die Größe
dieses Staates gearbeitet haben; nicht unberücksichtigt dürfen auch die Vorgänge
bleiben, die man als Zufälligkeiten oder als Schickungen der göttlichen Vorsehung
auffassen kann. Aber von ganz besondrer Bedeutung für den Verlauf der
preußischen Geschichte ist die eigentümliche Gebietsentwicklung, welche der Hohen-
zollernstaat in der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Bestehens durchgemacht
hat. Ohne diese hätte Preußen niemals seinen deutschen Beruf erfüllen können.

Es war in Deutschland, besonders in den Mittelstaaten, lange Zeit Gebrauch,
immer nur von den verschiedenen deutschen Stämmen und von ihren berechtigten
Eigentümlichkeiten zu reden. Der letztere Ausdruck findet sich zum erstenmale
amtlich in den von Schloß Babelsberg am 3. Oktober 1866 datirten Besitz¬
ergreifungspatenten, durch die Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt dem
preußischen Staate einverleibt wurden und ist dadurch geradezu ein geflügeltes
Wort geworden. Zu den Zeiten des Rheinbundes und nach den Befreiungs-


Grenzbotcn IV. 1888. 3
Die Gclnetsentwicklnng der Ginzelstaaten Deutschlands.

Österreich ganz aus Deutschland ausscheiden mußte, so wurde dieses Ausscheiden
nicht etwa durch die willkürliche Politik eines einzelnen Staates, nicht durch
die wenn auch uoch so feinen Berechnungen eines Staatsmannes, nicht durch
die glänzenden Waffenerfolge Preußens im Jahre 1866 allein herbeigeführt
sondern es war wesentlich mit eine Folge der Gebietsentwicklung des Kaiser¬
staates. Die Lösung des Bandes, welches diesen Staat mit dem übrigen Deutsch¬
land verband, war ja schließlich eine gewaltsame; aber man darf wohl mit Recht
sagen, Österreich wäre niemals mit Gewalt aus Deutschland hinausgedrängt
worden, wenn es nicht schon vorher in Bezug auf sein Gebiet mehr oder weniger
aus Deutschland „hinausgewachsen" gewesen wäre, wie es H. v. Treitschke sehr
treffend bezeichnet.

Alle auch nur einigermaßen bedeutenden übrigen Fürstenhäuser Deutschlands
haben in gleicher Weise darnach gestrebt, ihre Länder zu vergrößern und die
durch solche Vergrößerungen erlangte Machterwciterung dann zu benutzen, um
die schwächer» Nachbarn, namentlich die teuern Vettern, in eine möglichst
große Abhängigkeit von sich zu bringen. Der Erfolg war sehr verschieden. Die
glänzendsten Ergebnisse in dieser Beziehung erzielte das Haus Wittelsbach.
Seine Machtstellung war daher eine bedeutende, namentlich in den Zeiten des
Rheinbundes und des Wiener Kongresses. Noch im Jahre 1866, kurz vor
Ausbruch des Krieges, bot Preußen Baiern eine führende Stellung in Süd¬
deutschland an. Von den andern kleinern Dynastien war keine mächtig genug,
eine solche Stellung, uach der doch alle trachteten, auch nur in sehr beschränktem
Maße einzunehmen.

Wenn Preußen allein fähig und imstande war, die Leitung Deutschlands,
die es seit mehr als zwanzig Jahren errungen hat, in seine starke Hand zu
nehmen, so haben natürlich eine Menge Umstände zusammenwirken müssen,
um das herbeizuführen. Von unberechenbarer Wichtigkeit dabei waren die
Persönlichkeiten, die Fürsten, Feldherren, Staatsmänner, die für die Größe
dieses Staates gearbeitet haben; nicht unberücksichtigt dürfen auch die Vorgänge
bleiben, die man als Zufälligkeiten oder als Schickungen der göttlichen Vorsehung
auffassen kann. Aber von ganz besondrer Bedeutung für den Verlauf der
preußischen Geschichte ist die eigentümliche Gebietsentwicklung, welche der Hohen-
zollernstaat in der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Bestehens durchgemacht
hat. Ohne diese hätte Preußen niemals seinen deutschen Beruf erfüllen können.

Es war in Deutschland, besonders in den Mittelstaaten, lange Zeit Gebrauch,
immer nur von den verschiedenen deutschen Stämmen und von ihren berechtigten
Eigentümlichkeiten zu reden. Der letztere Ausdruck findet sich zum erstenmale
amtlich in den von Schloß Babelsberg am 3. Oktober 1866 datirten Besitz¬
ergreifungspatenten, durch die Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt dem
preußischen Staate einverleibt wurden und ist dadurch geradezu ein geflügeltes
Wort geworden. Zu den Zeiten des Rheinbundes und nach den Befreiungs-


Grenzbotcn IV. 1888. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/25>, abgerufen am 02.07.2024.