Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Der Fall Harnack. kann, daß, wenn sie gesprochen haben, die Kirche gesprochen hat. Zweitens ist die Es fragt sich nun, welches von beiden Organen die Annahme für sich Der Fall Harnack. kann, daß, wenn sie gesprochen haben, die Kirche gesprochen hat. Zweitens ist die Es fragt sich nun, welches von beiden Organen die Annahme für sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203544"/> <fw type="header" place="top"> Der Fall Harnack.</fw><lb/> <p xml:id="ID_240" prev="#ID_239"> kann, daß, wenn sie gesprochen haben, die Kirche gesprochen hat. Zweitens ist die<lb/> Stellung der obersten Behörde einer evangelischen Kirchengemeinschaft der des<lb/> katholischen Episkopats darin ganz unähnlich, daß sie gar nicht die Gesamtheit<lb/> der kirchlichen Thätigkeit in sich vereinigt. Die freie Vereinsthätigkeit der<lb/> innern Mission z. B. ist trotzdem kirchliche Thätigkeit, und ihre Organe sind<lb/> trotzdem kirchliche Organe, obwohl sie nicht unter der Disziplin der kirchlichen<lb/> Behörde stehen. Obwohl die theologischen Fakultäten vom Staate begründet<lb/> und besetzt werden und die Kirchenbehörde kein Aufsichtsrecht über sie hat, sind<lb/> sie trotzdem kirchliche Organe. Denn die Vereinsarbeit der innern Mission wie<lb/> der Betrieb der Theologie auf der Universität sind Thätigkeiten, die für das<lb/> Leben der Kirche unentbehrlich sind. Von wein ihre Organisation in die Hand<lb/> genommen wird, ob von freien Vereinen oder vom Staate, das trägt nach<lb/> evangelischen Grundsätzen für den kirchlichen Charakter dieser Organisation nichts<lb/> aus. Er ist vorhanden, wenn die betreffende Aufgabe für die Kirche gilt und<lb/> wenn sie in geordneter Weise zum Segen der Kirche gelöst wird. Und daß<lb/> alle kirchlichen Thätigkeiten in der Hand einer Person oder eines Kollegiums<lb/> auch nur in Hinsicht der Aufsicht vereinigt würden, ist nur soweit etwas Wün¬<lb/> schenswertes, als es der Kirche frommt. Das heißt aber, es ist nicht wünschens¬<lb/> wert, weil sonst die Gefahr einer Mechanisirung des kirchlichen Lebens nach katho¬<lb/> lischem Muster drohen würde. Die oberste Kirchenbehörde hat auf evangelischem<lb/> Boden nur einen beschränkten Umfang von Aufgaben und demgemäß von Rechten,<lb/> nämlich zunächst die Aufsicht über das kirchliche Leben der Gemeinden, die zu<lb/> einer Landeskirche verbunden sind. Wenn man nicht zuerst die evangelischen<lb/> Grundanschauungen über Kirche, kirchliche Thätigkeit, kirchliche Verfassung ver¬<lb/> leugnen will, darf man sich also beim Falle Harnack auf die Analogie der katho¬<lb/> lischen Kirche nicht berufen. So einfach, wie der katholischen Kirche gegenüber,<lb/> ist es für den Minister nicht das Urteil der „Kirche" festzustellen. Wenn er<lb/> auf Grund des Vorschlages einer theologischen Fakultät einen Professor der<lb/> Theologie anstellt, gegen den die oberste Kirchenbehörde protestirt, so braucht<lb/> das so gewiß keine Vergewaltigung der Kirche zu sein, als auch die theologische<lb/> Fakultät ein Organ der Kirche ist so gut wie die oberste Kirchenbehörde.</p><lb/> <p xml:id="ID_241" next="#ID_242"> Es fragt sich nun, welches von beiden Organen die Annahme für sich<lb/> hat, daß es zur Wahrung der kirchlichen Interessen in diesen<Falle berufener<lb/> sei. Nach einer Seite hin kann eine Kirchenbehörde vermöge ihrer besondern<lb/> Arbeit an der Kirche wohl in der Lage sein, über die kirchliche Qualifikation<lb/> eines theologischen Lehrers ein Urteil abzugeben. Wenn Schüler des Betreffen¬<lb/> den in ihrem Aufsichtsgebiete kirchlich thätig sind, so kann sie an ihnen den<lb/> Geist erkennen, mit dem ihr Lehrer sie erfüllt hat, ob sie durch ihn unlustig<lb/> und ungeschickt für die schweren Aufgaben des Pfarramts geworden sind, oder<lb/> ob sie Liebe zum Evangelium und Freudigkeit zur kirchlichen Arbeit beweisen.<lb/> Die Presse, die für den Oberkirchenrat eintrat und seine Anstöße verbreitete,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
Der Fall Harnack.
kann, daß, wenn sie gesprochen haben, die Kirche gesprochen hat. Zweitens ist die
Stellung der obersten Behörde einer evangelischen Kirchengemeinschaft der des
katholischen Episkopats darin ganz unähnlich, daß sie gar nicht die Gesamtheit
der kirchlichen Thätigkeit in sich vereinigt. Die freie Vereinsthätigkeit der
innern Mission z. B. ist trotzdem kirchliche Thätigkeit, und ihre Organe sind
trotzdem kirchliche Organe, obwohl sie nicht unter der Disziplin der kirchlichen
Behörde stehen. Obwohl die theologischen Fakultäten vom Staate begründet
und besetzt werden und die Kirchenbehörde kein Aufsichtsrecht über sie hat, sind
sie trotzdem kirchliche Organe. Denn die Vereinsarbeit der innern Mission wie
der Betrieb der Theologie auf der Universität sind Thätigkeiten, die für das
Leben der Kirche unentbehrlich sind. Von wein ihre Organisation in die Hand
genommen wird, ob von freien Vereinen oder vom Staate, das trägt nach
evangelischen Grundsätzen für den kirchlichen Charakter dieser Organisation nichts
aus. Er ist vorhanden, wenn die betreffende Aufgabe für die Kirche gilt und
wenn sie in geordneter Weise zum Segen der Kirche gelöst wird. Und daß
alle kirchlichen Thätigkeiten in der Hand einer Person oder eines Kollegiums
auch nur in Hinsicht der Aufsicht vereinigt würden, ist nur soweit etwas Wün¬
schenswertes, als es der Kirche frommt. Das heißt aber, es ist nicht wünschens¬
wert, weil sonst die Gefahr einer Mechanisirung des kirchlichen Lebens nach katho¬
lischem Muster drohen würde. Die oberste Kirchenbehörde hat auf evangelischem
Boden nur einen beschränkten Umfang von Aufgaben und demgemäß von Rechten,
nämlich zunächst die Aufsicht über das kirchliche Leben der Gemeinden, die zu
einer Landeskirche verbunden sind. Wenn man nicht zuerst die evangelischen
Grundanschauungen über Kirche, kirchliche Thätigkeit, kirchliche Verfassung ver¬
leugnen will, darf man sich also beim Falle Harnack auf die Analogie der katho¬
lischen Kirche nicht berufen. So einfach, wie der katholischen Kirche gegenüber,
ist es für den Minister nicht das Urteil der „Kirche" festzustellen. Wenn er
auf Grund des Vorschlages einer theologischen Fakultät einen Professor der
Theologie anstellt, gegen den die oberste Kirchenbehörde protestirt, so braucht
das so gewiß keine Vergewaltigung der Kirche zu sein, als auch die theologische
Fakultät ein Organ der Kirche ist so gut wie die oberste Kirchenbehörde.
Es fragt sich nun, welches von beiden Organen die Annahme für sich
hat, daß es zur Wahrung der kirchlichen Interessen in diesen<Falle berufener
sei. Nach einer Seite hin kann eine Kirchenbehörde vermöge ihrer besondern
Arbeit an der Kirche wohl in der Lage sein, über die kirchliche Qualifikation
eines theologischen Lehrers ein Urteil abzugeben. Wenn Schüler des Betreffen¬
den in ihrem Aufsichtsgebiete kirchlich thätig sind, so kann sie an ihnen den
Geist erkennen, mit dem ihr Lehrer sie erfüllt hat, ob sie durch ihn unlustig
und ungeschickt für die schweren Aufgaben des Pfarramts geworden sind, oder
ob sie Liebe zum Evangelium und Freudigkeit zur kirchlichen Arbeit beweisen.
Die Presse, die für den Oberkirchenrat eintrat und seine Anstöße verbreitete,
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