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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

sogenannten morganatischen Ehe wohl schwerlich für erbfähig und erbberechtigt
erklärt werden sollten, so läßt sich überhaupt nicht begreifen, was der Zusatz
"ehelich" bedeuten soll, und welchen Zweck er hat. Jedenfalls darf man wohl
behaupten, daß der Kurfürst selbst fest davon überzeugt war, daß sein Erbrecht
völlig begründet war, und diese Überzeugung war nichts weniger als vereinzelt.
Dauernde Gebietsverluste brachte dieser Krieg Österreich jedoch nicht; allerdings
war der Kurfürst mit einem französisch-bairischen Heere in Oberösterreich und
dann in Böhmen eingedrungen und hatte sich in Linz und in Prag huldigen lassen;
auch hatten die Franzosen zeitweilig den größten Teil der österreichischen Nieder¬
lande besetzt. Aber bald gewannen die Heere der schönen Königin, für deren Auf¬
stellung die Ungarn in ihrer Begeisterung -- man denke an das Noriairmr
xr" rexs nostro UÄrig. I^örssig, auf dem Reichstage zu Preßburg -- die
größten Opfer brachten, wieder die Oberhand. Karl VII., wie er jetzt hieß,
wurde aus seiner Hauptstadt und seinem Lande verjagt und starb fast in Dürftig¬
keit. Sein Sohn, Maximilian Joseph, entsagte im Frieden zu Füssen allen
Erbansprüchen auf Österreich. Im Frieden zu Aachen wurden schließlich alle
Eroberungen gegenseitig zurückgegeben, und Maria Theresia verzichtete nur auf
den Besitz der italienischen Länder Parma, Piacenza und Gucistalla, aus denen
eine Secundogenitur für die spanischen Bourbonen geschaffen wurde.

Viel wichtiger und einschneidender, nicht nur für die Gebietsentwicklung
der kaiserlichen Erdtaube, sondern fast noch mehr für diejenige Preußens, und
somit auch für die gesamte Gestaltung der territorialen und politischen Ver¬
hältnisse in Deutschland und in Europa, war die gewaltsame Losreißung
Schlesiens von der Monarchie der Habsburger und die Vereinigung dieser herr¬
lichen Provinz mit dem machtvoll aufstrebenden Staate der Hohenzollern.
Durch welche Kriege der gewaltige Gegner Maria Theresias dieses schöne Land
eroberte und behauptete, die verschiedenen Friedensschlüsse, die ihm seinen Besitz
gewährten und bestätigten, sind aus der allgemeinen Geschichte zu bekannt, als
daß sie hier erwähnt zu werden brauchten. Über die Berechtigung der Erb¬
ansprüche Preußens auf Landesteile in Schlesien soll später das Nötige gesagt
werden. Österreich hatte damit ein Gebiet von fast 700 Quadratmeilen mit
etwa 1,400,000 Einwohnern dauernd eingebüßt. Es behielt von Schlesien nur
das Fürstentum Teschen, den südwestlichen Teil der Fürstentümer Reiße, Troppau
und Jägerndorf und einige kleinere Herrschaften, im ganzen etwas über 90 Quadrat¬
meilen. Als Joseph II. zum ersten Male diese Landesteile besuchte, bemerkte
er treffend: "Ich sehe, Preußen hat den Garten, und wir haben den Zaun
behalten." Außerdem mußte die Grafschaft Glatz, die zu Böhmen gehört hatte,
abgetreten werden, und mit ihr kam die damals für sehr wichtig geltende Festung
gleichen Namens in die Hände Preußens. Die Bevölkerung des für Österreich
verlorenen Gebietes war zwar keineswegs rein deutsch; in Oberschlesien, dem
heutigen Regierungsbezirke Oppeln, wohnten Polen in großer Anzahl, die so-


Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands.

sogenannten morganatischen Ehe wohl schwerlich für erbfähig und erbberechtigt
erklärt werden sollten, so läßt sich überhaupt nicht begreifen, was der Zusatz
„ehelich" bedeuten soll, und welchen Zweck er hat. Jedenfalls darf man wohl
behaupten, daß der Kurfürst selbst fest davon überzeugt war, daß sein Erbrecht
völlig begründet war, und diese Überzeugung war nichts weniger als vereinzelt.
Dauernde Gebietsverluste brachte dieser Krieg Österreich jedoch nicht; allerdings
war der Kurfürst mit einem französisch-bairischen Heere in Oberösterreich und
dann in Böhmen eingedrungen und hatte sich in Linz und in Prag huldigen lassen;
auch hatten die Franzosen zeitweilig den größten Teil der österreichischen Nieder¬
lande besetzt. Aber bald gewannen die Heere der schönen Königin, für deren Auf¬
stellung die Ungarn in ihrer Begeisterung — man denke an das Noriairmr
xr» rexs nostro UÄrig. I^örssig, auf dem Reichstage zu Preßburg — die
größten Opfer brachten, wieder die Oberhand. Karl VII., wie er jetzt hieß,
wurde aus seiner Hauptstadt und seinem Lande verjagt und starb fast in Dürftig¬
keit. Sein Sohn, Maximilian Joseph, entsagte im Frieden zu Füssen allen
Erbansprüchen auf Österreich. Im Frieden zu Aachen wurden schließlich alle
Eroberungen gegenseitig zurückgegeben, und Maria Theresia verzichtete nur auf
den Besitz der italienischen Länder Parma, Piacenza und Gucistalla, aus denen
eine Secundogenitur für die spanischen Bourbonen geschaffen wurde.

Viel wichtiger und einschneidender, nicht nur für die Gebietsentwicklung
der kaiserlichen Erdtaube, sondern fast noch mehr für diejenige Preußens, und
somit auch für die gesamte Gestaltung der territorialen und politischen Ver¬
hältnisse in Deutschland und in Europa, war die gewaltsame Losreißung
Schlesiens von der Monarchie der Habsburger und die Vereinigung dieser herr¬
lichen Provinz mit dem machtvoll aufstrebenden Staate der Hohenzollern.
Durch welche Kriege der gewaltige Gegner Maria Theresias dieses schöne Land
eroberte und behauptete, die verschiedenen Friedensschlüsse, die ihm seinen Besitz
gewährten und bestätigten, sind aus der allgemeinen Geschichte zu bekannt, als
daß sie hier erwähnt zu werden brauchten. Über die Berechtigung der Erb¬
ansprüche Preußens auf Landesteile in Schlesien soll später das Nötige gesagt
werden. Österreich hatte damit ein Gebiet von fast 700 Quadratmeilen mit
etwa 1,400,000 Einwohnern dauernd eingebüßt. Es behielt von Schlesien nur
das Fürstentum Teschen, den südwestlichen Teil der Fürstentümer Reiße, Troppau
und Jägerndorf und einige kleinere Herrschaften, im ganzen etwas über 90 Quadrat¬
meilen. Als Joseph II. zum ersten Male diese Landesteile besuchte, bemerkte
er treffend: „Ich sehe, Preußen hat den Garten, und wir haben den Zaun
behalten." Außerdem mußte die Grafschaft Glatz, die zu Böhmen gehört hatte,
abgetreten werden, und mit ihr kam die damals für sehr wichtig geltende Festung
gleichen Namens in die Hände Preußens. Die Bevölkerung des für Österreich
verlorenen Gebietes war zwar keineswegs rein deutsch; in Oberschlesien, dem
heutigen Regierungsbezirke Oppeln, wohnten Polen in großer Anzahl, die so-


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[0119] Die Gebietsentwicklung der Einzelstaaten Deutschlands. sogenannten morganatischen Ehe wohl schwerlich für erbfähig und erbberechtigt erklärt werden sollten, so läßt sich überhaupt nicht begreifen, was der Zusatz „ehelich" bedeuten soll, und welchen Zweck er hat. Jedenfalls darf man wohl behaupten, daß der Kurfürst selbst fest davon überzeugt war, daß sein Erbrecht völlig begründet war, und diese Überzeugung war nichts weniger als vereinzelt. Dauernde Gebietsverluste brachte dieser Krieg Österreich jedoch nicht; allerdings war der Kurfürst mit einem französisch-bairischen Heere in Oberösterreich und dann in Böhmen eingedrungen und hatte sich in Linz und in Prag huldigen lassen; auch hatten die Franzosen zeitweilig den größten Teil der österreichischen Nieder¬ lande besetzt. Aber bald gewannen die Heere der schönen Königin, für deren Auf¬ stellung die Ungarn in ihrer Begeisterung — man denke an das Noriairmr xr» rexs nostro UÄrig. I^örssig, auf dem Reichstage zu Preßburg — die größten Opfer brachten, wieder die Oberhand. Karl VII., wie er jetzt hieß, wurde aus seiner Hauptstadt und seinem Lande verjagt und starb fast in Dürftig¬ keit. Sein Sohn, Maximilian Joseph, entsagte im Frieden zu Füssen allen Erbansprüchen auf Österreich. Im Frieden zu Aachen wurden schließlich alle Eroberungen gegenseitig zurückgegeben, und Maria Theresia verzichtete nur auf den Besitz der italienischen Länder Parma, Piacenza und Gucistalla, aus denen eine Secundogenitur für die spanischen Bourbonen geschaffen wurde. Viel wichtiger und einschneidender, nicht nur für die Gebietsentwicklung der kaiserlichen Erdtaube, sondern fast noch mehr für diejenige Preußens, und somit auch für die gesamte Gestaltung der territorialen und politischen Ver¬ hältnisse in Deutschland und in Europa, war die gewaltsame Losreißung Schlesiens von der Monarchie der Habsburger und die Vereinigung dieser herr¬ lichen Provinz mit dem machtvoll aufstrebenden Staate der Hohenzollern. Durch welche Kriege der gewaltige Gegner Maria Theresias dieses schöne Land eroberte und behauptete, die verschiedenen Friedensschlüsse, die ihm seinen Besitz gewährten und bestätigten, sind aus der allgemeinen Geschichte zu bekannt, als daß sie hier erwähnt zu werden brauchten. Über die Berechtigung der Erb¬ ansprüche Preußens auf Landesteile in Schlesien soll später das Nötige gesagt werden. Österreich hatte damit ein Gebiet von fast 700 Quadratmeilen mit etwa 1,400,000 Einwohnern dauernd eingebüßt. Es behielt von Schlesien nur das Fürstentum Teschen, den südwestlichen Teil der Fürstentümer Reiße, Troppau und Jägerndorf und einige kleinere Herrschaften, im ganzen etwas über 90 Quadrat¬ meilen. Als Joseph II. zum ersten Male diese Landesteile besuchte, bemerkte er treffend: „Ich sehe, Preußen hat den Garten, und wir haben den Zaun behalten." Außerdem mußte die Grafschaft Glatz, die zu Böhmen gehört hatte, abgetreten werden, und mit ihr kam die damals für sehr wichtig geltende Festung gleichen Namens in die Hände Preußens. Die Bevölkerung des für Österreich verlorenen Gebietes war zwar keineswegs rein deutsch; in Oberschlesien, dem heutigen Regierungsbezirke Oppeln, wohnten Polen in großer Anzahl, die so-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/119>, abgerufen am 24.08.2024.