Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

Vielmehr verdient die auch von Dohme und Lübke anerkannte Zeitbestimmung
(seit 1082) als die wahrscheinlichere angenommen zu werden. Aber selbst dann
bleibt nach unsrer Datirung die Priorität des Speyerer Doms gewahrt, und
die Lacicher Kirche, deren Grundsteinlegung frühestens 1092 augesetzt werden
kann, und bei der die klare Folgerichtigkeit der Gewölbeanlage ohnehin auf
vorhergegangene Versuche hinweist, dürfen wir vollends nicht mit Lübke als
die eigentlich bahnbrechende Schöpfung für den romanischen Gewölbebau be¬
trachten.

Für die Geschichte der deutschen Plastik bedeutet das dreizehnte Jahrhundert,
in welchem das französische Strebesystem eine Umwandlung der Baukunst her¬
vorruft, die eigentliche Zeit der Reife und Ausgestaltung der romanischen Keime.
Hier erkennen wir, wie unabhängig von einander die verschiedenen Künste sich
Bahn brechen und wie sehr gerechtfertigt daher die geschichtliche Einzelbehandlung
der verschiedenen Kunstzweige ist. Knackfuß sieht sich gezwungen, die Dokumente
der ersten Blütezeit deutscher Plastik zwischen die Schilderung des romanischen
und des gotischen Stiles hineinzuklemmen, während sie zeitlich in die gemeinhin
als gotisch bezeichnete Periode gehören. Die Neuenburger Bildwerke z. B.
schmücken die Wände eines gotischen Chors, stehen unter gotischen Taber¬
nakeln, und doch würde die Bezeichnung "gotische Plastik" für sie durchaus
nicht zutreffen. Man hat früher den erstaunlichen Aufschwung der deutschen,
insbesondre der mitteldeutschen Bildnerei auf Beziehungen der Hohenstaufen zu
Italien zurückführen wollen; doch kann diese Ansicht selbst mit der Ein¬
schränkung Bodes (S. 40) kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, wenigstens
erklärt sie nicht mehr und nicht weniger, als die oberflächlichen Redensarten,
mit denen Knackfuß sein Kapitel von der ersten Blütezeit der bildenden Künste
(S. 232) einleitet. Richtiger leitet uns wohl auch hier der technische Gesichts¬
punkt, unter dem Vode die überraschende Erscheinung betrachtet: Sandstein
und Stuck treten an die Stelle des früher bevorzugten Erzes. Dabei begegnete
freilich Bode der Irrtum, die aus Holz geschnitzte Kreuzigungsgruppe zu Wechsel¬
burg zu einem Werke der Thonplastik zu machen, was ebenso häufig behauptet,
wie widerlegt worden ist.

Da mit der romanischen Kunst die bisher erschienenen vier Lieferungen des
Lübkeschcn Werkes abschließen, heben wir uns die Fortsetzung dieser gemein¬
samen Besprechung bis zum erfolgten Abschluß aller drei Werke auf, in der
angenehmen Hoffnung, dann vielleicht einen Teil unsrer Bedenken beschränken
und unsre beistimmende Anerkennung verallgemeinern zu können.




Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.

Vielmehr verdient die auch von Dohme und Lübke anerkannte Zeitbestimmung
(seit 1082) als die wahrscheinlichere angenommen zu werden. Aber selbst dann
bleibt nach unsrer Datirung die Priorität des Speyerer Doms gewahrt, und
die Lacicher Kirche, deren Grundsteinlegung frühestens 1092 augesetzt werden
kann, und bei der die klare Folgerichtigkeit der Gewölbeanlage ohnehin auf
vorhergegangene Versuche hinweist, dürfen wir vollends nicht mit Lübke als
die eigentlich bahnbrechende Schöpfung für den romanischen Gewölbebau be¬
trachten.

Für die Geschichte der deutschen Plastik bedeutet das dreizehnte Jahrhundert,
in welchem das französische Strebesystem eine Umwandlung der Baukunst her¬
vorruft, die eigentliche Zeit der Reife und Ausgestaltung der romanischen Keime.
Hier erkennen wir, wie unabhängig von einander die verschiedenen Künste sich
Bahn brechen und wie sehr gerechtfertigt daher die geschichtliche Einzelbehandlung
der verschiedenen Kunstzweige ist. Knackfuß sieht sich gezwungen, die Dokumente
der ersten Blütezeit deutscher Plastik zwischen die Schilderung des romanischen
und des gotischen Stiles hineinzuklemmen, während sie zeitlich in die gemeinhin
als gotisch bezeichnete Periode gehören. Die Neuenburger Bildwerke z. B.
schmücken die Wände eines gotischen Chors, stehen unter gotischen Taber¬
nakeln, und doch würde die Bezeichnung „gotische Plastik" für sie durchaus
nicht zutreffen. Man hat früher den erstaunlichen Aufschwung der deutschen,
insbesondre der mitteldeutschen Bildnerei auf Beziehungen der Hohenstaufen zu
Italien zurückführen wollen; doch kann diese Ansicht selbst mit der Ein¬
schränkung Bodes (S. 40) kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, wenigstens
erklärt sie nicht mehr und nicht weniger, als die oberflächlichen Redensarten,
mit denen Knackfuß sein Kapitel von der ersten Blütezeit der bildenden Künste
(S. 232) einleitet. Richtiger leitet uns wohl auch hier der technische Gesichts¬
punkt, unter dem Vode die überraschende Erscheinung betrachtet: Sandstein
und Stuck treten an die Stelle des früher bevorzugten Erzes. Dabei begegnete
freilich Bode der Irrtum, die aus Holz geschnitzte Kreuzigungsgruppe zu Wechsel¬
burg zu einem Werke der Thonplastik zu machen, was ebenso häufig behauptet,
wie widerlegt worden ist.

Da mit der romanischen Kunst die bisher erschienenen vier Lieferungen des
Lübkeschcn Werkes abschließen, heben wir uns die Fortsetzung dieser gemein¬
samen Besprechung bis zum erfolgten Abschluß aller drei Werke auf, in der
angenehmen Hoffnung, dann vielleicht einen Teil unsrer Bedenken beschränken
und unsre beistimmende Anerkennung verallgemeinern zu können.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203581"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321"> Vielmehr verdient die auch von Dohme und Lübke anerkannte Zeitbestimmung<lb/>
(seit 1082) als die wahrscheinlichere angenommen zu werden. Aber selbst dann<lb/>
bleibt nach unsrer Datirung die Priorität des Speyerer Doms gewahrt, und<lb/>
die Lacicher Kirche, deren Grundsteinlegung frühestens 1092 augesetzt werden<lb/>
kann, und bei der die klare Folgerichtigkeit der Gewölbeanlage ohnehin auf<lb/>
vorhergegangene Versuche hinweist, dürfen wir vollends nicht mit Lübke als<lb/>
die eigentlich bahnbrechende Schöpfung für den romanischen Gewölbebau be¬<lb/>
trachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_323"> Für die Geschichte der deutschen Plastik bedeutet das dreizehnte Jahrhundert,<lb/>
in welchem das französische Strebesystem eine Umwandlung der Baukunst her¬<lb/>
vorruft, die eigentliche Zeit der Reife und Ausgestaltung der romanischen Keime.<lb/>
Hier erkennen wir, wie unabhängig von einander die verschiedenen Künste sich<lb/>
Bahn brechen und wie sehr gerechtfertigt daher die geschichtliche Einzelbehandlung<lb/>
der verschiedenen Kunstzweige ist. Knackfuß sieht sich gezwungen, die Dokumente<lb/>
der ersten Blütezeit deutscher Plastik zwischen die Schilderung des romanischen<lb/>
und des gotischen Stiles hineinzuklemmen, während sie zeitlich in die gemeinhin<lb/>
als gotisch bezeichnete Periode gehören. Die Neuenburger Bildwerke z. B.<lb/>
schmücken die Wände eines gotischen Chors, stehen unter gotischen Taber¬<lb/>
nakeln, und doch würde die Bezeichnung &#x201E;gotische Plastik" für sie durchaus<lb/>
nicht zutreffen. Man hat früher den erstaunlichen Aufschwung der deutschen,<lb/>
insbesondre der mitteldeutschen Bildnerei auf Beziehungen der Hohenstaufen zu<lb/>
Italien zurückführen wollen; doch kann diese Ansicht selbst mit der Ein¬<lb/>
schränkung Bodes (S. 40) kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, wenigstens<lb/>
erklärt sie nicht mehr und nicht weniger, als die oberflächlichen Redensarten,<lb/>
mit denen Knackfuß sein Kapitel von der ersten Blütezeit der bildenden Künste<lb/>
(S. 232) einleitet. Richtiger leitet uns wohl auch hier der technische Gesichts¬<lb/>
punkt, unter dem Vode die überraschende Erscheinung betrachtet: Sandstein<lb/>
und Stuck treten an die Stelle des früher bevorzugten Erzes. Dabei begegnete<lb/>
freilich Bode der Irrtum, die aus Holz geschnitzte Kreuzigungsgruppe zu Wechsel¬<lb/>
burg zu einem Werke der Thonplastik zu machen, was ebenso häufig behauptet,<lb/>
wie widerlegt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_324"> Da mit der romanischen Kunst die bisher erschienenen vier Lieferungen des<lb/>
Lübkeschcn Werkes abschließen, heben wir uns die Fortsetzung dieser gemein¬<lb/>
samen Besprechung bis zum erfolgten Abschluß aller drei Werke auf, in der<lb/>
angenehmen Hoffnung, dann vielleicht einen Teil unsrer Bedenken beschränken<lb/>
und unsre beistimmende Anerkennung verallgemeinern zu können.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Die neuesten Darstellungen der deutschen Kunstgeschichte. Vielmehr verdient die auch von Dohme und Lübke anerkannte Zeitbestimmung (seit 1082) als die wahrscheinlichere angenommen zu werden. Aber selbst dann bleibt nach unsrer Datirung die Priorität des Speyerer Doms gewahrt, und die Lacicher Kirche, deren Grundsteinlegung frühestens 1092 augesetzt werden kann, und bei der die klare Folgerichtigkeit der Gewölbeanlage ohnehin auf vorhergegangene Versuche hinweist, dürfen wir vollends nicht mit Lübke als die eigentlich bahnbrechende Schöpfung für den romanischen Gewölbebau be¬ trachten. Für die Geschichte der deutschen Plastik bedeutet das dreizehnte Jahrhundert, in welchem das französische Strebesystem eine Umwandlung der Baukunst her¬ vorruft, die eigentliche Zeit der Reife und Ausgestaltung der romanischen Keime. Hier erkennen wir, wie unabhängig von einander die verschiedenen Künste sich Bahn brechen und wie sehr gerechtfertigt daher die geschichtliche Einzelbehandlung der verschiedenen Kunstzweige ist. Knackfuß sieht sich gezwungen, die Dokumente der ersten Blütezeit deutscher Plastik zwischen die Schilderung des romanischen und des gotischen Stiles hineinzuklemmen, während sie zeitlich in die gemeinhin als gotisch bezeichnete Periode gehören. Die Neuenburger Bildwerke z. B. schmücken die Wände eines gotischen Chors, stehen unter gotischen Taber¬ nakeln, und doch würde die Bezeichnung „gotische Plastik" für sie durchaus nicht zutreffen. Man hat früher den erstaunlichen Aufschwung der deutschen, insbesondre der mitteldeutschen Bildnerei auf Beziehungen der Hohenstaufen zu Italien zurückführen wollen; doch kann diese Ansicht selbst mit der Ein¬ schränkung Bodes (S. 40) kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen, wenigstens erklärt sie nicht mehr und nicht weniger, als die oberflächlichen Redensarten, mit denen Knackfuß sein Kapitel von der ersten Blütezeit der bildenden Künste (S. 232) einleitet. Richtiger leitet uns wohl auch hier der technische Gesichts¬ punkt, unter dem Vode die überraschende Erscheinung betrachtet: Sandstein und Stuck treten an die Stelle des früher bevorzugten Erzes. Dabei begegnete freilich Bode der Irrtum, die aus Holz geschnitzte Kreuzigungsgruppe zu Wechsel¬ burg zu einem Werke der Thonplastik zu machen, was ebenso häufig behauptet, wie widerlegt worden ist. Da mit der romanischen Kunst die bisher erschienenen vier Lieferungen des Lübkeschcn Werkes abschließen, heben wir uns die Fortsetzung dieser gemein¬ samen Besprechung bis zum erfolgten Abschluß aller drei Werke auf, in der angenehmen Hoffnung, dann vielleicht einen Teil unsrer Bedenken beschränken und unsre beistimmende Anerkennung verallgemeinern zu können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/146>, abgerufen am 26.06.2024.