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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

vinzen der Fall war. Die Abtretung der Lausitz ist ein wichtiger Schritt auf
der Bahn der Gebietsentwicklung des Kaiserstaates, welche diesen immer mehr
auf die südöstlichen Grenzgebiete des alten Reichs beschränkte.

Die Verluste, die das deutsche Reich im westfälischen Frieden erlitt, der
endlich dem grausigen Morden und Verwüster ein Ende machte, durch welches
unser unglückliches Vaterland fast entvölkert worden war, waren zum großen
Teile durch die kaiserliche Hauspolitik verschuldet. Die vereinigten Provinzen
oder die freien Niederlande und die Gebiete der Eidgenossenschaft wurden als
selbständige und unabhängige Staaten anerkannt. Das sehr lose Band, das sie
bisher, mehr dem Namen als der Wirklichkeit nach, mit dem heiligen römischen
Reiche verknüpfte, war damit gänzlich durchschnitten. Inwiefern die Habsburger zu
dieser völligen Absonderung von zwei wichtigen Gliedern des Neichskörpers Ver¬
anlassung gegeben hatten, ist schon oben kurz dargelegt worden. Der gänzliche und
unbestrittene Besitz der drei lothringischen Bistümer und der drei gleichnamigen
Reichsstädte, Metz, Toul und Verdun, welche die verräterische Staatskunst des
sächsischen Moritz dem Könige von Frankreich in die Hände gespielt hatte, wurde
diesem Lande endgiltig bestätigt. Aber auch ein Teil der kaiserlichen Erdtaube fiel
dem unersättlichen Nachbarn im Westen zu. An Frankreich wurden abgetreten,
und zwar mit voller Souveränität, die österreichische Landgrafschaft Oberelsaß,
der sogenannte Sundgau, mit der Hauptstadt Ensisheim; die österreichische
Landgrafschaft Unterelsaß, auch die Landvogtei Hagenau genannt, ursprünglich
das in der Nähe von Hagenau (die Stadt gehörte nicht dazu) gelegene Gebiet
der über die zehn Reichsstädte des Elsaß gesetzten Neichsvögte; endlich der feste
Platz Breisach, der schon zu den Römerzeiten als Nein8 Lrisiaeus für einen mili¬
tärisch höchst wichtigen Punkt gegolten hatte, und dem man damals eine solche
Bedeutung beilegte, daß man die Festung als den "Schlüssel von Deutschland"
und "des heiligen römischen Reichs Kissen" bezeichnete. Die Stadt war bis in
die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts reichsfrei gewesen, war dann an Österreich
gefallen und gehörte damals zum Breisgau. Später, nachdem die Franzosen
ungefähr gegenüber an der linken Seite des Rheins die Festung Neubreisach
und den dazu gehörigen Brückenkopf, Fort Mortier, angelegt hatten, bezeichnete
man den Ort gewöhnlich als Altbreisach. Ferner wurde an Frankreich abge¬
treten die bisher dem Kaiser zustehende Landvogtei über die sogenannten zehn
freien Reichsstädte im Elsaß (krastve.to.rg, xrovillLialis ckoc-vro. vivitatuiu iro-
xorialmui). Von diesen zehn Reichsstädten liegen im Oberelsaß vier, nämlich
Kolmar, Münster im Gregorienthale, Kaisersberg, Türkheim; im Unterelsaß
sechs, nämlich Hagenau (wohl zubenannt an der Moder oder Moller), der
alte Lieblingsplatz Friedrich Barbarossas, der in der Stadt "im heiligen Forst"
eine prachtvolle Kaiserpfalz aufführen und dort die Reichskleinodien verwahren
ließ, Rosheim, Oberehnheim, Landau, Weißenburg an der Lauter, auch wohl
Kronweißenburg genannt, früher eine Benediktinerabtei, in der der fromme


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

vinzen der Fall war. Die Abtretung der Lausitz ist ein wichtiger Schritt auf
der Bahn der Gebietsentwicklung des Kaiserstaates, welche diesen immer mehr
auf die südöstlichen Grenzgebiete des alten Reichs beschränkte.

Die Verluste, die das deutsche Reich im westfälischen Frieden erlitt, der
endlich dem grausigen Morden und Verwüster ein Ende machte, durch welches
unser unglückliches Vaterland fast entvölkert worden war, waren zum großen
Teile durch die kaiserliche Hauspolitik verschuldet. Die vereinigten Provinzen
oder die freien Niederlande und die Gebiete der Eidgenossenschaft wurden als
selbständige und unabhängige Staaten anerkannt. Das sehr lose Band, das sie
bisher, mehr dem Namen als der Wirklichkeit nach, mit dem heiligen römischen
Reiche verknüpfte, war damit gänzlich durchschnitten. Inwiefern die Habsburger zu
dieser völligen Absonderung von zwei wichtigen Gliedern des Neichskörpers Ver¬
anlassung gegeben hatten, ist schon oben kurz dargelegt worden. Der gänzliche und
unbestrittene Besitz der drei lothringischen Bistümer und der drei gleichnamigen
Reichsstädte, Metz, Toul und Verdun, welche die verräterische Staatskunst des
sächsischen Moritz dem Könige von Frankreich in die Hände gespielt hatte, wurde
diesem Lande endgiltig bestätigt. Aber auch ein Teil der kaiserlichen Erdtaube fiel
dem unersättlichen Nachbarn im Westen zu. An Frankreich wurden abgetreten,
und zwar mit voller Souveränität, die österreichische Landgrafschaft Oberelsaß,
der sogenannte Sundgau, mit der Hauptstadt Ensisheim; die österreichische
Landgrafschaft Unterelsaß, auch die Landvogtei Hagenau genannt, ursprünglich
das in der Nähe von Hagenau (die Stadt gehörte nicht dazu) gelegene Gebiet
der über die zehn Reichsstädte des Elsaß gesetzten Neichsvögte; endlich der feste
Platz Breisach, der schon zu den Römerzeiten als Nein8 Lrisiaeus für einen mili¬
tärisch höchst wichtigen Punkt gegolten hatte, und dem man damals eine solche
Bedeutung beilegte, daß man die Festung als den „Schlüssel von Deutschland"
und „des heiligen römischen Reichs Kissen" bezeichnete. Die Stadt war bis in
die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts reichsfrei gewesen, war dann an Österreich
gefallen und gehörte damals zum Breisgau. Später, nachdem die Franzosen
ungefähr gegenüber an der linken Seite des Rheins die Festung Neubreisach
und den dazu gehörigen Brückenkopf, Fort Mortier, angelegt hatten, bezeichnete
man den Ort gewöhnlich als Altbreisach. Ferner wurde an Frankreich abge¬
treten die bisher dem Kaiser zustehende Landvogtei über die sogenannten zehn
freien Reichsstädte im Elsaß (krastve.to.rg, xrovillLialis ckoc-vro. vivitatuiu iro-
xorialmui). Von diesen zehn Reichsstädten liegen im Oberelsaß vier, nämlich
Kolmar, Münster im Gregorienthale, Kaisersberg, Türkheim; im Unterelsaß
sechs, nämlich Hagenau (wohl zubenannt an der Moder oder Moller), der
alte Lieblingsplatz Friedrich Barbarossas, der in der Stadt „im heiligen Forst"
eine prachtvolle Kaiserpfalz aufführen und dort die Reichskleinodien verwahren
ließ, Rosheim, Oberehnheim, Landau, Weißenburg an der Lauter, auch wohl
Kronweißenburg genannt, früher eine Benediktinerabtei, in der der fromme


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[0114] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. vinzen der Fall war. Die Abtretung der Lausitz ist ein wichtiger Schritt auf der Bahn der Gebietsentwicklung des Kaiserstaates, welche diesen immer mehr auf die südöstlichen Grenzgebiete des alten Reichs beschränkte. Die Verluste, die das deutsche Reich im westfälischen Frieden erlitt, der endlich dem grausigen Morden und Verwüster ein Ende machte, durch welches unser unglückliches Vaterland fast entvölkert worden war, waren zum großen Teile durch die kaiserliche Hauspolitik verschuldet. Die vereinigten Provinzen oder die freien Niederlande und die Gebiete der Eidgenossenschaft wurden als selbständige und unabhängige Staaten anerkannt. Das sehr lose Band, das sie bisher, mehr dem Namen als der Wirklichkeit nach, mit dem heiligen römischen Reiche verknüpfte, war damit gänzlich durchschnitten. Inwiefern die Habsburger zu dieser völligen Absonderung von zwei wichtigen Gliedern des Neichskörpers Ver¬ anlassung gegeben hatten, ist schon oben kurz dargelegt worden. Der gänzliche und unbestrittene Besitz der drei lothringischen Bistümer und der drei gleichnamigen Reichsstädte, Metz, Toul und Verdun, welche die verräterische Staatskunst des sächsischen Moritz dem Könige von Frankreich in die Hände gespielt hatte, wurde diesem Lande endgiltig bestätigt. Aber auch ein Teil der kaiserlichen Erdtaube fiel dem unersättlichen Nachbarn im Westen zu. An Frankreich wurden abgetreten, und zwar mit voller Souveränität, die österreichische Landgrafschaft Oberelsaß, der sogenannte Sundgau, mit der Hauptstadt Ensisheim; die österreichische Landgrafschaft Unterelsaß, auch die Landvogtei Hagenau genannt, ursprünglich das in der Nähe von Hagenau (die Stadt gehörte nicht dazu) gelegene Gebiet der über die zehn Reichsstädte des Elsaß gesetzten Neichsvögte; endlich der feste Platz Breisach, der schon zu den Römerzeiten als Nein8 Lrisiaeus für einen mili¬ tärisch höchst wichtigen Punkt gegolten hatte, und dem man damals eine solche Bedeutung beilegte, daß man die Festung als den „Schlüssel von Deutschland" und „des heiligen römischen Reichs Kissen" bezeichnete. Die Stadt war bis in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts reichsfrei gewesen, war dann an Österreich gefallen und gehörte damals zum Breisgau. Später, nachdem die Franzosen ungefähr gegenüber an der linken Seite des Rheins die Festung Neubreisach und den dazu gehörigen Brückenkopf, Fort Mortier, angelegt hatten, bezeichnete man den Ort gewöhnlich als Altbreisach. Ferner wurde an Frankreich abge¬ treten die bisher dem Kaiser zustehende Landvogtei über die sogenannten zehn freien Reichsstädte im Elsaß (krastve.to.rg, xrovillLialis ckoc-vro. vivitatuiu iro- xorialmui). Von diesen zehn Reichsstädten liegen im Oberelsaß vier, nämlich Kolmar, Münster im Gregorienthale, Kaisersberg, Türkheim; im Unterelsaß sechs, nämlich Hagenau (wohl zubenannt an der Moder oder Moller), der alte Lieblingsplatz Friedrich Barbarossas, der in der Stadt „im heiligen Forst" eine prachtvolle Kaiserpfalz aufführen und dort die Reichskleinodien verwahren ließ, Rosheim, Oberehnheim, Landau, Weißenburg an der Lauter, auch wohl Kronweißenburg genannt, früher eine Benediktinerabtei, in der der fromme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/114>, abgerufen am 24.08.2024.