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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Schopenhauer.

knüpfte dieser denn gern mit dem jungen Philosophen einen innigen Austausch
der Gedanken an, und zwar weihte er ihn in seine Farbenlehre ein. War
diese doch das Gebiet, auf dem der Dichter zu einer sichern Methode der
wissenschaftlichen Forschung zu gelangen suchte und auf dem ihm gleichgesinnte
Denker sehr willkommene Weggenossen waren. Schopenhauer überließ sich mit
jugendlicher Begeisterung der Führung des geliebten Meisters und hat ihm
diese Verehrung trotz späterer Meinungsverschiedenheiten treu bewahrt bis zum
Tode. Goethe war einer der wenigen, die er nicht schmähte, und dies ist um
so merkwürdiger, als Goethe später sich ziemlich kalt und ablehnend gegen ihn
verhielt. Zum Teil läßt es sich freilich daraus erklären, daß Schopenhauer
großen Dichtern gegenüber sich nicht leicht zur Kritik hinreißen ließ. Auch
Shakespeare und Byron führt er nur an, wenn er ihnen beistimme. Aber
Goethe ist wie Kant und Plato und vielleicht mehr noch als diese ein Leit¬
stern seines Lebens, ihm fühlt er sich geistesverwandt, zu ihm kehren alle seine
Betrachtungen immer wieder zurück, wie zu einem Universalbeweise. Nur darf
man ihn nicht als Goethes Schüler und seine Philosophie nicht als eine Frucht
der Goethischen Forschungsmethvde hinstellen, wie es Hcirpf in seinem Aufsatze
"Schopenhauer und Goethe" (Philosophische Monatshefte von Schaarschmidt,
21. Band, 8. Heft, 1885) gethan hat. Sie berührten sich in ihrem Anschauen
und Denken, in Methode und Ergebnissen vielfach, aber sie wichen in den
wichtigsten Dingen auch sehr weit von einander ab. Vor allem war Goethe
nichts weniger als ein geschulter Philosoph. "Von der Philosophie habe ich
mich selbst immer frei erhalten, der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes
war auch der meinige," sagte er drei Jahre vor seinem Tode zu Eckermann.
Und anderseits stand Schopenhauer in Bezug auf Feinheit der Beobachtung
der Natur sowohl, als auch des Menschenlebens weit hinter Goethe zurück.
Daran wird man sich immer erinnern müssen, wenn man beide vergleicht.

Als Schopenhauer Weimar verließ, schrieb ihm Goethe ins Stammbuch:


Willst du dich deines Wertes freuen,
Dann mußt der Welt du Wert verleihen.

Also gerade das Gegenteil dessen, was später den ethischen Kern von Schopen¬
hauers Philosophie ausmachte. Im metaphysischen Sinne ist allerdings eine
Berührung der beiderseitigen Grundansichten unverkennbar. Der Spruch streift
sehr fühlbar die idealistische Weltanschauung überhaupt, aber er streift sie nur,
den sichern Boden der Realität verläßt er nicht. So drückt schon diese Sen¬
tenz die Stellung Goethes zu Schopenhauer mit überraschender Deutlichkeit
aus. Ohne Zweifel waren über metaphysische und ethische Fragen zwischen
ihnen bereits Verhandlungen gepflogen worden.

Schopenhauer wandte sich nach Dresden. Hier schlössen sich die optischen
Studien, die er unter Goethes Leitung in Weimar gemacht hatte, zu einem
selbständigen und eigenartigen Endergebnis zusammen, das er in der AbHand-


Goethe und Schopenhauer.

knüpfte dieser denn gern mit dem jungen Philosophen einen innigen Austausch
der Gedanken an, und zwar weihte er ihn in seine Farbenlehre ein. War
diese doch das Gebiet, auf dem der Dichter zu einer sichern Methode der
wissenschaftlichen Forschung zu gelangen suchte und auf dem ihm gleichgesinnte
Denker sehr willkommene Weggenossen waren. Schopenhauer überließ sich mit
jugendlicher Begeisterung der Führung des geliebten Meisters und hat ihm
diese Verehrung trotz späterer Meinungsverschiedenheiten treu bewahrt bis zum
Tode. Goethe war einer der wenigen, die er nicht schmähte, und dies ist um
so merkwürdiger, als Goethe später sich ziemlich kalt und ablehnend gegen ihn
verhielt. Zum Teil läßt es sich freilich daraus erklären, daß Schopenhauer
großen Dichtern gegenüber sich nicht leicht zur Kritik hinreißen ließ. Auch
Shakespeare und Byron führt er nur an, wenn er ihnen beistimme. Aber
Goethe ist wie Kant und Plato und vielleicht mehr noch als diese ein Leit¬
stern seines Lebens, ihm fühlt er sich geistesverwandt, zu ihm kehren alle seine
Betrachtungen immer wieder zurück, wie zu einem Universalbeweise. Nur darf
man ihn nicht als Goethes Schüler und seine Philosophie nicht als eine Frucht
der Goethischen Forschungsmethvde hinstellen, wie es Hcirpf in seinem Aufsatze
„Schopenhauer und Goethe" (Philosophische Monatshefte von Schaarschmidt,
21. Band, 8. Heft, 1885) gethan hat. Sie berührten sich in ihrem Anschauen
und Denken, in Methode und Ergebnissen vielfach, aber sie wichen in den
wichtigsten Dingen auch sehr weit von einander ab. Vor allem war Goethe
nichts weniger als ein geschulter Philosoph. „Von der Philosophie habe ich
mich selbst immer frei erhalten, der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes
war auch der meinige," sagte er drei Jahre vor seinem Tode zu Eckermann.
Und anderseits stand Schopenhauer in Bezug auf Feinheit der Beobachtung
der Natur sowohl, als auch des Menschenlebens weit hinter Goethe zurück.
Daran wird man sich immer erinnern müssen, wenn man beide vergleicht.

Als Schopenhauer Weimar verließ, schrieb ihm Goethe ins Stammbuch:


Willst du dich deines Wertes freuen,
Dann mußt der Welt du Wert verleihen.

Also gerade das Gegenteil dessen, was später den ethischen Kern von Schopen¬
hauers Philosophie ausmachte. Im metaphysischen Sinne ist allerdings eine
Berührung der beiderseitigen Grundansichten unverkennbar. Der Spruch streift
sehr fühlbar die idealistische Weltanschauung überhaupt, aber er streift sie nur,
den sichern Boden der Realität verläßt er nicht. So drückt schon diese Sen¬
tenz die Stellung Goethes zu Schopenhauer mit überraschender Deutlichkeit
aus. Ohne Zweifel waren über metaphysische und ethische Fragen zwischen
ihnen bereits Verhandlungen gepflogen worden.

Schopenhauer wandte sich nach Dresden. Hier schlössen sich die optischen
Studien, die er unter Goethes Leitung in Weimar gemacht hatte, zu einem
selbständigen und eigenartigen Endergebnis zusammen, das er in der AbHand-


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[0125] Goethe und Schopenhauer. knüpfte dieser denn gern mit dem jungen Philosophen einen innigen Austausch der Gedanken an, und zwar weihte er ihn in seine Farbenlehre ein. War diese doch das Gebiet, auf dem der Dichter zu einer sichern Methode der wissenschaftlichen Forschung zu gelangen suchte und auf dem ihm gleichgesinnte Denker sehr willkommene Weggenossen waren. Schopenhauer überließ sich mit jugendlicher Begeisterung der Führung des geliebten Meisters und hat ihm diese Verehrung trotz späterer Meinungsverschiedenheiten treu bewahrt bis zum Tode. Goethe war einer der wenigen, die er nicht schmähte, und dies ist um so merkwürdiger, als Goethe später sich ziemlich kalt und ablehnend gegen ihn verhielt. Zum Teil läßt es sich freilich daraus erklären, daß Schopenhauer großen Dichtern gegenüber sich nicht leicht zur Kritik hinreißen ließ. Auch Shakespeare und Byron führt er nur an, wenn er ihnen beistimme. Aber Goethe ist wie Kant und Plato und vielleicht mehr noch als diese ein Leit¬ stern seines Lebens, ihm fühlt er sich geistesverwandt, zu ihm kehren alle seine Betrachtungen immer wieder zurück, wie zu einem Universalbeweise. Nur darf man ihn nicht als Goethes Schüler und seine Philosophie nicht als eine Frucht der Goethischen Forschungsmethvde hinstellen, wie es Hcirpf in seinem Aufsatze „Schopenhauer und Goethe" (Philosophische Monatshefte von Schaarschmidt, 21. Band, 8. Heft, 1885) gethan hat. Sie berührten sich in ihrem Anschauen und Denken, in Methode und Ergebnissen vielfach, aber sie wichen in den wichtigsten Dingen auch sehr weit von einander ab. Vor allem war Goethe nichts weniger als ein geschulter Philosoph. „Von der Philosophie habe ich mich selbst immer frei erhalten, der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes war auch der meinige," sagte er drei Jahre vor seinem Tode zu Eckermann. Und anderseits stand Schopenhauer in Bezug auf Feinheit der Beobachtung der Natur sowohl, als auch des Menschenlebens weit hinter Goethe zurück. Daran wird man sich immer erinnern müssen, wenn man beide vergleicht. Als Schopenhauer Weimar verließ, schrieb ihm Goethe ins Stammbuch: Willst du dich deines Wertes freuen, Dann mußt der Welt du Wert verleihen. Also gerade das Gegenteil dessen, was später den ethischen Kern von Schopen¬ hauers Philosophie ausmachte. Im metaphysischen Sinne ist allerdings eine Berührung der beiderseitigen Grundansichten unverkennbar. Der Spruch streift sehr fühlbar die idealistische Weltanschauung überhaupt, aber er streift sie nur, den sichern Boden der Realität verläßt er nicht. So drückt schon diese Sen¬ tenz die Stellung Goethes zu Schopenhauer mit überraschender Deutlichkeit aus. Ohne Zweifel waren über metaphysische und ethische Fragen zwischen ihnen bereits Verhandlungen gepflogen worden. Schopenhauer wandte sich nach Dresden. Hier schlössen sich die optischen Studien, die er unter Goethes Leitung in Weimar gemacht hatte, zu einem selbständigen und eigenartigen Endergebnis zusammen, das er in der AbHand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/125>, abgerufen am 04.07.2024.