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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Mönch Otfried seinen "Krist" gesungen hatte, bis in die neueste Zeit bekannt
durch die blutigen Kämpfe, die zwischen Deutschen und Franzosen bei und in der
Nähe dieser Stadt ausgefochten worden sind, und Schlettstadt. Daß diesen Städten
ihre bisherige Freiheit und ihr Verband mit dem Reiche gewahrt wurde, war
natürlich bloß ein Vorbehalt auf dem Papiere. Endlich erlangte Frankreich
noch das Besatzmigsrecht in der damals zum Hochstifte Speier gehörigen Festung
Philippsburg. Das war der zweite feste Platz auf der rechten Seite des Rheins,
der in die Gewalt des Erbfeindes kam.

Damit hatte Österreich seinen am weitesten im Westen gelegenen Besitz auf¬
gegeben; seine Gebietsentwicklung hatte in ihrer stetigen Bewegung nach Süd¬
osten hin einen weitem Schritt gethan. Damit hatte Osterreich aber auch zugleich
den Verlust des ganzen Elsaß für das Reich vorbereitet. Freilich waren in dem
Friedensinstrumente von Münster den übrigen Ständen jener Landschaft, nament¬
lich der "semper-freien" Reichsstadt Straßburg, alle ihre Freiheiten gewährleistet.
Aber welchen Wert hatte eine solche Gewährleistung gegenüber einem Ludwig XIV.
bei der Schwäche und Zerfahrenheit des Reiches, bei der Gleichgiltigkeit und
Teilnahmlosigkeit des Kaisers und Österreichs?

Dieser Staat besaß, abgesehen von den Waldstädten, dem Frickthale und einigen
kleinern Gebieten im Süden des Rheins, die jetzt zur Schweiz gehören, keinen
Fußbreit Landes, keinerlei Hoheitsrecht mehr auf der linken Seite des deutschen
Stromes. Ein Hausinteresse hatte der Kaiser im Elsaß Frankreich gegenüber
nicht mehr zu vertreten, und die Reichsinteressen spielten für die Habsburger
meistens gar keine, immer aber nur eine höchst untergeordnete Rolle. Diese auf
engherzigen Eigennutze beruhende Gleichgiltigkeit des Neichsoberhauptes gegen
die Verstümmelung des Reiches, dessen Mehrer allezeit zu sein er doch geschworen
hatte, verbunden mit der kleinlichen und neidischen Eifersucht auf den einzigen
Fürsten des Reiches, der gewillt und fähig war, den Gewaltübergriffen des Fran¬
zosenkönigs kräftig entgegenzutreten, den großen Kurfürsten, hat wesentlich, ja
fast allein den Verlust des gesamten Elsaß verschuldet.

Der übermütige französische Gewaltherrscher, der im Gefühle seiner ge¬
kränkten Allmacht den im großen Saale zu Versailles prangenden Wahlspruch
führte: lip Ro^ Kouvsrv.6 xg.r 1ni-in,LMS, der es liebte, sich den Sonnenkönig,
16 Ro^-LolmI, zu nennen und nennen zu lassen, hatte seinen ersten Raubkrieg
auf Grund des sogenannten Davolutionsrechtes begonnen. Für seine Räu¬
bereien im Elsaß und den angrenzenden Gebieten des Reiches erfand er die so
harmlos und unschuldig klingenden Namen der Reunionen. Da der 6rg,M
Uonaraus sich bei diesen Rennionen dnrch etwaige kleinliche Rücksichten und
durch Bedenken des bisher giltigen Völkerrechtes in keiner Weise beirren ließ, und
da sie außerdem durch die erforderliche Menge von Infanterie. Kavallerie und
Artillerie unterstützt wurden, so hatten sie einen geradezu glänzenden Erfolg, natürlich
von französischem Standpunkte aus betrachtet. Der schamlos brutale Überfall


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Mönch Otfried seinen „Krist" gesungen hatte, bis in die neueste Zeit bekannt
durch die blutigen Kämpfe, die zwischen Deutschen und Franzosen bei und in der
Nähe dieser Stadt ausgefochten worden sind, und Schlettstadt. Daß diesen Städten
ihre bisherige Freiheit und ihr Verband mit dem Reiche gewahrt wurde, war
natürlich bloß ein Vorbehalt auf dem Papiere. Endlich erlangte Frankreich
noch das Besatzmigsrecht in der damals zum Hochstifte Speier gehörigen Festung
Philippsburg. Das war der zweite feste Platz auf der rechten Seite des Rheins,
der in die Gewalt des Erbfeindes kam.

Damit hatte Österreich seinen am weitesten im Westen gelegenen Besitz auf¬
gegeben; seine Gebietsentwicklung hatte in ihrer stetigen Bewegung nach Süd¬
osten hin einen weitem Schritt gethan. Damit hatte Osterreich aber auch zugleich
den Verlust des ganzen Elsaß für das Reich vorbereitet. Freilich waren in dem
Friedensinstrumente von Münster den übrigen Ständen jener Landschaft, nament¬
lich der „semper-freien" Reichsstadt Straßburg, alle ihre Freiheiten gewährleistet.
Aber welchen Wert hatte eine solche Gewährleistung gegenüber einem Ludwig XIV.
bei der Schwäche und Zerfahrenheit des Reiches, bei der Gleichgiltigkeit und
Teilnahmlosigkeit des Kaisers und Österreichs?

Dieser Staat besaß, abgesehen von den Waldstädten, dem Frickthale und einigen
kleinern Gebieten im Süden des Rheins, die jetzt zur Schweiz gehören, keinen
Fußbreit Landes, keinerlei Hoheitsrecht mehr auf der linken Seite des deutschen
Stromes. Ein Hausinteresse hatte der Kaiser im Elsaß Frankreich gegenüber
nicht mehr zu vertreten, und die Reichsinteressen spielten für die Habsburger
meistens gar keine, immer aber nur eine höchst untergeordnete Rolle. Diese auf
engherzigen Eigennutze beruhende Gleichgiltigkeit des Neichsoberhauptes gegen
die Verstümmelung des Reiches, dessen Mehrer allezeit zu sein er doch geschworen
hatte, verbunden mit der kleinlichen und neidischen Eifersucht auf den einzigen
Fürsten des Reiches, der gewillt und fähig war, den Gewaltübergriffen des Fran¬
zosenkönigs kräftig entgegenzutreten, den großen Kurfürsten, hat wesentlich, ja
fast allein den Verlust des gesamten Elsaß verschuldet.

Der übermütige französische Gewaltherrscher, der im Gefühle seiner ge¬
kränkten Allmacht den im großen Saale zu Versailles prangenden Wahlspruch
führte: lip Ro^ Kouvsrv.6 xg.r 1ni-in,LMS, der es liebte, sich den Sonnenkönig,
16 Ro^-LolmI, zu nennen und nennen zu lassen, hatte seinen ersten Raubkrieg
auf Grund des sogenannten Davolutionsrechtes begonnen. Für seine Räu¬
bereien im Elsaß und den angrenzenden Gebieten des Reiches erfand er die so
harmlos und unschuldig klingenden Namen der Reunionen. Da der 6rg,M
Uonaraus sich bei diesen Rennionen dnrch etwaige kleinliche Rücksichten und
durch Bedenken des bisher giltigen Völkerrechtes in keiner Weise beirren ließ, und
da sie außerdem durch die erforderliche Menge von Infanterie. Kavallerie und
Artillerie unterstützt wurden, so hatten sie einen geradezu glänzenden Erfolg, natürlich
von französischem Standpunkte aus betrachtet. Der schamlos brutale Überfall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/115>, abgerufen am 22.07.2024.