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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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führt; übereilt und kopflos wurde auch nach der "Dreikaiserschlacht" vom
2. Dezember 1805 der Friede zu Preßburg abgeschlossen. Er brachte großen
Verlust an Land und Leuten. Die im Frieden von Campo Formio er¬
worbenen und zu Lumzville bestätigten Besitzungen des vormaligen venetia-
nischen Freistaates gingen wieder verloren und kamen an das neugegründete
Königreich Italien. An Vaiern kamen Tirol und Vorarlberg, die frühern Hoch-
ftifter Brixen und Trient, die Markgrafschaft Burgau, die vormalige freie Reichs¬
stadt Lindau am Bodensee; daneben noch die Teile von Eichstädt und Passau,
die der bisherige Kurfürst von Salzburg einige Jahre besessen hatte, der dafür
mit Würzburg entschädigt wurde. Die vorderösterreichischen Lande fielen Württem¬
berg und Baden zu. Die Machtstellung Österreichs war damit im höchsten
Grade erschüttert, jedoch noch nicht so weit geschwächt, daß es ihm nicht ge¬
lungen wäre, sür diese empfindlichen Verluste wenigstens einen geringen Ersatz
zu erhalten: Salzburg mit Berchtesgaden wurde ihm zugesprochen, und es durfte
die Besitzungen des säkularisirten deutschen Ordens zu Gunsten eines Erz¬
herzogs einziehen; das waren die Balleien Osterreich an der Etsch und am
Gebirge, die innerhalb des Gebietes des Kaiserstaates lagen, und das
Meistertum Mergentheim nebst der Battel Franken, deren Gebiete in den ober¬
deutschen und den beiden rheinischen Kreisen zerstreut lagen. Durch diese Ab¬
tretungen hatte Österreich die beherrschende Stellung in Süddeutschland, die ihm
die eigentümliche geographische Verteilung seiner Besitzungen dort gewährte, ver¬
loren. Es war ein weiterer höchst wichtiger Schritt in der Gebietsentwicklung
dieses Staates auf der Bahn geschehen, die sein gänzliches Ausscheiden aus
Deutschland vorbereitete und herbeiführte.

Noch verhängnisvoller waren die Folgen des unglücklichen Krieges von
1809; nach der Mord- und Blutschlacht bei Wagram auf dem Marchfelde
wurde im kaiserlichen Lustschlosse Schönbrunn der Wiener Friede abgeschlossen. Ein
Gebiet von reichlich 2000 Quadratmeilen mit mehr als 3^/, Millionen Einwohnern
ging verloren. Salzburg, Berchtesgaden, das Innviertel, das halbe Hunsrück"
viertel kamen an Baiern, Westgalizien an das Großherzogtum Warschau, ein
Teil von Ostgalizien an Rußland, die Länder jenseits der save, der Villacher
Kreis, Dalmatien, Jstrien, Ragusa an Napoleon selbst, der aus diesen Landen
und den ionischen Inseln den wunderlichen Staat der illyrischen Provinzen
bildete, zu dessen Gouverneur er Marmont, den "Herzog von Ragusa," machte.
Daß Österreich jetzt nur noch ein Staat zweiten Ranges war, geht deutlich
daraus hervor, daß es sich gänzlich der napoleonischen Politik anschloß, dem
Continentalsysteme beitrat und allen Verkehr mit England abbrach. So
lange der Stern des Imperators hell strahlte, wagte es nichts gegen den Ge¬
waltigen zu unternehmen und fügte sich ohne Widerstreben allen seinen Forde¬
rungen; nicht einmal die Hand einer Erzherzogin, einer "Tochter der Cäsaren,"
wurde dem gekrönten Emporkömmling verweigert.


Grenzboten IV. 1883. 28

führt; übereilt und kopflos wurde auch nach der „Dreikaiserschlacht" vom
2. Dezember 1805 der Friede zu Preßburg abgeschlossen. Er brachte großen
Verlust an Land und Leuten. Die im Frieden von Campo Formio er¬
worbenen und zu Lumzville bestätigten Besitzungen des vormaligen venetia-
nischen Freistaates gingen wieder verloren und kamen an das neugegründete
Königreich Italien. An Vaiern kamen Tirol und Vorarlberg, die frühern Hoch-
ftifter Brixen und Trient, die Markgrafschaft Burgau, die vormalige freie Reichs¬
stadt Lindau am Bodensee; daneben noch die Teile von Eichstädt und Passau,
die der bisherige Kurfürst von Salzburg einige Jahre besessen hatte, der dafür
mit Würzburg entschädigt wurde. Die vorderösterreichischen Lande fielen Württem¬
berg und Baden zu. Die Machtstellung Österreichs war damit im höchsten
Grade erschüttert, jedoch noch nicht so weit geschwächt, daß es ihm nicht ge¬
lungen wäre, sür diese empfindlichen Verluste wenigstens einen geringen Ersatz
zu erhalten: Salzburg mit Berchtesgaden wurde ihm zugesprochen, und es durfte
die Besitzungen des säkularisirten deutschen Ordens zu Gunsten eines Erz¬
herzogs einziehen; das waren die Balleien Osterreich an der Etsch und am
Gebirge, die innerhalb des Gebietes des Kaiserstaates lagen, und das
Meistertum Mergentheim nebst der Battel Franken, deren Gebiete in den ober¬
deutschen und den beiden rheinischen Kreisen zerstreut lagen. Durch diese Ab¬
tretungen hatte Österreich die beherrschende Stellung in Süddeutschland, die ihm
die eigentümliche geographische Verteilung seiner Besitzungen dort gewährte, ver¬
loren. Es war ein weiterer höchst wichtiger Schritt in der Gebietsentwicklung
dieses Staates auf der Bahn geschehen, die sein gänzliches Ausscheiden aus
Deutschland vorbereitete und herbeiführte.

Noch verhängnisvoller waren die Folgen des unglücklichen Krieges von
1809; nach der Mord- und Blutschlacht bei Wagram auf dem Marchfelde
wurde im kaiserlichen Lustschlosse Schönbrunn der Wiener Friede abgeschlossen. Ein
Gebiet von reichlich 2000 Quadratmeilen mit mehr als 3^/, Millionen Einwohnern
ging verloren. Salzburg, Berchtesgaden, das Innviertel, das halbe Hunsrück»
viertel kamen an Baiern, Westgalizien an das Großherzogtum Warschau, ein
Teil von Ostgalizien an Rußland, die Länder jenseits der save, der Villacher
Kreis, Dalmatien, Jstrien, Ragusa an Napoleon selbst, der aus diesen Landen
und den ionischen Inseln den wunderlichen Staat der illyrischen Provinzen
bildete, zu dessen Gouverneur er Marmont, den „Herzog von Ragusa," machte.
Daß Österreich jetzt nur noch ein Staat zweiten Ranges war, geht deutlich
daraus hervor, daß es sich gänzlich der napoleonischen Politik anschloß, dem
Continentalsysteme beitrat und allen Verkehr mit England abbrach. So
lange der Stern des Imperators hell strahlte, wagte es nichts gegen den Ge¬
waltigen zu unternehmen und fügte sich ohne Widerstreben allen seinen Forde¬
rungen; nicht einmal die Hand einer Erzherzogin, einer „Tochter der Cäsaren,"
wurde dem gekrönten Emporkömmling verweigert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/225>, abgerufen am 24.08.2024.