Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands.

der Einzelstaaten. auf der Vergrößerung und Verminderung ihres Gebietes be¬
ruht nicht nur wesentlich ihre Macht, die politische Bedeutung, die sie in Fragen
der innerdeutschen und der großen europäischen Politik beanspruchen durften,
sondern diese Gebictscntwicklung hat auch in hervorragendem Maße die Ent¬
scheidung der Frage über die Führerschaft in Deutschland mit herbeigeführt.
Alle nur einigermaßen mächtigen Fürstenhäuser haben darnach gestrebt, diese
Führerschaft in einem möglichst großen Teile unsers Vaterlandes an sich zu
bringen; manche erlauchten Geschlechter haben in diesen Bestrebungen mehr oder
weniger bedeutende Erfolge zu verzeichnen gehabt. In den Jahrhunderten, die
auf den Sturz der Hohenstaufen, der zugleich den Verfall der Macht des mittel¬
alterlichen Reiches bezeichnete, folgten, geschah das meistens in der Weise, daß
die Kaiser, die man mit Vorliebe aus den kleinen Häusern wühlte, ihre Stellung
benutzten, um sich eine möglichst große Hausmacht zu schaffen, mit der sie dann
auf die schwächern Fürsten einen thunlichst starken Druck ausüben konnten.
Die meisten Kaiser haben jedoch mit dieser Politik weder etwas Bedeutendes,
noch namentlich etwas Dauerndes für ihr Haus und ihre Stammlande erreicht,
so z. V. Adolf von Nassau und Ludwig von Baiern. Zeitweilig blendend waren
die Erfolge dieser Politik bei dem Hause Luxemburg-Böhmen; Ungarn, Böhmen,
Mähren, Schlesien, die Niederlausitz, die Mark Brandenburg und zeitweilig die
Oberpfalz waren in rascher Folge an dieses Haus gefallen. Aber seine Größe
verschwand ebenso schnell wieder, wie sie entstanden war. Einen dauernden
Erfolg bei solchen Bestrebungen hatte nur die zähe Politik des Hauses Habsburg.

Die Habsburger vereinigten nicht nur mit dem Stammbesitze ihres Hauses
fast das ganze Erbe der Lützelburger, mit Ausnahme der Mark Brandenburg,
sondern zweimal waren sogar Fürsten dieses Hauses nahe daran, sich zu wirk¬
lichen Alleinherrschern im Reiche zu macheu. Als Karl V. den schmalkaldischen
Bund niedergeworfen und zersprengt hatte, schien für eine Zeit lang die Selbstän¬
digkeit der Reichsfürsten gebrochen und die Kaisermacht fast unbeschränkt geworden
zu sein. Als Ferdinand II., durch die siegreichen Truppen Wallensteins auf den
Gipfel der Macht erhoben, das Restitntionsedikt erließ, als sein Feldherr die
bekannten Aussprüche that, man müsse den Kurfürsten ihre "Gasthütel" abziehen,
und gleichwie in Spanien und Frankreich nur ein König sei, so solle hinfort
in Germanien auch nur Einer herrschen, da schien dem Hause Habsburg das
große Werk, Deutschland ganz unter sein Szepter zu bringen, gelungen zu sein.

Welche Umstände beide Male diese hochfligenden Pläne scheitern machten,
ist aus der allgemeinen Weltgeschichte bekannt genug. Dennoch war die Stellung,
die das ErzHaus dem Reiche gegenüber erlangt hatte, stark und mächtig genug,
um zu bewirken, daß die Leitung Deutschlands, insoweit von einer solchen bei
einem so schwerfälligen Körper, wie das alte Reich und wie später der
deutsche Bund es war, überhaupt die Rede sein kann, noch mehr als zwei Jahr¬
hunderte lang fast stets in den Händen Österreichs lag. Wenn schließlich jedoch


Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands.

der Einzelstaaten. auf der Vergrößerung und Verminderung ihres Gebietes be¬
ruht nicht nur wesentlich ihre Macht, die politische Bedeutung, die sie in Fragen
der innerdeutschen und der großen europäischen Politik beanspruchen durften,
sondern diese Gebictscntwicklung hat auch in hervorragendem Maße die Ent¬
scheidung der Frage über die Führerschaft in Deutschland mit herbeigeführt.
Alle nur einigermaßen mächtigen Fürstenhäuser haben darnach gestrebt, diese
Führerschaft in einem möglichst großen Teile unsers Vaterlandes an sich zu
bringen; manche erlauchten Geschlechter haben in diesen Bestrebungen mehr oder
weniger bedeutende Erfolge zu verzeichnen gehabt. In den Jahrhunderten, die
auf den Sturz der Hohenstaufen, der zugleich den Verfall der Macht des mittel¬
alterlichen Reiches bezeichnete, folgten, geschah das meistens in der Weise, daß
die Kaiser, die man mit Vorliebe aus den kleinen Häusern wühlte, ihre Stellung
benutzten, um sich eine möglichst große Hausmacht zu schaffen, mit der sie dann
auf die schwächern Fürsten einen thunlichst starken Druck ausüben konnten.
Die meisten Kaiser haben jedoch mit dieser Politik weder etwas Bedeutendes,
noch namentlich etwas Dauerndes für ihr Haus und ihre Stammlande erreicht,
so z. V. Adolf von Nassau und Ludwig von Baiern. Zeitweilig blendend waren
die Erfolge dieser Politik bei dem Hause Luxemburg-Böhmen; Ungarn, Böhmen,
Mähren, Schlesien, die Niederlausitz, die Mark Brandenburg und zeitweilig die
Oberpfalz waren in rascher Folge an dieses Haus gefallen. Aber seine Größe
verschwand ebenso schnell wieder, wie sie entstanden war. Einen dauernden
Erfolg bei solchen Bestrebungen hatte nur die zähe Politik des Hauses Habsburg.

Die Habsburger vereinigten nicht nur mit dem Stammbesitze ihres Hauses
fast das ganze Erbe der Lützelburger, mit Ausnahme der Mark Brandenburg,
sondern zweimal waren sogar Fürsten dieses Hauses nahe daran, sich zu wirk¬
lichen Alleinherrschern im Reiche zu macheu. Als Karl V. den schmalkaldischen
Bund niedergeworfen und zersprengt hatte, schien für eine Zeit lang die Selbstän¬
digkeit der Reichsfürsten gebrochen und die Kaisermacht fast unbeschränkt geworden
zu sein. Als Ferdinand II., durch die siegreichen Truppen Wallensteins auf den
Gipfel der Macht erhoben, das Restitntionsedikt erließ, als sein Feldherr die
bekannten Aussprüche that, man müsse den Kurfürsten ihre „Gasthütel" abziehen,
und gleichwie in Spanien und Frankreich nur ein König sei, so solle hinfort
in Germanien auch nur Einer herrschen, da schien dem Hause Habsburg das
große Werk, Deutschland ganz unter sein Szepter zu bringen, gelungen zu sein.

Welche Umstände beide Male diese hochfligenden Pläne scheitern machten,
ist aus der allgemeinen Weltgeschichte bekannt genug. Dennoch war die Stellung,
die das ErzHaus dem Reiche gegenüber erlangt hatte, stark und mächtig genug,
um zu bewirken, daß die Leitung Deutschlands, insoweit von einer solchen bei
einem so schwerfälligen Körper, wie das alte Reich und wie später der
deutsche Bund es war, überhaupt die Rede sein kann, noch mehr als zwei Jahr¬
hunderte lang fast stets in den Händen Österreichs lag. Wenn schließlich jedoch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203459"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> der Einzelstaaten. auf der Vergrößerung und Verminderung ihres Gebietes be¬<lb/>
ruht nicht nur wesentlich ihre Macht, die politische Bedeutung, die sie in Fragen<lb/>
der innerdeutschen und der großen europäischen Politik beanspruchen durften,<lb/>
sondern diese Gebictscntwicklung hat auch in hervorragendem Maße die Ent¬<lb/>
scheidung der Frage über die Führerschaft in Deutschland mit herbeigeführt.<lb/>
Alle nur einigermaßen mächtigen Fürstenhäuser haben darnach gestrebt, diese<lb/>
Führerschaft in einem möglichst großen Teile unsers Vaterlandes an sich zu<lb/>
bringen; manche erlauchten Geschlechter haben in diesen Bestrebungen mehr oder<lb/>
weniger bedeutende Erfolge zu verzeichnen gehabt. In den Jahrhunderten, die<lb/>
auf den Sturz der Hohenstaufen, der zugleich den Verfall der Macht des mittel¬<lb/>
alterlichen Reiches bezeichnete, folgten, geschah das meistens in der Weise, daß<lb/>
die Kaiser, die man mit Vorliebe aus den kleinen Häusern wühlte, ihre Stellung<lb/>
benutzten, um sich eine möglichst große Hausmacht zu schaffen, mit der sie dann<lb/>
auf die schwächern Fürsten einen thunlichst starken Druck ausüben konnten.<lb/>
Die meisten Kaiser haben jedoch mit dieser Politik weder etwas Bedeutendes,<lb/>
noch namentlich etwas Dauerndes für ihr Haus und ihre Stammlande erreicht,<lb/>
so z. V. Adolf von Nassau und Ludwig von Baiern. Zeitweilig blendend waren<lb/>
die Erfolge dieser Politik bei dem Hause Luxemburg-Böhmen; Ungarn, Böhmen,<lb/>
Mähren, Schlesien, die Niederlausitz, die Mark Brandenburg und zeitweilig die<lb/>
Oberpfalz waren in rascher Folge an dieses Haus gefallen. Aber seine Größe<lb/>
verschwand ebenso schnell wieder, wie sie entstanden war. Einen dauernden<lb/>
Erfolg bei solchen Bestrebungen hatte nur die zähe Politik des Hauses Habsburg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40"> Die Habsburger vereinigten nicht nur mit dem Stammbesitze ihres Hauses<lb/>
fast das ganze Erbe der Lützelburger, mit Ausnahme der Mark Brandenburg,<lb/>
sondern zweimal waren sogar Fürsten dieses Hauses nahe daran, sich zu wirk¬<lb/>
lichen Alleinherrschern im Reiche zu macheu. Als Karl V. den schmalkaldischen<lb/>
Bund niedergeworfen und zersprengt hatte, schien für eine Zeit lang die Selbstän¬<lb/>
digkeit der Reichsfürsten gebrochen und die Kaisermacht fast unbeschränkt geworden<lb/>
zu sein. Als Ferdinand II., durch die siegreichen Truppen Wallensteins auf den<lb/>
Gipfel der Macht erhoben, das Restitntionsedikt erließ, als sein Feldherr die<lb/>
bekannten Aussprüche that, man müsse den Kurfürsten ihre &#x201E;Gasthütel" abziehen,<lb/>
und gleichwie in Spanien und Frankreich nur ein König sei, so solle hinfort<lb/>
in Germanien auch nur Einer herrschen, da schien dem Hause Habsburg das<lb/>
große Werk, Deutschland ganz unter sein Szepter zu bringen, gelungen zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Welche Umstände beide Male diese hochfligenden Pläne scheitern machten,<lb/>
ist aus der allgemeinen Weltgeschichte bekannt genug. Dennoch war die Stellung,<lb/>
die das ErzHaus dem Reiche gegenüber erlangt hatte, stark und mächtig genug,<lb/>
um zu bewirken, daß die Leitung Deutschlands, insoweit von einer solchen bei<lb/>
einem so schwerfälligen Körper, wie das alte Reich und wie später der<lb/>
deutsche Bund es war, überhaupt die Rede sein kann, noch mehr als zwei Jahr¬<lb/>
hunderte lang fast stets in den Händen Österreichs lag. Wenn schließlich jedoch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Die Gebietsentwicklung der Ginzelstaaten Deutschlands. der Einzelstaaten. auf der Vergrößerung und Verminderung ihres Gebietes be¬ ruht nicht nur wesentlich ihre Macht, die politische Bedeutung, die sie in Fragen der innerdeutschen und der großen europäischen Politik beanspruchen durften, sondern diese Gebictscntwicklung hat auch in hervorragendem Maße die Ent¬ scheidung der Frage über die Führerschaft in Deutschland mit herbeigeführt. Alle nur einigermaßen mächtigen Fürstenhäuser haben darnach gestrebt, diese Führerschaft in einem möglichst großen Teile unsers Vaterlandes an sich zu bringen; manche erlauchten Geschlechter haben in diesen Bestrebungen mehr oder weniger bedeutende Erfolge zu verzeichnen gehabt. In den Jahrhunderten, die auf den Sturz der Hohenstaufen, der zugleich den Verfall der Macht des mittel¬ alterlichen Reiches bezeichnete, folgten, geschah das meistens in der Weise, daß die Kaiser, die man mit Vorliebe aus den kleinen Häusern wühlte, ihre Stellung benutzten, um sich eine möglichst große Hausmacht zu schaffen, mit der sie dann auf die schwächern Fürsten einen thunlichst starken Druck ausüben konnten. Die meisten Kaiser haben jedoch mit dieser Politik weder etwas Bedeutendes, noch namentlich etwas Dauerndes für ihr Haus und ihre Stammlande erreicht, so z. V. Adolf von Nassau und Ludwig von Baiern. Zeitweilig blendend waren die Erfolge dieser Politik bei dem Hause Luxemburg-Böhmen; Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlesien, die Niederlausitz, die Mark Brandenburg und zeitweilig die Oberpfalz waren in rascher Folge an dieses Haus gefallen. Aber seine Größe verschwand ebenso schnell wieder, wie sie entstanden war. Einen dauernden Erfolg bei solchen Bestrebungen hatte nur die zähe Politik des Hauses Habsburg. Die Habsburger vereinigten nicht nur mit dem Stammbesitze ihres Hauses fast das ganze Erbe der Lützelburger, mit Ausnahme der Mark Brandenburg, sondern zweimal waren sogar Fürsten dieses Hauses nahe daran, sich zu wirk¬ lichen Alleinherrschern im Reiche zu macheu. Als Karl V. den schmalkaldischen Bund niedergeworfen und zersprengt hatte, schien für eine Zeit lang die Selbstän¬ digkeit der Reichsfürsten gebrochen und die Kaisermacht fast unbeschränkt geworden zu sein. Als Ferdinand II., durch die siegreichen Truppen Wallensteins auf den Gipfel der Macht erhoben, das Restitntionsedikt erließ, als sein Feldherr die bekannten Aussprüche that, man müsse den Kurfürsten ihre „Gasthütel" abziehen, und gleichwie in Spanien und Frankreich nur ein König sei, so solle hinfort in Germanien auch nur Einer herrschen, da schien dem Hause Habsburg das große Werk, Deutschland ganz unter sein Szepter zu bringen, gelungen zu sein. Welche Umstände beide Male diese hochfligenden Pläne scheitern machten, ist aus der allgemeinen Weltgeschichte bekannt genug. Dennoch war die Stellung, die das ErzHaus dem Reiche gegenüber erlangt hatte, stark und mächtig genug, um zu bewirken, daß die Leitung Deutschlands, insoweit von einer solchen bei einem so schwerfälligen Körper, wie das alte Reich und wie später der deutsche Bund es war, überhaupt die Rede sein kann, noch mehr als zwei Jahr¬ hunderte lang fast stets in den Händen Österreichs lag. Wenn schließlich jedoch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/24>, abgerufen am 30.06.2024.