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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Lrkennens.

zeugung möglich ist? Was zumal die Zeugung aus Bathybiusurschleim an¬
langt, so ist auch diese Hypothese, wenn man sie für ^noratio asouivoog, be¬
nutzen will, durch so besonnene Forscher wie den Zoologen Möbius in Berlin
als beseitigt anzusehen. Soweit thut sich auch hier ganz dieselbe Kluft auf,
"über die kein Steg, kein Fittig trägt." Und darum wäre es, wie gesagt, ge¬
nauer, ein dreifaches Unbegreifliches für das Naturerkennen zu setzen. Mit dem
Bewußtsein in seiner höchsten uns bekannten, der menschlichen Form, ist in der
That etwas ganz Neues, das, was wir im Unterschiede von der tierischen Seele
Geist nennen, gegeben, ein Etwas, mit dem eine neue Reihe der Wesen beginnt
und durch das der Mensch für das Tier selber ein höheres Wesen, wenn man so
will, sein Gott, seine Religion wird. Indessen, es kann uns hier nicht weiter
darauf ankommen, den Unterschied zwischen Empfinden und Bewußtsein festzu¬
setzen; für die Erledigung unsers Gegenstandes können wir immerhin das eine
nur als eine höhere Stufe des andern betrachten, um das festzuhalten, daß das
eine wie das andre nicht aus materiellen Bedingungen zu begreifen ist. Wir
wissen, daß unsre geistige Thätigkeit freilich an das Gehirn gebunden ist, aber
alle Kenntnis der Beschaffenheit des Gehirns enthüllt uns schlechterdings nichts
darin, als nur Materie; aber "durch keine zu ersinnende Anordnung oder Be¬
wegung materieller Teilchen läßt sich eine Brücke ins Reich des Bewußtseins
schlagen." Mögen die geistigen Vorgänge immerhin an materielle im Gehirn
gebunden sein, darum aus den einen für die andern einen zureichenden Grund
zu entnehmen, wie das C. Vogt thut, wenn er das Denken als eine Absonderung
des Gehirns ansieht, das ist selber unzureichendes Denken. Wir können wohl sagen,
daß mit gewissen äußern Bedingungen und Vorgängen auch solche des Geistes¬
lebens zugleich gesetzt sind, wie dies bereits Geulincx und Malebranche wußten
und zum Ausgangspunkte ihrer Forschungen machten, aber wir können nicht
sagen, weder daß das Geistesleben erst durch diese äußern Bedingungen zu stände
kommt, noch wie das geschieht. Wenn wir nicht einmal begreifen können, wie
es kommt, daß unser Sehvermögen eine farbengltthende, und unser Gehörsinn
eine tönende Welt vernimmt, während diese doch an sich "finster und stumm,"
d. h. eigenschaftslos ist, wie wollen wir da aus rein materiellen Bedingungen
die geistige Thatsache des Ich erklären, jene Gewißheit von etwas, das nur
in sich selbst ruht und Subjekt von allem ist, was es erfährt und thut. d. h. was
in das Ich eingeht und was von ihm ausgeht? Da reicht keine, auch nicht die
genaueste Kenntnis der Hirnatome zu. Wenn also schon das Problem der
Sinnesempfindung die Grenze ist, bis zu der die Kenntnis der Mechanik nur
führt, noch mehr stellt das Problem des Ich allem Verstehen desselben aus
materiellen Bedingungen eine Schranke entgegen. Darum erweitertauch hierDubois-
Neymond mit vollem Rechte sein iFnoramus zu einem Ixuoradimus. Die Rätsel
der Körperwelt mögen, wie sie das thun, uns noch tausendfach in unermessener
Höhe und Tiefe umgeben, aber in diese Körperwelt und ihre Bedingungen kann


Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Lrkennens.

zeugung möglich ist? Was zumal die Zeugung aus Bathybiusurschleim an¬
langt, so ist auch diese Hypothese, wenn man sie für ^noratio asouivoog, be¬
nutzen will, durch so besonnene Forscher wie den Zoologen Möbius in Berlin
als beseitigt anzusehen. Soweit thut sich auch hier ganz dieselbe Kluft auf,
„über die kein Steg, kein Fittig trägt." Und darum wäre es, wie gesagt, ge¬
nauer, ein dreifaches Unbegreifliches für das Naturerkennen zu setzen. Mit dem
Bewußtsein in seiner höchsten uns bekannten, der menschlichen Form, ist in der
That etwas ganz Neues, das, was wir im Unterschiede von der tierischen Seele
Geist nennen, gegeben, ein Etwas, mit dem eine neue Reihe der Wesen beginnt
und durch das der Mensch für das Tier selber ein höheres Wesen, wenn man so
will, sein Gott, seine Religion wird. Indessen, es kann uns hier nicht weiter
darauf ankommen, den Unterschied zwischen Empfinden und Bewußtsein festzu¬
setzen; für die Erledigung unsers Gegenstandes können wir immerhin das eine
nur als eine höhere Stufe des andern betrachten, um das festzuhalten, daß das
eine wie das andre nicht aus materiellen Bedingungen zu begreifen ist. Wir
wissen, daß unsre geistige Thätigkeit freilich an das Gehirn gebunden ist, aber
alle Kenntnis der Beschaffenheit des Gehirns enthüllt uns schlechterdings nichts
darin, als nur Materie; aber „durch keine zu ersinnende Anordnung oder Be¬
wegung materieller Teilchen läßt sich eine Brücke ins Reich des Bewußtseins
schlagen." Mögen die geistigen Vorgänge immerhin an materielle im Gehirn
gebunden sein, darum aus den einen für die andern einen zureichenden Grund
zu entnehmen, wie das C. Vogt thut, wenn er das Denken als eine Absonderung
des Gehirns ansieht, das ist selber unzureichendes Denken. Wir können wohl sagen,
daß mit gewissen äußern Bedingungen und Vorgängen auch solche des Geistes¬
lebens zugleich gesetzt sind, wie dies bereits Geulincx und Malebranche wußten
und zum Ausgangspunkte ihrer Forschungen machten, aber wir können nicht
sagen, weder daß das Geistesleben erst durch diese äußern Bedingungen zu stände
kommt, noch wie das geschieht. Wenn wir nicht einmal begreifen können, wie
es kommt, daß unser Sehvermögen eine farbengltthende, und unser Gehörsinn
eine tönende Welt vernimmt, während diese doch an sich „finster und stumm,"
d. h. eigenschaftslos ist, wie wollen wir da aus rein materiellen Bedingungen
die geistige Thatsache des Ich erklären, jene Gewißheit von etwas, das nur
in sich selbst ruht und Subjekt von allem ist, was es erfährt und thut. d. h. was
in das Ich eingeht und was von ihm ausgeht? Da reicht keine, auch nicht die
genaueste Kenntnis der Hirnatome zu. Wenn also schon das Problem der
Sinnesempfindung die Grenze ist, bis zu der die Kenntnis der Mechanik nur
führt, noch mehr stellt das Problem des Ich allem Verstehen desselben aus
materiellen Bedingungen eine Schranke entgegen. Darum erweitertauch hierDubois-
Neymond mit vollem Rechte sein iFnoramus zu einem Ixuoradimus. Die Rätsel
der Körperwelt mögen, wie sie das thun, uns noch tausendfach in unermessener
Höhe und Tiefe umgeben, aber in diese Körperwelt und ihre Bedingungen kann


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[0165] Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Lrkennens. zeugung möglich ist? Was zumal die Zeugung aus Bathybiusurschleim an¬ langt, so ist auch diese Hypothese, wenn man sie für ^noratio asouivoog, be¬ nutzen will, durch so besonnene Forscher wie den Zoologen Möbius in Berlin als beseitigt anzusehen. Soweit thut sich auch hier ganz dieselbe Kluft auf, „über die kein Steg, kein Fittig trägt." Und darum wäre es, wie gesagt, ge¬ nauer, ein dreifaches Unbegreifliches für das Naturerkennen zu setzen. Mit dem Bewußtsein in seiner höchsten uns bekannten, der menschlichen Form, ist in der That etwas ganz Neues, das, was wir im Unterschiede von der tierischen Seele Geist nennen, gegeben, ein Etwas, mit dem eine neue Reihe der Wesen beginnt und durch das der Mensch für das Tier selber ein höheres Wesen, wenn man so will, sein Gott, seine Religion wird. Indessen, es kann uns hier nicht weiter darauf ankommen, den Unterschied zwischen Empfinden und Bewußtsein festzu¬ setzen; für die Erledigung unsers Gegenstandes können wir immerhin das eine nur als eine höhere Stufe des andern betrachten, um das festzuhalten, daß das eine wie das andre nicht aus materiellen Bedingungen zu begreifen ist. Wir wissen, daß unsre geistige Thätigkeit freilich an das Gehirn gebunden ist, aber alle Kenntnis der Beschaffenheit des Gehirns enthüllt uns schlechterdings nichts darin, als nur Materie; aber „durch keine zu ersinnende Anordnung oder Be¬ wegung materieller Teilchen läßt sich eine Brücke ins Reich des Bewußtseins schlagen." Mögen die geistigen Vorgänge immerhin an materielle im Gehirn gebunden sein, darum aus den einen für die andern einen zureichenden Grund zu entnehmen, wie das C. Vogt thut, wenn er das Denken als eine Absonderung des Gehirns ansieht, das ist selber unzureichendes Denken. Wir können wohl sagen, daß mit gewissen äußern Bedingungen und Vorgängen auch solche des Geistes¬ lebens zugleich gesetzt sind, wie dies bereits Geulincx und Malebranche wußten und zum Ausgangspunkte ihrer Forschungen machten, aber wir können nicht sagen, weder daß das Geistesleben erst durch diese äußern Bedingungen zu stände kommt, noch wie das geschieht. Wenn wir nicht einmal begreifen können, wie es kommt, daß unser Sehvermögen eine farbengltthende, und unser Gehörsinn eine tönende Welt vernimmt, während diese doch an sich „finster und stumm," d. h. eigenschaftslos ist, wie wollen wir da aus rein materiellen Bedingungen die geistige Thatsache des Ich erklären, jene Gewißheit von etwas, das nur in sich selbst ruht und Subjekt von allem ist, was es erfährt und thut. d. h. was in das Ich eingeht und was von ihm ausgeht? Da reicht keine, auch nicht die genaueste Kenntnis der Hirnatome zu. Wenn also schon das Problem der Sinnesempfindung die Grenze ist, bis zu der die Kenntnis der Mechanik nur führt, noch mehr stellt das Problem des Ich allem Verstehen desselben aus materiellen Bedingungen eine Schranke entgegen. Darum erweitertauch hierDubois- Neymond mit vollem Rechte sein iFnoramus zu einem Ixuoradimus. Die Rätsel der Körperwelt mögen, wie sie das thun, uns noch tausendfach in unermessener Höhe und Tiefe umgeben, aber in diese Körperwelt und ihre Bedingungen kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/165>, abgerufen am 22.07.2024.