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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Haupt der älteren Linie der Wittelsbacher, übernahm den alten Hausverträgen
gemäß die Erbschaft, und da er selbst kinderlos war, wurde der Pfalzgraf von
Zweibrücken als sein Nachfolger anerkannt. Der Kaiser bewog nun den sehr
schwachen Karl Theodor, alte Erbansprüche Österreichs, bezüglich Böhmens, auf
Niederbaiern und Teile der Oberpfalz im Vertrage zu Wien (1773) anzuer¬
kennen. Hiergegen erhob der Herzog von Zweibrttcken auf Antrieb Friedrichs
Einsprache; ebenso Sachsen und Mecklenburg, die gleichfalls glaubten, Erb-
ansprttche machen zu können. Da Joseph II. nicht nachgeben wollte, so entstand
hieraus der bairische Erbfolgekrieg. spottweise, weil keine einzige größere Waffen¬
that ausgeführt wurde, der Kartoffelkrieg genannt. Der Merkwürdigkeit wegen
sei erwähnt, daß darin Sachsen mit Preußen verbündet war. Der Friede zu
Teschen machte dem Streite ein Ende und brachte Österreich wenigstens eine
kleine Gebietsvergrößerung, nämlich das Innviertel, einen Landstrich von Nieder-
baiern, der zwischen Salzach, Jnn und Donau gelegen war. Der erwähnte
Wiener Vertrag wurde aufgehoben, die kaiserlichen Truppen mußten die übrigen
bereits besetzten Landesteile wieder räumen; Sachsen wurde mit sechs Millionen
Thalern abgefunden. Noch weniger Erfolg hatte das wunderliche Tauschprojekt,
durch das Joseph im Jahre 1785 Baiern an sich zu bringen und sich zugleich
des schwierigen und unsichern Besitzes der Niederlande zu entledigen hoffte.
Er bot die dortigen österreichischen Besitzungen, mit geringen Ausnahmen (Luxem¬
burg und Namur) dem Kurfürsten Karl Theodor als Königreich Burgund gegen
Abtretung von ganz Baiern an, und dieser ziemlich unselbständige und urteils¬
unfähige Fürst war bereit, auf das "Geschäft" einzugehen. Wiederum erhob
der Pfalzgraf von Zweibrücken Einsprache und wandte sich an Friedrich. Dieser
wollte um keinen Preis zugeben, daß ganz Süddeutschland Osterreich zufiele;
denn eine Zweiteilung des eigentlichen Deutschlands zwischen den beiden Gro߬
mächten wäre, so weit Menschen urteilen können, die fast unvermeidliche Folge
hiervon gewesen. Seine Einmischung machte den schlau ersonnenen Plan schei¬
tern, und um solchen Übergriffen Österreichs für immer vorzubeugen, stiftete
er den Fürstenbund, die letzte große politische Schöpfung seines Lebens.

Die alles erschütternde französische Revolution mit ihrem Gefolge von
furchtbaren Kriegen, welche fast ein Vierteljahrhundert lang ganz Europa
durchtobten, konnte natürlich nicht ohne bedeutende Wirkung auf die Gebiets¬
veränderungen Österreichs bleiben, das bei den meisten dieser Riesenkämpfe mit
in erster Linie stand- Auf Gebietsverluste folgten zunächst Neuerwerbungen;
dann folgten wiederholt schwerere Verluste, bis endlich, nachdem der erste Befrei¬
ungskrieg glücklich durchgekämpft war, der Wiener Kongreß den Neuaufbau des
Kaiserreiches herbeiführte.

Noch im ersten Jahre des Koalitionskrieges fielen die österreichischen Nie¬
derlande den Franzosen zu, hauptsächlich infolge des Sieges, den Dumouriez
bei Jemappes davon trug (den 6. November 1792.) Eine zeitweilige Wieder-


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Haupt der älteren Linie der Wittelsbacher, übernahm den alten Hausverträgen
gemäß die Erbschaft, und da er selbst kinderlos war, wurde der Pfalzgraf von
Zweibrücken als sein Nachfolger anerkannt. Der Kaiser bewog nun den sehr
schwachen Karl Theodor, alte Erbansprüche Österreichs, bezüglich Böhmens, auf
Niederbaiern und Teile der Oberpfalz im Vertrage zu Wien (1773) anzuer¬
kennen. Hiergegen erhob der Herzog von Zweibrttcken auf Antrieb Friedrichs
Einsprache; ebenso Sachsen und Mecklenburg, die gleichfalls glaubten, Erb-
ansprttche machen zu können. Da Joseph II. nicht nachgeben wollte, so entstand
hieraus der bairische Erbfolgekrieg. spottweise, weil keine einzige größere Waffen¬
that ausgeführt wurde, der Kartoffelkrieg genannt. Der Merkwürdigkeit wegen
sei erwähnt, daß darin Sachsen mit Preußen verbündet war. Der Friede zu
Teschen machte dem Streite ein Ende und brachte Österreich wenigstens eine
kleine Gebietsvergrößerung, nämlich das Innviertel, einen Landstrich von Nieder-
baiern, der zwischen Salzach, Jnn und Donau gelegen war. Der erwähnte
Wiener Vertrag wurde aufgehoben, die kaiserlichen Truppen mußten die übrigen
bereits besetzten Landesteile wieder räumen; Sachsen wurde mit sechs Millionen
Thalern abgefunden. Noch weniger Erfolg hatte das wunderliche Tauschprojekt,
durch das Joseph im Jahre 1785 Baiern an sich zu bringen und sich zugleich
des schwierigen und unsichern Besitzes der Niederlande zu entledigen hoffte.
Er bot die dortigen österreichischen Besitzungen, mit geringen Ausnahmen (Luxem¬
burg und Namur) dem Kurfürsten Karl Theodor als Königreich Burgund gegen
Abtretung von ganz Baiern an, und dieser ziemlich unselbständige und urteils¬
unfähige Fürst war bereit, auf das „Geschäft" einzugehen. Wiederum erhob
der Pfalzgraf von Zweibrücken Einsprache und wandte sich an Friedrich. Dieser
wollte um keinen Preis zugeben, daß ganz Süddeutschland Osterreich zufiele;
denn eine Zweiteilung des eigentlichen Deutschlands zwischen den beiden Gro߬
mächten wäre, so weit Menschen urteilen können, die fast unvermeidliche Folge
hiervon gewesen. Seine Einmischung machte den schlau ersonnenen Plan schei¬
tern, und um solchen Übergriffen Österreichs für immer vorzubeugen, stiftete
er den Fürstenbund, die letzte große politische Schöpfung seines Lebens.

Die alles erschütternde französische Revolution mit ihrem Gefolge von
furchtbaren Kriegen, welche fast ein Vierteljahrhundert lang ganz Europa
durchtobten, konnte natürlich nicht ohne bedeutende Wirkung auf die Gebiets¬
veränderungen Österreichs bleiben, das bei den meisten dieser Riesenkämpfe mit
in erster Linie stand- Auf Gebietsverluste folgten zunächst Neuerwerbungen;
dann folgten wiederholt schwerere Verluste, bis endlich, nachdem der erste Befrei¬
ungskrieg glücklich durchgekämpft war, der Wiener Kongreß den Neuaufbau des
Kaiserreiches herbeiführte.

Noch im ersten Jahre des Koalitionskrieges fielen die österreichischen Nie¬
derlande den Franzosen zu, hauptsächlich infolge des Sieges, den Dumouriez
bei Jemappes davon trug (den 6. November 1792.) Eine zeitweilige Wieder-


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[0223] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. Haupt der älteren Linie der Wittelsbacher, übernahm den alten Hausverträgen gemäß die Erbschaft, und da er selbst kinderlos war, wurde der Pfalzgraf von Zweibrücken als sein Nachfolger anerkannt. Der Kaiser bewog nun den sehr schwachen Karl Theodor, alte Erbansprüche Österreichs, bezüglich Böhmens, auf Niederbaiern und Teile der Oberpfalz im Vertrage zu Wien (1773) anzuer¬ kennen. Hiergegen erhob der Herzog von Zweibrttcken auf Antrieb Friedrichs Einsprache; ebenso Sachsen und Mecklenburg, die gleichfalls glaubten, Erb- ansprttche machen zu können. Da Joseph II. nicht nachgeben wollte, so entstand hieraus der bairische Erbfolgekrieg. spottweise, weil keine einzige größere Waffen¬ that ausgeführt wurde, der Kartoffelkrieg genannt. Der Merkwürdigkeit wegen sei erwähnt, daß darin Sachsen mit Preußen verbündet war. Der Friede zu Teschen machte dem Streite ein Ende und brachte Österreich wenigstens eine kleine Gebietsvergrößerung, nämlich das Innviertel, einen Landstrich von Nieder- baiern, der zwischen Salzach, Jnn und Donau gelegen war. Der erwähnte Wiener Vertrag wurde aufgehoben, die kaiserlichen Truppen mußten die übrigen bereits besetzten Landesteile wieder räumen; Sachsen wurde mit sechs Millionen Thalern abgefunden. Noch weniger Erfolg hatte das wunderliche Tauschprojekt, durch das Joseph im Jahre 1785 Baiern an sich zu bringen und sich zugleich des schwierigen und unsichern Besitzes der Niederlande zu entledigen hoffte. Er bot die dortigen österreichischen Besitzungen, mit geringen Ausnahmen (Luxem¬ burg und Namur) dem Kurfürsten Karl Theodor als Königreich Burgund gegen Abtretung von ganz Baiern an, und dieser ziemlich unselbständige und urteils¬ unfähige Fürst war bereit, auf das „Geschäft" einzugehen. Wiederum erhob der Pfalzgraf von Zweibrücken Einsprache und wandte sich an Friedrich. Dieser wollte um keinen Preis zugeben, daß ganz Süddeutschland Osterreich zufiele; denn eine Zweiteilung des eigentlichen Deutschlands zwischen den beiden Gro߬ mächten wäre, so weit Menschen urteilen können, die fast unvermeidliche Folge hiervon gewesen. Seine Einmischung machte den schlau ersonnenen Plan schei¬ tern, und um solchen Übergriffen Österreichs für immer vorzubeugen, stiftete er den Fürstenbund, die letzte große politische Schöpfung seines Lebens. Die alles erschütternde französische Revolution mit ihrem Gefolge von furchtbaren Kriegen, welche fast ein Vierteljahrhundert lang ganz Europa durchtobten, konnte natürlich nicht ohne bedeutende Wirkung auf die Gebiets¬ veränderungen Österreichs bleiben, das bei den meisten dieser Riesenkämpfe mit in erster Linie stand- Auf Gebietsverluste folgten zunächst Neuerwerbungen; dann folgten wiederholt schwerere Verluste, bis endlich, nachdem der erste Befrei¬ ungskrieg glücklich durchgekämpft war, der Wiener Kongreß den Neuaufbau des Kaiserreiches herbeiführte. Noch im ersten Jahre des Koalitionskrieges fielen die österreichischen Nie¬ derlande den Franzosen zu, hauptsächlich infolge des Sieges, den Dumouriez bei Jemappes davon trug (den 6. November 1792.) Eine zeitweilige Wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/223>, abgerufen am 24.08.2024.