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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Fall Harnack.

theologischen Fakultäten und nicht die mit praktischen Arbeiten überlasteten
Kirchenbchörden die berufenen Organe der Kirche, über den kirchlichen Wert
theologischer Forschungen zu urteilen.

Es kommt dazu, daß nach den Angaben der für den Oberkirchenrat ein¬
tretenden Blätter dieser gar nicht einmal weder Harnacks spezielle theologische
Leistung, seine Neugestaltung des Bildes der kirchlichen Entwicklung der ersten
Jahrhunderte, noch den allgemeinen theologischen Standpunkt, den er vertritt, im
ganzen beurteilt hat, wie es hätte geschehen müssen, um über die kirchliche
Qualifikation seiner Theologie und Geschichtsforschung zu urteilen, sondern daß
er sich begnügt hat, einzelne Anstöße hervorzuheben. Das ist eine Handhabung
des Bekenntnisses wie eines Gesetzbuches, die jeder auch ohne theologische Bil¬
dung und ohne persönliches religiöses Verständnis üben kann. So darf man
in der katholischen Kirche urteilen, nicht aber in der evangelischen, und man
darf es um so weniger, als an dem so aufgefaßten Bekenntnis gemessen auch
die Richter oder ihre nächsten Freunde nicht bestehen würden. Nimmt man
noch hinzu, daß die Anstöße des Oberkirchenrates an Harnacks Theologie einzelne
Negationen betreffen, die er mit vielen andern Theologen teilt, auch mit
solchen, die der preußischen Landeskirche angehören, und vergegenwärtigt man
sich die leidenschaftliche Agitation, die gewisse Blätter in Szene gesetzt haben,
so erkennt man, daß der Oberkirchenrat sich einer Partei, welche die kirchliche
Alleinherrschaft beansprucht, dienstbar gemacht hat. Die Prinzipienfrage, um
die es sich in dem "Falle Harnack" gehandelt hat, ist die, ob die Gegensätze innerhalb
der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands durch Bötticher in gemein¬
samer praktischer Arbeit und durch geistigen Kampf oder durch den schließlich
doch fruchtlosen Versuch gewaltsamer Unterdrückung des einen Teiles überwunden
werden sollen. Der "Fall Harnack" war eine Machtprobe. Nicht der Ober¬
kirchenrat, sondern der Staatsminister, der alle formell und materiell berechtigten
Instanzen gehört und sich dem Urteil der materiell berufenen angeschlossen hat,
ist in diesem Falle der Vertreter der wahren Selbständigkeit der evangelischen
Kirche gewesen. Denn ein Bestandteil der letztern ist die Selbständigkeit der
evangelischen Theologie gegenüber dem Kirchenregimcnt, die auch nach dem
Urteil eines sogenannten konfessionellen Theologen wie des verstorbenen Erlanger
Hofmann für sie zur Erfüllung ihres kirchlichen Berufes notwendig ist. Gegen
den Oberkirchenrat aber konnte der Minister gar nicht loyaler handeln, als er
es gethan hat, indem er sich der Übereinstimmung des gesamten Staatsmini¬
steriums mit seiner Auffassung versicherte, daß das Votum des Oberkirchenrates
ihn nicht der Verantwortung entlaste, dasselbe auf seine kirchliche Berechtigung zu
prüfen, und indem er die Endentscheidung mit allem Material für und
wider in die Hände des Staatsoberhauptes und des Summepiskopus legte.
Der Ausgang des "Falles Harnack" wird segensreiche Folgen haben und
hat schon jetzt angefangen, sie bei der Partei hervorzubringen, die mit ihren


Der Fall Harnack.

theologischen Fakultäten und nicht die mit praktischen Arbeiten überlasteten
Kirchenbchörden die berufenen Organe der Kirche, über den kirchlichen Wert
theologischer Forschungen zu urteilen.

Es kommt dazu, daß nach den Angaben der für den Oberkirchenrat ein¬
tretenden Blätter dieser gar nicht einmal weder Harnacks spezielle theologische
Leistung, seine Neugestaltung des Bildes der kirchlichen Entwicklung der ersten
Jahrhunderte, noch den allgemeinen theologischen Standpunkt, den er vertritt, im
ganzen beurteilt hat, wie es hätte geschehen müssen, um über die kirchliche
Qualifikation seiner Theologie und Geschichtsforschung zu urteilen, sondern daß
er sich begnügt hat, einzelne Anstöße hervorzuheben. Das ist eine Handhabung
des Bekenntnisses wie eines Gesetzbuches, die jeder auch ohne theologische Bil¬
dung und ohne persönliches religiöses Verständnis üben kann. So darf man
in der katholischen Kirche urteilen, nicht aber in der evangelischen, und man
darf es um so weniger, als an dem so aufgefaßten Bekenntnis gemessen auch
die Richter oder ihre nächsten Freunde nicht bestehen würden. Nimmt man
noch hinzu, daß die Anstöße des Oberkirchenrates an Harnacks Theologie einzelne
Negationen betreffen, die er mit vielen andern Theologen teilt, auch mit
solchen, die der preußischen Landeskirche angehören, und vergegenwärtigt man
sich die leidenschaftliche Agitation, die gewisse Blätter in Szene gesetzt haben,
so erkennt man, daß der Oberkirchenrat sich einer Partei, welche die kirchliche
Alleinherrschaft beansprucht, dienstbar gemacht hat. Die Prinzipienfrage, um
die es sich in dem „Falle Harnack" gehandelt hat, ist die, ob die Gegensätze innerhalb
der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands durch Bötticher in gemein¬
samer praktischer Arbeit und durch geistigen Kampf oder durch den schließlich
doch fruchtlosen Versuch gewaltsamer Unterdrückung des einen Teiles überwunden
werden sollen. Der „Fall Harnack" war eine Machtprobe. Nicht der Ober¬
kirchenrat, sondern der Staatsminister, der alle formell und materiell berechtigten
Instanzen gehört und sich dem Urteil der materiell berufenen angeschlossen hat,
ist in diesem Falle der Vertreter der wahren Selbständigkeit der evangelischen
Kirche gewesen. Denn ein Bestandteil der letztern ist die Selbständigkeit der
evangelischen Theologie gegenüber dem Kirchenregimcnt, die auch nach dem
Urteil eines sogenannten konfessionellen Theologen wie des verstorbenen Erlanger
Hofmann für sie zur Erfüllung ihres kirchlichen Berufes notwendig ist. Gegen
den Oberkirchenrat aber konnte der Minister gar nicht loyaler handeln, als er
es gethan hat, indem er sich der Übereinstimmung des gesamten Staatsmini¬
steriums mit seiner Auffassung versicherte, daß das Votum des Oberkirchenrates
ihn nicht der Verantwortung entlaste, dasselbe auf seine kirchliche Berechtigung zu
prüfen, und indem er die Endentscheidung mit allem Material für und
wider in die Hände des Staatsoberhauptes und des Summepiskopus legte.
Der Ausgang des „Falles Harnack" wird segensreiche Folgen haben und
hat schon jetzt angefangen, sie bei der Partei hervorzubringen, die mit ihren


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[0111] Der Fall Harnack. theologischen Fakultäten und nicht die mit praktischen Arbeiten überlasteten Kirchenbchörden die berufenen Organe der Kirche, über den kirchlichen Wert theologischer Forschungen zu urteilen. Es kommt dazu, daß nach den Angaben der für den Oberkirchenrat ein¬ tretenden Blätter dieser gar nicht einmal weder Harnacks spezielle theologische Leistung, seine Neugestaltung des Bildes der kirchlichen Entwicklung der ersten Jahrhunderte, noch den allgemeinen theologischen Standpunkt, den er vertritt, im ganzen beurteilt hat, wie es hätte geschehen müssen, um über die kirchliche Qualifikation seiner Theologie und Geschichtsforschung zu urteilen, sondern daß er sich begnügt hat, einzelne Anstöße hervorzuheben. Das ist eine Handhabung des Bekenntnisses wie eines Gesetzbuches, die jeder auch ohne theologische Bil¬ dung und ohne persönliches religiöses Verständnis üben kann. So darf man in der katholischen Kirche urteilen, nicht aber in der evangelischen, und man darf es um so weniger, als an dem so aufgefaßten Bekenntnis gemessen auch die Richter oder ihre nächsten Freunde nicht bestehen würden. Nimmt man noch hinzu, daß die Anstöße des Oberkirchenrates an Harnacks Theologie einzelne Negationen betreffen, die er mit vielen andern Theologen teilt, auch mit solchen, die der preußischen Landeskirche angehören, und vergegenwärtigt man sich die leidenschaftliche Agitation, die gewisse Blätter in Szene gesetzt haben, so erkennt man, daß der Oberkirchenrat sich einer Partei, welche die kirchliche Alleinherrschaft beansprucht, dienstbar gemacht hat. Die Prinzipienfrage, um die es sich in dem „Falle Harnack" gehandelt hat, ist die, ob die Gegensätze innerhalb der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands durch Bötticher in gemein¬ samer praktischer Arbeit und durch geistigen Kampf oder durch den schließlich doch fruchtlosen Versuch gewaltsamer Unterdrückung des einen Teiles überwunden werden sollen. Der „Fall Harnack" war eine Machtprobe. Nicht der Ober¬ kirchenrat, sondern der Staatsminister, der alle formell und materiell berechtigten Instanzen gehört und sich dem Urteil der materiell berufenen angeschlossen hat, ist in diesem Falle der Vertreter der wahren Selbständigkeit der evangelischen Kirche gewesen. Denn ein Bestandteil der letztern ist die Selbständigkeit der evangelischen Theologie gegenüber dem Kirchenregimcnt, die auch nach dem Urteil eines sogenannten konfessionellen Theologen wie des verstorbenen Erlanger Hofmann für sie zur Erfüllung ihres kirchlichen Berufes notwendig ist. Gegen den Oberkirchenrat aber konnte der Minister gar nicht loyaler handeln, als er es gethan hat, indem er sich der Übereinstimmung des gesamten Staatsmini¬ steriums mit seiner Auffassung versicherte, daß das Votum des Oberkirchenrates ihn nicht der Verantwortung entlaste, dasselbe auf seine kirchliche Berechtigung zu prüfen, und indem er die Endentscheidung mit allem Material für und wider in die Hände des Staatsoberhauptes und des Summepiskopus legte. Der Ausgang des „Falles Harnack" wird segensreiche Folgen haben und hat schon jetzt angefangen, sie bei der Partei hervorzubringen, die mit ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/111>, abgerufen am 22.07.2024.