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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die neuesten Darstellungen der deutschen Uunstgeschichte.

unser Urteil einseitig nach den erhaltenen Prachtschöpfungen der karolingischen
Hofkunst zu bilden, auch ist die frühkarolingische Zeit von der spätkarolingischen
nicht scharf genug geschieden (ein Vorwurf, der auch die neuesten drei Dar¬
stellungen mit Ausnahme der Geschichte der Malerei von Janitschek trifft), um
der Entwicklung dieses so interessanten Zeitabschnittes völlig gerecht werden zu
können. Auch bricht diese Entwicklung, die ihre Ausläufer bis in das
elfte Jcchrhurdert hincinsendet, ziemlich unvermittelt ab, um dem Aufleben einer
neuen christlichen und im engern Sinne mittelalterlichen Auffassung Platz zu
machen. Am klarsten und eindringlichsten hat Dohme den nach seinem Ausdruck
durch "das Aufkommen der mönchstheokratischen Ideen" hervorgerufenen Um¬
schwung zu Anfang des elften Jahrhunderts geschildert, indem er sich damit zu
einer Auffassung bekennt, der zuerst, wenn wir nicht irren, Anton Springer in
seiner Studie über die deutsche Kunst des zehnten Jahrhunderts Geltung ver¬
schaffte. Bode markirt zwar auch die Wende des ersten Jahrtausends durch
einen neuen Abschnitt, worin er die Schicksale der um diese Zeit sich entfal¬
tenden monumentalen Bildnerkunst bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts
zusammenfaßt; doch ist es bezeichnend für seine Auffassung der Aufgabe, daß
er das Aufkommen einer leitenden bildnerischen Technik, des Erzgusses, anstatt
der politischen und geistigen Umwälzungen, zum Ausgangspunkte seiner Dar¬
stellung wählt. Diese seine Art der "Kunstgeschichte aus den Denkmälern,"
denen er freilich mehr als die meisten andern abzufragen versteht, darf man
aber nur mit der Darstellungsform von Knackfuß vergleichen, um sie zu würdigen.
Auch Knackfuß beschränkt sich auf die Aneinanderreihung einzelner Beschreibungen
von Denkmälern, er sieht oft mit dem Feinblick eines Künstlers Einzelheiten,
die er mit anregender Frische seinen Lesern zu schildern weiß, und doch wollen
sich seine Schilderungen nicht zu einem klaren Bilde geschichtlicher Entwicklung
ordnen, das willkürliche und unorganische Gefüge seiner Darstellung tritt überall
zu Tage. Bei Bode ordnen sich die Einzelvorstellungen zu klaren Bildern der
verschiedenen Schulen und Richtungen, wir empfinden überall, trotz einzelner
Nachlässigkeiten, die sichere Führung eines kundigen Forschers, während uns die
Lektüre des Werkes von Knackfuß den Eindruck einer willkürlichen Flucht von
Wandelbildern hinterläßt. Lübke läßt uns die Gewandtheit eines bewährten
Schriftstellers nicht vermissen, aber der eindringende Blick, das treffende Wort
für Stilunterschiede, wie wir sie bei Bode und Knackfuß finden, fehlt; selbst
seinen eignen ältern Werken gegenüber ist eine gewisse Farblosigkeit, die nicht
mit Objektivität zu verwechseln ist, schwer abzuleugnen.

Doch wenden wir uns wieder zum Einzelnen. Von eingreifender Be¬
deutung für die Entwicklung der mittelalterlichen Baukunst in Deutschland ist
die rheinische Baugruppe des frühromanischen Stiles, aus der die drei
mittelrheinischen Dome von Worms, Mainz und Speyer schon durch ihre
historischen Erinnerungen ein besonders Anrecht auf den Namen deutscher


Die neuesten Darstellungen der deutschen Uunstgeschichte.

unser Urteil einseitig nach den erhaltenen Prachtschöpfungen der karolingischen
Hofkunst zu bilden, auch ist die frühkarolingische Zeit von der spätkarolingischen
nicht scharf genug geschieden (ein Vorwurf, der auch die neuesten drei Dar¬
stellungen mit Ausnahme der Geschichte der Malerei von Janitschek trifft), um
der Entwicklung dieses so interessanten Zeitabschnittes völlig gerecht werden zu
können. Auch bricht diese Entwicklung, die ihre Ausläufer bis in das
elfte Jcchrhurdert hincinsendet, ziemlich unvermittelt ab, um dem Aufleben einer
neuen christlichen und im engern Sinne mittelalterlichen Auffassung Platz zu
machen. Am klarsten und eindringlichsten hat Dohme den nach seinem Ausdruck
durch „das Aufkommen der mönchstheokratischen Ideen" hervorgerufenen Um¬
schwung zu Anfang des elften Jahrhunderts geschildert, indem er sich damit zu
einer Auffassung bekennt, der zuerst, wenn wir nicht irren, Anton Springer in
seiner Studie über die deutsche Kunst des zehnten Jahrhunderts Geltung ver¬
schaffte. Bode markirt zwar auch die Wende des ersten Jahrtausends durch
einen neuen Abschnitt, worin er die Schicksale der um diese Zeit sich entfal¬
tenden monumentalen Bildnerkunst bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts
zusammenfaßt; doch ist es bezeichnend für seine Auffassung der Aufgabe, daß
er das Aufkommen einer leitenden bildnerischen Technik, des Erzgusses, anstatt
der politischen und geistigen Umwälzungen, zum Ausgangspunkte seiner Dar¬
stellung wählt. Diese seine Art der „Kunstgeschichte aus den Denkmälern,"
denen er freilich mehr als die meisten andern abzufragen versteht, darf man
aber nur mit der Darstellungsform von Knackfuß vergleichen, um sie zu würdigen.
Auch Knackfuß beschränkt sich auf die Aneinanderreihung einzelner Beschreibungen
von Denkmälern, er sieht oft mit dem Feinblick eines Künstlers Einzelheiten,
die er mit anregender Frische seinen Lesern zu schildern weiß, und doch wollen
sich seine Schilderungen nicht zu einem klaren Bilde geschichtlicher Entwicklung
ordnen, das willkürliche und unorganische Gefüge seiner Darstellung tritt überall
zu Tage. Bei Bode ordnen sich die Einzelvorstellungen zu klaren Bildern der
verschiedenen Schulen und Richtungen, wir empfinden überall, trotz einzelner
Nachlässigkeiten, die sichere Führung eines kundigen Forschers, während uns die
Lektüre des Werkes von Knackfuß den Eindruck einer willkürlichen Flucht von
Wandelbildern hinterläßt. Lübke läßt uns die Gewandtheit eines bewährten
Schriftstellers nicht vermissen, aber der eindringende Blick, das treffende Wort
für Stilunterschiede, wie wir sie bei Bode und Knackfuß finden, fehlt; selbst
seinen eignen ältern Werken gegenüber ist eine gewisse Farblosigkeit, die nicht
mit Objektivität zu verwechseln ist, schwer abzuleugnen.

Doch wenden wir uns wieder zum Einzelnen. Von eingreifender Be¬
deutung für die Entwicklung der mittelalterlichen Baukunst in Deutschland ist
die rheinische Baugruppe des frühromanischen Stiles, aus der die drei
mittelrheinischen Dome von Worms, Mainz und Speyer schon durch ihre
historischen Erinnerungen ein besonders Anrecht auf den Namen deutscher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/144>, abgerufen am 01.07.2024.