Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Goethe und Schopenhauer. Welt, ihre Sicherheit im Gebrauche fremder Sprachen machten ihr diesen Goethe und Schopenhauer. Welt, ihre Sicherheit im Gebrauche fremder Sprachen machten ihr diesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203558"/> <fw type="header" place="top"> Goethe und Schopenhauer.</fw><lb/> <p xml:id="ID_271" prev="#ID_270" next="#ID_272"> Welt, ihre Sicherheit im Gebrauche fremder Sprachen machten ihr diesen<lb/> Wechsel des Wohnortes zum Bedürfnisse. Am längsten und am liebsten weilte<lb/> sie in Weimar, wo fortwährend eine Menge geistiger Größen auf kleinem<lb/> Raume wie im Kreuzungspunkte ihrer Bahnen zusammentrafen. Im Jahre 1819<lb/> verlor sie durch den Bankerott eines Danziger Handelshauses, dem sie nach dem<lb/> Tode des Gatten ihr Vermögen anvertraut hatte, zwei Drittel ihrer Einkünfte,<lb/> was einer vollständigen Verarmung ziemlich gleichkam, da sie zur Fortsetzung<lb/> einer kostspieligen Lebensweise und in der Bedrängnis der Kriegsjahre ihr<lb/> Stammkapital bereits stark vermindert hatte. Aber sie half sich, indem sie mit<lb/> aller Entschiedenheit und dem besten Erfolge die schriftstellerische Laufbahn<lb/> betrat. Die Weimarer rühmten die Eleganz ihres Auftretens in der Gesellschaft,<lb/> ihren klaren Verstand und ihre hohe Begabung, aber sie glaubten auch zuweilen<lb/> eine gewisse Härte in ihrem Urteil zu erkennen. Schön war sie nicht, aber<lb/> höchst anziehend, selbst im Alter, als ihr braunes Haar erbleicht, ihre blauen<lb/> Augen erkaltet und ihre schlanke Gestalt durch eine hohe Schulter entstellt war.<lb/> An der Seite dieser merkwürdigen Frau lebte eine der edelsten und anziehend¬<lb/> sten weiblichen Gestalten jener Zeit, ihre Tochter Adele. Solange die Mutter noch<lb/> in dem glücklichen Bewußtsein einer gesicherten Existenz glänzend von Ort zu Ort<lb/> zog, war sie sinnend und lernend gefolgt, hatte alle Keime vornehmer Welt¬<lb/> bildung aufgenommen und mit scharfem Verstände jede Faser ihres Wesens bis<lb/> zur höchsten Ausdauer und Feinheit angespannt. Als ihre Mutter verarmte<lb/> und sie selbst bei dem Danziger Bankerott den größten Teil ihres Erbes ver¬<lb/> lor, wandte sich die ganze Energie ihres Geistes auf die Ausgestaltung ihres<lb/> an sich schon durchgebildeten Charakters. Mit gewaltigem Flügelschlage erhob<lb/> sich ihr Denken über das Scheinwesen der Welt, aber ihr Herz löste sich nicht<lb/> los von der Erde. „Mein Herz ist schwer," schreibt sie an ihren Bruder, „aber<lb/> mein Sinn ist klar, ich weiß was ich will und was ich soll. Ich bin heiter,<lb/> denn die Natur hat mir unendlichen Trost gegeben." Selten ist so viel Selb¬<lb/> ständigkeit und so viel Weichheit der Empfindung in einem weiblichen Herzen<lb/> vereinigt gewesen. Sie konnte nicht heiraten, weil sie die Menschen'zu klar<lb/> durchschaute, aber sie war licbebedürftig wie ein Kind; sie verachtete das Leben<lb/> und sehnte sich nach dem Tode, aber sie benutzte jede ungetrübte Stunde, um<lb/> sich an dem Spiele des Lebens zu ergötzen. Selbst die Fehler ihrer Mutter,<lb/> deren Lust zur Verschwendung, deren schrankenlose Geselligkeit, deren Neigung,<lb/> sich nach der Mode jener Zeit in freundschaftlichen Beziehungen zu Männern<lb/> zu gefallen, hatten sie geläutert, sie war sparsam, zurückhaltend, selbständig.<lb/> Nur eine Freundin hatte sie, der sie ganz angehörte, Goethes Schwiegertochter<lb/> Ottilie. „Mein Weg ist hart und rauh," schreibt sie 1320 an den Bruder,<lb/> „aber meine Seele ist klar, und gewiß, mein Freund, ich werde nicht unglücklich<lb/> sein. Gebe nur Gott, daß ich bei Ottilien bleiben kann." So lange sie in<lb/> Weimar war, verkehrte sie viel in Goethes Haus, mußte ihm regelmäßig über</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Goethe und Schopenhauer.
Welt, ihre Sicherheit im Gebrauche fremder Sprachen machten ihr diesen
Wechsel des Wohnortes zum Bedürfnisse. Am längsten und am liebsten weilte
sie in Weimar, wo fortwährend eine Menge geistiger Größen auf kleinem
Raume wie im Kreuzungspunkte ihrer Bahnen zusammentrafen. Im Jahre 1819
verlor sie durch den Bankerott eines Danziger Handelshauses, dem sie nach dem
Tode des Gatten ihr Vermögen anvertraut hatte, zwei Drittel ihrer Einkünfte,
was einer vollständigen Verarmung ziemlich gleichkam, da sie zur Fortsetzung
einer kostspieligen Lebensweise und in der Bedrängnis der Kriegsjahre ihr
Stammkapital bereits stark vermindert hatte. Aber sie half sich, indem sie mit
aller Entschiedenheit und dem besten Erfolge die schriftstellerische Laufbahn
betrat. Die Weimarer rühmten die Eleganz ihres Auftretens in der Gesellschaft,
ihren klaren Verstand und ihre hohe Begabung, aber sie glaubten auch zuweilen
eine gewisse Härte in ihrem Urteil zu erkennen. Schön war sie nicht, aber
höchst anziehend, selbst im Alter, als ihr braunes Haar erbleicht, ihre blauen
Augen erkaltet und ihre schlanke Gestalt durch eine hohe Schulter entstellt war.
An der Seite dieser merkwürdigen Frau lebte eine der edelsten und anziehend¬
sten weiblichen Gestalten jener Zeit, ihre Tochter Adele. Solange die Mutter noch
in dem glücklichen Bewußtsein einer gesicherten Existenz glänzend von Ort zu Ort
zog, war sie sinnend und lernend gefolgt, hatte alle Keime vornehmer Welt¬
bildung aufgenommen und mit scharfem Verstände jede Faser ihres Wesens bis
zur höchsten Ausdauer und Feinheit angespannt. Als ihre Mutter verarmte
und sie selbst bei dem Danziger Bankerott den größten Teil ihres Erbes ver¬
lor, wandte sich die ganze Energie ihres Geistes auf die Ausgestaltung ihres
an sich schon durchgebildeten Charakters. Mit gewaltigem Flügelschlage erhob
sich ihr Denken über das Scheinwesen der Welt, aber ihr Herz löste sich nicht
los von der Erde. „Mein Herz ist schwer," schreibt sie an ihren Bruder, „aber
mein Sinn ist klar, ich weiß was ich will und was ich soll. Ich bin heiter,
denn die Natur hat mir unendlichen Trost gegeben." Selten ist so viel Selb¬
ständigkeit und so viel Weichheit der Empfindung in einem weiblichen Herzen
vereinigt gewesen. Sie konnte nicht heiraten, weil sie die Menschen'zu klar
durchschaute, aber sie war licbebedürftig wie ein Kind; sie verachtete das Leben
und sehnte sich nach dem Tode, aber sie benutzte jede ungetrübte Stunde, um
sich an dem Spiele des Lebens zu ergötzen. Selbst die Fehler ihrer Mutter,
deren Lust zur Verschwendung, deren schrankenlose Geselligkeit, deren Neigung,
sich nach der Mode jener Zeit in freundschaftlichen Beziehungen zu Männern
zu gefallen, hatten sie geläutert, sie war sparsam, zurückhaltend, selbständig.
Nur eine Freundin hatte sie, der sie ganz angehörte, Goethes Schwiegertochter
Ottilie. „Mein Weg ist hart und rauh," schreibt sie 1320 an den Bruder,
„aber meine Seele ist klar, und gewiß, mein Freund, ich werde nicht unglücklich
sein. Gebe nur Gott, daß ich bei Ottilien bleiben kann." So lange sie in
Weimar war, verkehrte sie viel in Goethes Haus, mußte ihm regelmäßig über
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