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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaten Deutschlands.

Reiche, die von einer Wiedergewinnung des alten habsburgischen Einflusses
mindestens in Deutschland träumen, soll nicht in Abrede gestellt werden. Daß
aber ein ernsthafter österreichischer Staatsmann jemals solchen Hirngespinsten
nachjagen sollte, ist nicht wohl denkbar. Es bleiben tot die Toten. Zudem wird
jeder einsichtige österreichische Militär sich gar nicht der Einsicht verschließen
können, daß sein Staat einen Krieg gegen das deutsche Reich mit einiger Aus¬
sicht auf Erfolg überhaupt nicht führen kann. Denn schon in frühern Kriegen
hat Österreich den preußischen Herren, die von Schlesien, der Lausitz und Sachsen
her eindrangen, fast niemals dauernden Widerstand leisten können. Wenn aber
jetzt nicht bloß auf den Straßen, auf denen Friedrich der Große und Wilhelm
der Siegreiche ihre Heeressäulen in Feindesland hineinführten, deutsche Krieger
heranrückten, sondern wenn dazu auch noch eine starke Streitmacht von Passau
aus längs des Donaustromes geradeswegs auf Linz und Wien vorginge, so
ist fast mit Sicherheit vorauszusagen, daß diesen konzentrischen Stößen der
Kaiserstaat noch rascher erliegen würde, als es in der großen preußischen Woche
des Jahres 1866 der Fall war. Auch ein Bündnis mit Frankreich, das ein¬
zige, das in Frage kommen könnte, würde hieran wenig ändern; jeder, der die
heutige politische Lage auch nur einigermaßen kennt, weiß, welchen Preis wir
Rußland zu bieten brauchen, um sofort seines Bündnisses sicher zu sein; und
dieser Preis würde uns schließlich eigentlich nichts kosten.

Bedenklicher dürfte schon der zweite Fall sein. Vor einigen Jahren noch
schien es so, als ob die lärmende Partei der Jrredcntisten*) ernste MißHellig¬
keiten zwischen Italien und Österreich hervorrufen würde. Doch dieser Lärm,
den die italienische Regierung übrigens stets mißbilligt hat, ist längst verstummt,
und es ist kaum anzunehmen, daß jemals maßgebende Kreise solche Abenteurer¬
politik unterstützen werden.

Was den dritten Fall anbetrifft, so soll zwar nicht geleugnet wer¬
den, daß alle Feinde des deutschen Reiches seit dem Bestehen desselben es
als ihre Lieblingsaufgabe angesehen haben, das Mißtrauen in den leitenden
Kreisen der österreich>ungarischen Monarchie durch die verdächtigende Einflüste¬
rung hervorzurufen und wach zu halten, daß es, trotz aller Versicherungen des
Gegenteils, der Hintergedanke der Bismarckschen Politik sei, die Provinzen Öster¬
reichs, die ehemals zu Deutschland gehört haben, abzureißen und mit dem deut¬
schen Reiche zu vereinigen. Nach dem bekannten Sprichworte: Viel Feind,
viel Ehr! hat das deutsche Reich viele Feinde; sie wohnen an der Seine, an
der Newa, an der Moskwa, am Sunde, an der schönen, blauen Donau und
leider noch an vielen andern Flüssen. Sie sind nnablüssig thätig und
suchen überall den Samen des Hasses, der Zwietracht und des Mißtrauens



*) Itiüi". irroclsnw, das unerlöste Italien, d. h, was noch nicht von der Fremdherrschaft
befreit ist, nennt eine Partei von Hitzköpsen, sog. Iwlianissimi, Süd- oder Welschiyrol und
das österreichische Küstenland an der Adria, wo die italienische Sprache herrscht.
Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaten Deutschlands.

Reiche, die von einer Wiedergewinnung des alten habsburgischen Einflusses
mindestens in Deutschland träumen, soll nicht in Abrede gestellt werden. Daß
aber ein ernsthafter österreichischer Staatsmann jemals solchen Hirngespinsten
nachjagen sollte, ist nicht wohl denkbar. Es bleiben tot die Toten. Zudem wird
jeder einsichtige österreichische Militär sich gar nicht der Einsicht verschließen
können, daß sein Staat einen Krieg gegen das deutsche Reich mit einiger Aus¬
sicht auf Erfolg überhaupt nicht führen kann. Denn schon in frühern Kriegen
hat Österreich den preußischen Herren, die von Schlesien, der Lausitz und Sachsen
her eindrangen, fast niemals dauernden Widerstand leisten können. Wenn aber
jetzt nicht bloß auf den Straßen, auf denen Friedrich der Große und Wilhelm
der Siegreiche ihre Heeressäulen in Feindesland hineinführten, deutsche Krieger
heranrückten, sondern wenn dazu auch noch eine starke Streitmacht von Passau
aus längs des Donaustromes geradeswegs auf Linz und Wien vorginge, so
ist fast mit Sicherheit vorauszusagen, daß diesen konzentrischen Stößen der
Kaiserstaat noch rascher erliegen würde, als es in der großen preußischen Woche
des Jahres 1866 der Fall war. Auch ein Bündnis mit Frankreich, das ein¬
zige, das in Frage kommen könnte, würde hieran wenig ändern; jeder, der die
heutige politische Lage auch nur einigermaßen kennt, weiß, welchen Preis wir
Rußland zu bieten brauchen, um sofort seines Bündnisses sicher zu sein; und
dieser Preis würde uns schließlich eigentlich nichts kosten.

Bedenklicher dürfte schon der zweite Fall sein. Vor einigen Jahren noch
schien es so, als ob die lärmende Partei der Jrredcntisten*) ernste MißHellig¬
keiten zwischen Italien und Österreich hervorrufen würde. Doch dieser Lärm,
den die italienische Regierung übrigens stets mißbilligt hat, ist längst verstummt,
und es ist kaum anzunehmen, daß jemals maßgebende Kreise solche Abenteurer¬
politik unterstützen werden.

Was den dritten Fall anbetrifft, so soll zwar nicht geleugnet wer¬
den, daß alle Feinde des deutschen Reiches seit dem Bestehen desselben es
als ihre Lieblingsaufgabe angesehen haben, das Mißtrauen in den leitenden
Kreisen der österreich>ungarischen Monarchie durch die verdächtigende Einflüste¬
rung hervorzurufen und wach zu halten, daß es, trotz aller Versicherungen des
Gegenteils, der Hintergedanke der Bismarckschen Politik sei, die Provinzen Öster¬
reichs, die ehemals zu Deutschland gehört haben, abzureißen und mit dem deut¬
schen Reiche zu vereinigen. Nach dem bekannten Sprichworte: Viel Feind,
viel Ehr! hat das deutsche Reich viele Feinde; sie wohnen an der Seine, an
der Newa, an der Moskwa, am Sunde, an der schönen, blauen Donau und
leider noch an vielen andern Flüssen. Sie sind nnablüssig thätig und
suchen überall den Samen des Hasses, der Zwietracht und des Mißtrauens



*) Itiüi». irroclsnw, das unerlöste Italien, d. h, was noch nicht von der Fremdherrschaft
befreit ist, nennt eine Partei von Hitzköpsen, sog. Iwlianissimi, Süd- oder Welschiyrol und
das österreichische Küstenland an der Adria, wo die italienische Sprache herrscht.
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[0231] Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaten Deutschlands. Reiche, die von einer Wiedergewinnung des alten habsburgischen Einflusses mindestens in Deutschland träumen, soll nicht in Abrede gestellt werden. Daß aber ein ernsthafter österreichischer Staatsmann jemals solchen Hirngespinsten nachjagen sollte, ist nicht wohl denkbar. Es bleiben tot die Toten. Zudem wird jeder einsichtige österreichische Militär sich gar nicht der Einsicht verschließen können, daß sein Staat einen Krieg gegen das deutsche Reich mit einiger Aus¬ sicht auf Erfolg überhaupt nicht führen kann. Denn schon in frühern Kriegen hat Österreich den preußischen Herren, die von Schlesien, der Lausitz und Sachsen her eindrangen, fast niemals dauernden Widerstand leisten können. Wenn aber jetzt nicht bloß auf den Straßen, auf denen Friedrich der Große und Wilhelm der Siegreiche ihre Heeressäulen in Feindesland hineinführten, deutsche Krieger heranrückten, sondern wenn dazu auch noch eine starke Streitmacht von Passau aus längs des Donaustromes geradeswegs auf Linz und Wien vorginge, so ist fast mit Sicherheit vorauszusagen, daß diesen konzentrischen Stößen der Kaiserstaat noch rascher erliegen würde, als es in der großen preußischen Woche des Jahres 1866 der Fall war. Auch ein Bündnis mit Frankreich, das ein¬ zige, das in Frage kommen könnte, würde hieran wenig ändern; jeder, der die heutige politische Lage auch nur einigermaßen kennt, weiß, welchen Preis wir Rußland zu bieten brauchen, um sofort seines Bündnisses sicher zu sein; und dieser Preis würde uns schließlich eigentlich nichts kosten. Bedenklicher dürfte schon der zweite Fall sein. Vor einigen Jahren noch schien es so, als ob die lärmende Partei der Jrredcntisten*) ernste MißHellig¬ keiten zwischen Italien und Österreich hervorrufen würde. Doch dieser Lärm, den die italienische Regierung übrigens stets mißbilligt hat, ist längst verstummt, und es ist kaum anzunehmen, daß jemals maßgebende Kreise solche Abenteurer¬ politik unterstützen werden. Was den dritten Fall anbetrifft, so soll zwar nicht geleugnet wer¬ den, daß alle Feinde des deutschen Reiches seit dem Bestehen desselben es als ihre Lieblingsaufgabe angesehen haben, das Mißtrauen in den leitenden Kreisen der österreich>ungarischen Monarchie durch die verdächtigende Einflüste¬ rung hervorzurufen und wach zu halten, daß es, trotz aller Versicherungen des Gegenteils, der Hintergedanke der Bismarckschen Politik sei, die Provinzen Öster¬ reichs, die ehemals zu Deutschland gehört haben, abzureißen und mit dem deut¬ schen Reiche zu vereinigen. Nach dem bekannten Sprichworte: Viel Feind, viel Ehr! hat das deutsche Reich viele Feinde; sie wohnen an der Seine, an der Newa, an der Moskwa, am Sunde, an der schönen, blauen Donau und leider noch an vielen andern Flüssen. Sie sind nnablüssig thätig und suchen überall den Samen des Hasses, der Zwietracht und des Mißtrauens *) Itiüi». irroclsnw, das unerlöste Italien, d. h, was noch nicht von der Fremdherrschaft befreit ist, nennt eine Partei von Hitzköpsen, sog. Iwlianissimi, Süd- oder Welschiyrol und das österreichische Küstenland an der Adria, wo die italienische Sprache herrscht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/231>, abgerufen am 02.07.2024.