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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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manu schob. Es war kaum Tag, wir begegnete,, nur Arbeitern, vom Frost
blau angelaufenen Gestalten oder Zeitungsträgern, die geschäftig die Morgen¬
blätter unter die Thüren der Häuser schoben. Die Gaslaternen verloschen,
die Straßen, die Seine, die Brücken erschienen mir mitten im Morgennebel finster.
An meinen Bruder geschmiegt, das Herz beengt, von einem unwillkürlichen
Schrecken ergriffen, während wir immerzu dem Karren folgten -- das war
mein Einzug in Paris.

Wenn dus nicht sehr eilig hast, unsre Wohnung zu sehen, gehen wir vor
allem frühstücken, sagte Ernst.

Ach ja -- wir wollen essen!

Buchstäblich starb ich vor Hunger.

O weh, die kleine Kaffeewirtschaft, eine Wirtschaft der Rue Corneille, war
noch nicht geöffnet, wir mußten längere Zeit warten und spazierten, um uns
zu erwärmen, in der Umgebung immer um das Odeon herum, das mir mit
seinem mächtigen Dache, seinem Portikus und seinem tempelartigen Aussehen
gewaltig imponirte.

Endlich öffneten sich die Läden, ein noch halb schlafender Kellner ließ
uns eintreten, während er mit Geräusch seine weiten Pantoffeln schleppte und
wie die Stallknechte brummte, die man auf den Poststationen zum Anschirren
der Pferde aufweckt. Dies Frühstück im Morgengrauen wird nie aus meiner
Erinnerung entschwinden, ich brauche nur die Augen zu schließen, um den kleinen
Saal mit seinen nackten und weißen Mauern und den Kleiderrechen ans dem
Kalkbewurf wiederzusehen, das Kondor mit zusammengerollten Servietten be¬
deckt, die Marmortische ohne Decken, aber von Sauberkeit strahlend. Gläser,
Salzfässer und zahlreiche kleine Karaffen, mit einem Wein, der keine Ver¬
wandtschaft mit Traubensaft hatte, mir aber gut schien, standen schon in Be¬
reitschaft.

Kaffee für drei! befahl der Kellner nach eigner Eingebung, sobald er
unser ansichtig wurde. Und da zu dieser Stunde niemand anders als er im
Saal und in der Küche war, antwortete er sich selbst: Buen! und brachte uns
"Kaffee für drei," das heißt für drei Sous einen wohlschmeckenden, duftigen,
verständig gesüßten Kaffee, der ebenso schnell als die beiden Brötchen verschwand,
die in einem geflochtenen Körbchen aufgetragen wurden.

Wir bestellten dann eine Omelette, weil es für ein Kotelette in der That
noch zu früh war.

Eine Omelette für zwei -- bunt brüllte der Kellner.

Scharf gebacken! rief mein Bruder.

Ich beugte mich gerührt vor der Haltung und den großen Manieren dieses
Sybariten von Bruder, und beim Dessert -- Auge in Auge, die Ellbogen auf
dem Tische -- welche eine Fülle von Geständnissen und Plänen tauschten wir
vor einer Schüssel voll Rosinen und Haselnüssen aus! Der satte Mensch ist


manu schob. Es war kaum Tag, wir begegnete,, nur Arbeitern, vom Frost
blau angelaufenen Gestalten oder Zeitungsträgern, die geschäftig die Morgen¬
blätter unter die Thüren der Häuser schoben. Die Gaslaternen verloschen,
die Straßen, die Seine, die Brücken erschienen mir mitten im Morgennebel finster.
An meinen Bruder geschmiegt, das Herz beengt, von einem unwillkürlichen
Schrecken ergriffen, während wir immerzu dem Karren folgten — das war
mein Einzug in Paris.

Wenn dus nicht sehr eilig hast, unsre Wohnung zu sehen, gehen wir vor
allem frühstücken, sagte Ernst.

Ach ja — wir wollen essen!

Buchstäblich starb ich vor Hunger.

O weh, die kleine Kaffeewirtschaft, eine Wirtschaft der Rue Corneille, war
noch nicht geöffnet, wir mußten längere Zeit warten und spazierten, um uns
zu erwärmen, in der Umgebung immer um das Odeon herum, das mir mit
seinem mächtigen Dache, seinem Portikus und seinem tempelartigen Aussehen
gewaltig imponirte.

Endlich öffneten sich die Läden, ein noch halb schlafender Kellner ließ
uns eintreten, während er mit Geräusch seine weiten Pantoffeln schleppte und
wie die Stallknechte brummte, die man auf den Poststationen zum Anschirren
der Pferde aufweckt. Dies Frühstück im Morgengrauen wird nie aus meiner
Erinnerung entschwinden, ich brauche nur die Augen zu schließen, um den kleinen
Saal mit seinen nackten und weißen Mauern und den Kleiderrechen ans dem
Kalkbewurf wiederzusehen, das Kondor mit zusammengerollten Servietten be¬
deckt, die Marmortische ohne Decken, aber von Sauberkeit strahlend. Gläser,
Salzfässer und zahlreiche kleine Karaffen, mit einem Wein, der keine Ver¬
wandtschaft mit Traubensaft hatte, mir aber gut schien, standen schon in Be¬
reitschaft.

Kaffee für drei! befahl der Kellner nach eigner Eingebung, sobald er
unser ansichtig wurde. Und da zu dieser Stunde niemand anders als er im
Saal und in der Küche war, antwortete er sich selbst: Buen! und brachte uns
„Kaffee für drei," das heißt für drei Sous einen wohlschmeckenden, duftigen,
verständig gesüßten Kaffee, der ebenso schnell als die beiden Brötchen verschwand,
die in einem geflochtenen Körbchen aufgetragen wurden.

Wir bestellten dann eine Omelette, weil es für ein Kotelette in der That
noch zu früh war.

Eine Omelette für zwei — bunt brüllte der Kellner.

Scharf gebacken! rief mein Bruder.

Ich beugte mich gerührt vor der Haltung und den großen Manieren dieses
Sybariten von Bruder, und beim Dessert — Auge in Auge, die Ellbogen auf
dem Tische — welche eine Fülle von Geständnissen und Plänen tauschten wir
vor einer Schüssel voll Rosinen und Haselnüssen aus! Der satte Mensch ist


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[0234] manu schob. Es war kaum Tag, wir begegnete,, nur Arbeitern, vom Frost blau angelaufenen Gestalten oder Zeitungsträgern, die geschäftig die Morgen¬ blätter unter die Thüren der Häuser schoben. Die Gaslaternen verloschen, die Straßen, die Seine, die Brücken erschienen mir mitten im Morgennebel finster. An meinen Bruder geschmiegt, das Herz beengt, von einem unwillkürlichen Schrecken ergriffen, während wir immerzu dem Karren folgten — das war mein Einzug in Paris. Wenn dus nicht sehr eilig hast, unsre Wohnung zu sehen, gehen wir vor allem frühstücken, sagte Ernst. Ach ja — wir wollen essen! Buchstäblich starb ich vor Hunger. O weh, die kleine Kaffeewirtschaft, eine Wirtschaft der Rue Corneille, war noch nicht geöffnet, wir mußten längere Zeit warten und spazierten, um uns zu erwärmen, in der Umgebung immer um das Odeon herum, das mir mit seinem mächtigen Dache, seinem Portikus und seinem tempelartigen Aussehen gewaltig imponirte. Endlich öffneten sich die Läden, ein noch halb schlafender Kellner ließ uns eintreten, während er mit Geräusch seine weiten Pantoffeln schleppte und wie die Stallknechte brummte, die man auf den Poststationen zum Anschirren der Pferde aufweckt. Dies Frühstück im Morgengrauen wird nie aus meiner Erinnerung entschwinden, ich brauche nur die Augen zu schließen, um den kleinen Saal mit seinen nackten und weißen Mauern und den Kleiderrechen ans dem Kalkbewurf wiederzusehen, das Kondor mit zusammengerollten Servietten be¬ deckt, die Marmortische ohne Decken, aber von Sauberkeit strahlend. Gläser, Salzfässer und zahlreiche kleine Karaffen, mit einem Wein, der keine Ver¬ wandtschaft mit Traubensaft hatte, mir aber gut schien, standen schon in Be¬ reitschaft. Kaffee für drei! befahl der Kellner nach eigner Eingebung, sobald er unser ansichtig wurde. Und da zu dieser Stunde niemand anders als er im Saal und in der Küche war, antwortete er sich selbst: Buen! und brachte uns „Kaffee für drei," das heißt für drei Sous einen wohlschmeckenden, duftigen, verständig gesüßten Kaffee, der ebenso schnell als die beiden Brötchen verschwand, die in einem geflochtenen Körbchen aufgetragen wurden. Wir bestellten dann eine Omelette, weil es für ein Kotelette in der That noch zu früh war. Eine Omelette für zwei — bunt brüllte der Kellner. Scharf gebacken! rief mein Bruder. Ich beugte mich gerührt vor der Haltung und den großen Manieren dieses Sybariten von Bruder, und beim Dessert — Auge in Auge, die Ellbogen auf dem Tische — welche eine Fülle von Geständnissen und Plänen tauschten wir vor einer Schüssel voll Rosinen und Haselnüssen aus! Der satte Mensch ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/234>, abgerufen am 30.06.2024.