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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens.

beides zu verwechseln ein Denkfehler ist, wird sich, wie wir hoffen, aus unsern
Erörterungen ergeben. Dieser Fehler des Denkens, der in den fünfziger Jahren
diejenigen, welche der Naturwissenschaft angehörten oder auch anzugehören ver¬
meinten, oft in einen unsinnigen Taumel versetzte, fand in der Erklärung
C. Vogts seinen bezeichnendsten Ausdruck, daß die Seelenthätigkeiten nur
Funktionen des Gehirns seien und die Gedanken in demselben Verhältnis zum
Gehirn stünden, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren. Also
die Seelenthätigkeiten und damit die Seele selbst ist darnach nur Absonderung
des Gehirns. Das Buch, worin so gesprochen wurde, "Köhlerglaube und
Wissenschaft," war Jahre lang das Evangelium nicht bloß der lockern Geister,
sondern auch aller der Laien, die unbefriedigt waren von den Ergebnissen
eines unfruchtbaren, abstrakten Denkens, wie es nach Kant die Spekulation
zumeist bot. Unbekannt mit einem historisch gebildeten philosophischen Denken,
das den Blick auf das Ganze der Leistungen menschlicher Geistesthätigkeit
gerichtet hält und so sich sicher zurecht findet, suchten sie eine Erkenntnis der
letzten Fragen bei den Naturwissenschaften und, wie das bei Suchenden zu
geschehen pflegt, glaubten sie nur denen, die diese Erkenntnis gefunden zu
haben behaupteten, obgleich, wie gesagt, dieser Fund in einem Nichts bestand.
Indessen das Forschen nach Wahrheit trägt überall in sich selbst den besten
Kompaß zur Auffindung des rechten Weges. Und so traten auch, nachdem
die Periode vermessenen Anstürmens in den Naturwissenschaften vorüber war,
aus dieser selbst Männer auf, die auch philosophisch genügend gebildet, ihre
Gedanken soweit in logische Zucht zu nehmen wußten, daß sie die Grenzen
ihres Gebietes abzustecken für eine und zwar die erste heilsame Aufgabe ihres
naturphilosophischen Forschens erkannten. Der genannte Vortrag von Dubois-
Neymond war hier epochemachend. Gerade daß eine solche Berühmtheit der
Naturwissenschaft selbst auf die Fehler hinwies, die diese Wissenschaft damit
machte, daß sie Hypothesen für ausgemachte Wahrheiten nahm, mußte viele
Forscher auf diesem Gebiete zur Besinnung bringen. Es waren aber zwei
Irrtümer über die Grenzen des Naturerkennens, die Dubois-Reymond als sehr
verbreitet bezeichnete. Von ihnen sind viele Geister auch heutzutage noch beherrscht,
und darum ist es wohl gerechtfertigt, immer wieder darauf hinzuweisen, daß
hier eben Irrtümer walten, und daß, wer sich ihnen hingiebt, notwendig eine
Irrfahrt in die Wüste unternimmt.

Der erste Irrtum ist der, daß man glaubt, mit dem Erkennen der Körper¬
welt durch die theoretische Naturwissenschaft auch das Wesen der Materie und,
wie man gleich noch hinzunimmt, der Kraft erkannt und "das, was hier im
Raume spukt," erfaßt zu haben. Wie steht es mit diesem Glauben?

Es mag sein, daß der Naturforscher als solcher sein Kausalitätsbedttrfnis
befriedigt fühlt, wenn er die Veränderungen in der Körperwelt auf die Bewe¬
gungen von Atomen oder auf deren Zentralkräfte zurückgeführt und die Natur-


Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens.

beides zu verwechseln ein Denkfehler ist, wird sich, wie wir hoffen, aus unsern
Erörterungen ergeben. Dieser Fehler des Denkens, der in den fünfziger Jahren
diejenigen, welche der Naturwissenschaft angehörten oder auch anzugehören ver¬
meinten, oft in einen unsinnigen Taumel versetzte, fand in der Erklärung
C. Vogts seinen bezeichnendsten Ausdruck, daß die Seelenthätigkeiten nur
Funktionen des Gehirns seien und die Gedanken in demselben Verhältnis zum
Gehirn stünden, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren. Also
die Seelenthätigkeiten und damit die Seele selbst ist darnach nur Absonderung
des Gehirns. Das Buch, worin so gesprochen wurde, „Köhlerglaube und
Wissenschaft," war Jahre lang das Evangelium nicht bloß der lockern Geister,
sondern auch aller der Laien, die unbefriedigt waren von den Ergebnissen
eines unfruchtbaren, abstrakten Denkens, wie es nach Kant die Spekulation
zumeist bot. Unbekannt mit einem historisch gebildeten philosophischen Denken,
das den Blick auf das Ganze der Leistungen menschlicher Geistesthätigkeit
gerichtet hält und so sich sicher zurecht findet, suchten sie eine Erkenntnis der
letzten Fragen bei den Naturwissenschaften und, wie das bei Suchenden zu
geschehen pflegt, glaubten sie nur denen, die diese Erkenntnis gefunden zu
haben behaupteten, obgleich, wie gesagt, dieser Fund in einem Nichts bestand.
Indessen das Forschen nach Wahrheit trägt überall in sich selbst den besten
Kompaß zur Auffindung des rechten Weges. Und so traten auch, nachdem
die Periode vermessenen Anstürmens in den Naturwissenschaften vorüber war,
aus dieser selbst Männer auf, die auch philosophisch genügend gebildet, ihre
Gedanken soweit in logische Zucht zu nehmen wußten, daß sie die Grenzen
ihres Gebietes abzustecken für eine und zwar die erste heilsame Aufgabe ihres
naturphilosophischen Forschens erkannten. Der genannte Vortrag von Dubois-
Neymond war hier epochemachend. Gerade daß eine solche Berühmtheit der
Naturwissenschaft selbst auf die Fehler hinwies, die diese Wissenschaft damit
machte, daß sie Hypothesen für ausgemachte Wahrheiten nahm, mußte viele
Forscher auf diesem Gebiete zur Besinnung bringen. Es waren aber zwei
Irrtümer über die Grenzen des Naturerkennens, die Dubois-Reymond als sehr
verbreitet bezeichnete. Von ihnen sind viele Geister auch heutzutage noch beherrscht,
und darum ist es wohl gerechtfertigt, immer wieder darauf hinzuweisen, daß
hier eben Irrtümer walten, und daß, wer sich ihnen hingiebt, notwendig eine
Irrfahrt in die Wüste unternimmt.

Der erste Irrtum ist der, daß man glaubt, mit dem Erkennen der Körper¬
welt durch die theoretische Naturwissenschaft auch das Wesen der Materie und,
wie man gleich noch hinzunimmt, der Kraft erkannt und „das, was hier im
Raume spukt," erfaßt zu haben. Wie steht es mit diesem Glauben?

Es mag sein, daß der Naturforscher als solcher sein Kausalitätsbedttrfnis
befriedigt fühlt, wenn er die Veränderungen in der Körperwelt auf die Bewe¬
gungen von Atomen oder auf deren Zentralkräfte zurückgeführt und die Natur-


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[0160] Die Grenzen des naturwissenschaftlichen Grkennens. beides zu verwechseln ein Denkfehler ist, wird sich, wie wir hoffen, aus unsern Erörterungen ergeben. Dieser Fehler des Denkens, der in den fünfziger Jahren diejenigen, welche der Naturwissenschaft angehörten oder auch anzugehören ver¬ meinten, oft in einen unsinnigen Taumel versetzte, fand in der Erklärung C. Vogts seinen bezeichnendsten Ausdruck, daß die Seelenthätigkeiten nur Funktionen des Gehirns seien und die Gedanken in demselben Verhältnis zum Gehirn stünden, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren. Also die Seelenthätigkeiten und damit die Seele selbst ist darnach nur Absonderung des Gehirns. Das Buch, worin so gesprochen wurde, „Köhlerglaube und Wissenschaft," war Jahre lang das Evangelium nicht bloß der lockern Geister, sondern auch aller der Laien, die unbefriedigt waren von den Ergebnissen eines unfruchtbaren, abstrakten Denkens, wie es nach Kant die Spekulation zumeist bot. Unbekannt mit einem historisch gebildeten philosophischen Denken, das den Blick auf das Ganze der Leistungen menschlicher Geistesthätigkeit gerichtet hält und so sich sicher zurecht findet, suchten sie eine Erkenntnis der letzten Fragen bei den Naturwissenschaften und, wie das bei Suchenden zu geschehen pflegt, glaubten sie nur denen, die diese Erkenntnis gefunden zu haben behaupteten, obgleich, wie gesagt, dieser Fund in einem Nichts bestand. Indessen das Forschen nach Wahrheit trägt überall in sich selbst den besten Kompaß zur Auffindung des rechten Weges. Und so traten auch, nachdem die Periode vermessenen Anstürmens in den Naturwissenschaften vorüber war, aus dieser selbst Männer auf, die auch philosophisch genügend gebildet, ihre Gedanken soweit in logische Zucht zu nehmen wußten, daß sie die Grenzen ihres Gebietes abzustecken für eine und zwar die erste heilsame Aufgabe ihres naturphilosophischen Forschens erkannten. Der genannte Vortrag von Dubois- Neymond war hier epochemachend. Gerade daß eine solche Berühmtheit der Naturwissenschaft selbst auf die Fehler hinwies, die diese Wissenschaft damit machte, daß sie Hypothesen für ausgemachte Wahrheiten nahm, mußte viele Forscher auf diesem Gebiete zur Besinnung bringen. Es waren aber zwei Irrtümer über die Grenzen des Naturerkennens, die Dubois-Reymond als sehr verbreitet bezeichnete. Von ihnen sind viele Geister auch heutzutage noch beherrscht, und darum ist es wohl gerechtfertigt, immer wieder darauf hinzuweisen, daß hier eben Irrtümer walten, und daß, wer sich ihnen hingiebt, notwendig eine Irrfahrt in die Wüste unternimmt. Der erste Irrtum ist der, daß man glaubt, mit dem Erkennen der Körper¬ welt durch die theoretische Naturwissenschaft auch das Wesen der Materie und, wie man gleich noch hinzunimmt, der Kraft erkannt und „das, was hier im Raume spukt," erfaßt zu haben. Wie steht es mit diesem Glauben? Es mag sein, daß der Naturforscher als solcher sein Kausalitätsbedttrfnis befriedigt fühlt, wenn er die Veränderungen in der Körperwelt auf die Bewe¬ gungen von Atomen oder auf deren Zentralkräfte zurückgeführt und die Natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/160>, abgerufen am 30.06.2024.