Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ale Gebietsentwicklung der "Linzelstaaten Deutschlands.

auszustreuen, namentlich aber das deutsch-österreichische Bündnis zu sprengen.
Ob sie mit diesen Versetzungen jemals Erfolg haben werden? So lange ge¬
sunde Vernunft und besonnene Erwägungen, nicht aber blinde Leidenschaften
in beiden Reichen herrschen: niemals! Denn jene Verdächtigungen sind völlig
aus der Luft gegriffen, und solche Bestrebungen würden einer zielbewußter deut¬
schen Nationalpolitik geradezu widersprechen. Die Provinzen, die als deutsche in
Frage kämen, wären etwa Österreich mit Salzburg, Tirol zu etwa zwei Dritteln
und Steiermark zu etwas weniger als zwei Dritteln. In allen übrigen Landes¬
teilen sind die Deutschen in der Minderheit. Wenn man nun wirklich glauben
könnte, daß die nationale Zusammengehörigkeit stark genug wäre, die Bevöl¬
kerung dieser Gebiete fest mit dem deutschen Reiche zu verknüpfen, trotz aller
Hindernisse, die z. B. Religion und eine Geschichte von Jahrhunderten dar¬
bieten würden, was sollten wir denn mit ihnen? Sie wären für uns eine Last,
ein ganz unhaltbarer Besitz, wenn wir nicht Böhmen und Mähren dazu näh¬
men. Diese Lande würden sich sonst wie ein spaltender Keil in den Reichskörper
hineinschieben; das zeigt ein oberflächlicher Blick auf die Karte. Der Besitz von
Böhmen mit seinen Nebenländern brächte uns aber an die sechs Millionen
Tschechen als Rcichsbürger, und dafür bedanken wir uns einfach. Wir haben an
unsern Polen, Dänen und Franzosen, von andern Neichsfeinden zu schweigen,
gerade genug. Die Bundesgenossenschaft mit Osterreich ist uns begehrenswert
und kostbar, aber von einem unlösbaren Staatsverbande mit jenem Nationa¬
litätengemisch will sicher kein reichstreuer Deutscher etwas wissen, der Kaiser
und sein eiserner Kanzler am wenigsten.

Die Politik, welche Bismarck unter Wilhelm dem Siegreichen eingeleitet
hat, wurde unwandelbar weiter geführt in der kurzen Zeit, in welcher der er¬
habene Dulder Friedrich die Krone trug, und daß die Thronbesteigung unsers
jugendlichen Herrschers Wilhelm II. nichts daran geändert hat, das verbürgt,
abgesehen von allem übrigen, das gewaltige Kaiserwort, das er in seiner ersten
Thronrede an den Reichstag gesprochen. Und zur Aufrechterhaltung dieser Po¬
litik steht hinter dem Kaiser und seiner Negierung sein ganzes treues und starkes
Volk, festentschlossen wie ein Mann. Kaiser Wilhelm II. bietet seinen Bundes¬
genossen Treue um Treue und wird sie halten; mögen jene ihm Treue um Treue
erwiedern. Sollte dann heimtückischer Überfall auf sie oder auf uns das Schwert
uns in die Hand zwingen, dann wird Deutschlands Volk sich schaaren um seinen
Fürsten, wie es sich geschciart hat um seine Väter, wenn der Heerbann erging.
Die Jungen werden sich der Alten wert zeigen. Denn deutsches Herz, deutsche
Faust, deutscher Stahl haben stets brav geschlagen.*)





*) Ein zweiter Abschnitt, die süddeutschen Staaten behandelnd, wird, sobald es der Raum
erlaubt, nachfolgen.
Ale Gebietsentwicklung der «Linzelstaaten Deutschlands.

auszustreuen, namentlich aber das deutsch-österreichische Bündnis zu sprengen.
Ob sie mit diesen Versetzungen jemals Erfolg haben werden? So lange ge¬
sunde Vernunft und besonnene Erwägungen, nicht aber blinde Leidenschaften
in beiden Reichen herrschen: niemals! Denn jene Verdächtigungen sind völlig
aus der Luft gegriffen, und solche Bestrebungen würden einer zielbewußter deut¬
schen Nationalpolitik geradezu widersprechen. Die Provinzen, die als deutsche in
Frage kämen, wären etwa Österreich mit Salzburg, Tirol zu etwa zwei Dritteln
und Steiermark zu etwas weniger als zwei Dritteln. In allen übrigen Landes¬
teilen sind die Deutschen in der Minderheit. Wenn man nun wirklich glauben
könnte, daß die nationale Zusammengehörigkeit stark genug wäre, die Bevöl¬
kerung dieser Gebiete fest mit dem deutschen Reiche zu verknüpfen, trotz aller
Hindernisse, die z. B. Religion und eine Geschichte von Jahrhunderten dar¬
bieten würden, was sollten wir denn mit ihnen? Sie wären für uns eine Last,
ein ganz unhaltbarer Besitz, wenn wir nicht Böhmen und Mähren dazu näh¬
men. Diese Lande würden sich sonst wie ein spaltender Keil in den Reichskörper
hineinschieben; das zeigt ein oberflächlicher Blick auf die Karte. Der Besitz von
Böhmen mit seinen Nebenländern brächte uns aber an die sechs Millionen
Tschechen als Rcichsbürger, und dafür bedanken wir uns einfach. Wir haben an
unsern Polen, Dänen und Franzosen, von andern Neichsfeinden zu schweigen,
gerade genug. Die Bundesgenossenschaft mit Osterreich ist uns begehrenswert
und kostbar, aber von einem unlösbaren Staatsverbande mit jenem Nationa¬
litätengemisch will sicher kein reichstreuer Deutscher etwas wissen, der Kaiser
und sein eiserner Kanzler am wenigsten.

Die Politik, welche Bismarck unter Wilhelm dem Siegreichen eingeleitet
hat, wurde unwandelbar weiter geführt in der kurzen Zeit, in welcher der er¬
habene Dulder Friedrich die Krone trug, und daß die Thronbesteigung unsers
jugendlichen Herrschers Wilhelm II. nichts daran geändert hat, das verbürgt,
abgesehen von allem übrigen, das gewaltige Kaiserwort, das er in seiner ersten
Thronrede an den Reichstag gesprochen. Und zur Aufrechterhaltung dieser Po¬
litik steht hinter dem Kaiser und seiner Negierung sein ganzes treues und starkes
Volk, festentschlossen wie ein Mann. Kaiser Wilhelm II. bietet seinen Bundes¬
genossen Treue um Treue und wird sie halten; mögen jene ihm Treue um Treue
erwiedern. Sollte dann heimtückischer Überfall auf sie oder auf uns das Schwert
uns in die Hand zwingen, dann wird Deutschlands Volk sich schaaren um seinen
Fürsten, wie es sich geschciart hat um seine Väter, wenn der Heerbann erging.
Die Jungen werden sich der Alten wert zeigen. Denn deutsches Herz, deutsche
Faust, deutscher Stahl haben stets brav geschlagen.*)





*) Ein zweiter Abschnitt, die süddeutschen Staaten behandelnd, wird, sobald es der Raum
erlaubt, nachfolgen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203667"/>
          <fw type="header" place="top"> Ale Gebietsentwicklung der «Linzelstaaten Deutschlands.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_546" prev="#ID_545"> auszustreuen, namentlich aber das deutsch-österreichische Bündnis zu sprengen.<lb/>
Ob sie mit diesen Versetzungen jemals Erfolg haben werden? So lange ge¬<lb/>
sunde Vernunft und besonnene Erwägungen, nicht aber blinde Leidenschaften<lb/>
in beiden Reichen herrschen: niemals! Denn jene Verdächtigungen sind völlig<lb/>
aus der Luft gegriffen, und solche Bestrebungen würden einer zielbewußter deut¬<lb/>
schen Nationalpolitik geradezu widersprechen. Die Provinzen, die als deutsche in<lb/>
Frage kämen, wären etwa Österreich mit Salzburg, Tirol zu etwa zwei Dritteln<lb/>
und Steiermark zu etwas weniger als zwei Dritteln. In allen übrigen Landes¬<lb/>
teilen sind die Deutschen in der Minderheit. Wenn man nun wirklich glauben<lb/>
könnte, daß die nationale Zusammengehörigkeit stark genug wäre, die Bevöl¬<lb/>
kerung dieser Gebiete fest mit dem deutschen Reiche zu verknüpfen, trotz aller<lb/>
Hindernisse, die z. B. Religion und eine Geschichte von Jahrhunderten dar¬<lb/>
bieten würden, was sollten wir denn mit ihnen? Sie wären für uns eine Last,<lb/>
ein ganz unhaltbarer Besitz, wenn wir nicht Böhmen und Mähren dazu näh¬<lb/>
men. Diese Lande würden sich sonst wie ein spaltender Keil in den Reichskörper<lb/>
hineinschieben; das zeigt ein oberflächlicher Blick auf die Karte. Der Besitz von<lb/>
Böhmen mit seinen Nebenländern brächte uns aber an die sechs Millionen<lb/>
Tschechen als Rcichsbürger, und dafür bedanken wir uns einfach. Wir haben an<lb/>
unsern Polen, Dänen und Franzosen, von andern Neichsfeinden zu schweigen,<lb/>
gerade genug. Die Bundesgenossenschaft mit Osterreich ist uns begehrenswert<lb/>
und kostbar, aber von einem unlösbaren Staatsverbande mit jenem Nationa¬<lb/>
litätengemisch will sicher kein reichstreuer Deutscher etwas wissen, der Kaiser<lb/>
und sein eiserner Kanzler am wenigsten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_547"> Die Politik, welche Bismarck unter Wilhelm dem Siegreichen eingeleitet<lb/>
hat, wurde unwandelbar weiter geführt in der kurzen Zeit, in welcher der er¬<lb/>
habene Dulder Friedrich die Krone trug, und daß die Thronbesteigung unsers<lb/>
jugendlichen Herrschers Wilhelm II. nichts daran geändert hat, das verbürgt,<lb/>
abgesehen von allem übrigen, das gewaltige Kaiserwort, das er in seiner ersten<lb/>
Thronrede an den Reichstag gesprochen. Und zur Aufrechterhaltung dieser Po¬<lb/>
litik steht hinter dem Kaiser und seiner Negierung sein ganzes treues und starkes<lb/>
Volk, festentschlossen wie ein Mann. Kaiser Wilhelm II. bietet seinen Bundes¬<lb/>
genossen Treue um Treue und wird sie halten; mögen jene ihm Treue um Treue<lb/>
erwiedern. Sollte dann heimtückischer Überfall auf sie oder auf uns das Schwert<lb/>
uns in die Hand zwingen, dann wird Deutschlands Volk sich schaaren um seinen<lb/>
Fürsten, wie es sich geschciart hat um seine Väter, wenn der Heerbann erging.<lb/>
Die Jungen werden sich der Alten wert zeigen. Denn deutsches Herz, deutsche<lb/>
Faust, deutscher Stahl haben stets brav geschlagen.*)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> *) Ein zweiter Abschnitt, die süddeutschen Staaten behandelnd, wird, sobald es der Raum<lb/>
erlaubt, nachfolgen.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Ale Gebietsentwicklung der «Linzelstaaten Deutschlands. auszustreuen, namentlich aber das deutsch-österreichische Bündnis zu sprengen. Ob sie mit diesen Versetzungen jemals Erfolg haben werden? So lange ge¬ sunde Vernunft und besonnene Erwägungen, nicht aber blinde Leidenschaften in beiden Reichen herrschen: niemals! Denn jene Verdächtigungen sind völlig aus der Luft gegriffen, und solche Bestrebungen würden einer zielbewußter deut¬ schen Nationalpolitik geradezu widersprechen. Die Provinzen, die als deutsche in Frage kämen, wären etwa Österreich mit Salzburg, Tirol zu etwa zwei Dritteln und Steiermark zu etwas weniger als zwei Dritteln. In allen übrigen Landes¬ teilen sind die Deutschen in der Minderheit. Wenn man nun wirklich glauben könnte, daß die nationale Zusammengehörigkeit stark genug wäre, die Bevöl¬ kerung dieser Gebiete fest mit dem deutschen Reiche zu verknüpfen, trotz aller Hindernisse, die z. B. Religion und eine Geschichte von Jahrhunderten dar¬ bieten würden, was sollten wir denn mit ihnen? Sie wären für uns eine Last, ein ganz unhaltbarer Besitz, wenn wir nicht Böhmen und Mähren dazu näh¬ men. Diese Lande würden sich sonst wie ein spaltender Keil in den Reichskörper hineinschieben; das zeigt ein oberflächlicher Blick auf die Karte. Der Besitz von Böhmen mit seinen Nebenländern brächte uns aber an die sechs Millionen Tschechen als Rcichsbürger, und dafür bedanken wir uns einfach. Wir haben an unsern Polen, Dänen und Franzosen, von andern Neichsfeinden zu schweigen, gerade genug. Die Bundesgenossenschaft mit Osterreich ist uns begehrenswert und kostbar, aber von einem unlösbaren Staatsverbande mit jenem Nationa¬ litätengemisch will sicher kein reichstreuer Deutscher etwas wissen, der Kaiser und sein eiserner Kanzler am wenigsten. Die Politik, welche Bismarck unter Wilhelm dem Siegreichen eingeleitet hat, wurde unwandelbar weiter geführt in der kurzen Zeit, in welcher der er¬ habene Dulder Friedrich die Krone trug, und daß die Thronbesteigung unsers jugendlichen Herrschers Wilhelm II. nichts daran geändert hat, das verbürgt, abgesehen von allem übrigen, das gewaltige Kaiserwort, das er in seiner ersten Thronrede an den Reichstag gesprochen. Und zur Aufrechterhaltung dieser Po¬ litik steht hinter dem Kaiser und seiner Negierung sein ganzes treues und starkes Volk, festentschlossen wie ein Mann. Kaiser Wilhelm II. bietet seinen Bundes¬ genossen Treue um Treue und wird sie halten; mögen jene ihm Treue um Treue erwiedern. Sollte dann heimtückischer Überfall auf sie oder auf uns das Schwert uns in die Hand zwingen, dann wird Deutschlands Volk sich schaaren um seinen Fürsten, wie es sich geschciart hat um seine Väter, wenn der Heerbann erging. Die Jungen werden sich der Alten wert zeigen. Denn deutsches Herz, deutsche Faust, deutscher Stahl haben stets brav geschlagen.*) *) Ein zweiter Abschnitt, die süddeutschen Staaten behandelnd, wird, sobald es der Raum erlaubt, nachfolgen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/232>, abgerufen am 30.06.2024.