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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

sich weiter träumen; jeder Frühling hat ja noch welke Blätter aus dem ver¬
gangenen Jahre abzustoßen.

So ist ein großes Leben heimgegangen zu seinem Gott, hinterläßt aber
den Seinen ein großes Leben. Gerade die Trauer um ihn ließ uns erst voll
empfinden, wie uns, längst von den Besten der Nation vorbereitet, aber durch
ihn vollzogen, ein neues Leben, das lang ersehnte, endlich gegeben ist. Die
Trauertage werden darin wie eine Höhe erscheinen, wie bei gleichen Fällen im
Hausleben. Nun treu festhalten, was uns die Höhe hat sehen und empfinden
lassen, das wäre die rechte Losung für unsern weitern Lebensweg in den Nie¬
derungen und Schluften, durch die er noch führen wird. So erblüht aus der
Trauer die beste Blüte, Treue mit freudiger Kraft und Zuversicht.




Ricks Lyhne.
Z. P. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.)

er Befreiungsversuch, der diesem Bestreben zu Grunde lag, mi߬
glückte. Sie versank wieder in ihre Träume, in die Träume
ihrer Mädchenzeit, aber da war nnr der eine Unterschied, daß
jetzt keine Hoffnung diese Träume mehr erhellte; sie hatte gelernt,
daß es nur Träume waren, ferne, verführerische Luftspiege¬
lungen, die keine Sehnsucht der Welt auf ihre Erde herabzuziehen vermochte.
Gab sie sich also diesen Träumen jetzt hin, so geschah es nur mit innerer Un¬
ruhe und trotz einer mahnenden Stimme, die ihr vorhielt, daß sie dem Trinker
gleiche, der weiß, daß seine Leidenschaft verderblich ist, daß jeder neue Rausch
seine Kräfte schwächt und die Macht seiner Leidenschaft vermehrt; aber die
Stimme erklang vergebens, denn ein nüchtern gelebtes Leben, ohne das süße
Laster der Träume, war ihr kein Leben, das wert war, gelebt zu werden -- das
Leben hatte ja nur den Wert, den ihm die Träume gaben.

So verschieden waren der Vater und die Mutter des kleinen Ricks Lhhne,
die beiden freundlichen Mächte, die, ohne sich dessen bewußt zu sein, einen Streit
um seine junge Seele stritten, schon von dem Augenblicke an, wo sich eine Funke


Ricks Lyhne.

sich weiter träumen; jeder Frühling hat ja noch welke Blätter aus dem ver¬
gangenen Jahre abzustoßen.

So ist ein großes Leben heimgegangen zu seinem Gott, hinterläßt aber
den Seinen ein großes Leben. Gerade die Trauer um ihn ließ uns erst voll
empfinden, wie uns, längst von den Besten der Nation vorbereitet, aber durch
ihn vollzogen, ein neues Leben, das lang ersehnte, endlich gegeben ist. Die
Trauertage werden darin wie eine Höhe erscheinen, wie bei gleichen Fällen im
Hausleben. Nun treu festhalten, was uns die Höhe hat sehen und empfinden
lassen, das wäre die rechte Losung für unsern weitern Lebensweg in den Nie¬
derungen und Schluften, durch die er noch führen wird. So erblüht aus der
Trauer die beste Blüte, Treue mit freudiger Kraft und Zuversicht.




Ricks Lyhne.
Z. P. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.)

er Befreiungsversuch, der diesem Bestreben zu Grunde lag, mi߬
glückte. Sie versank wieder in ihre Träume, in die Träume
ihrer Mädchenzeit, aber da war nnr der eine Unterschied, daß
jetzt keine Hoffnung diese Träume mehr erhellte; sie hatte gelernt,
daß es nur Träume waren, ferne, verführerische Luftspiege¬
lungen, die keine Sehnsucht der Welt auf ihre Erde herabzuziehen vermochte.
Gab sie sich also diesen Träumen jetzt hin, so geschah es nur mit innerer Un¬
ruhe und trotz einer mahnenden Stimme, die ihr vorhielt, daß sie dem Trinker
gleiche, der weiß, daß seine Leidenschaft verderblich ist, daß jeder neue Rausch
seine Kräfte schwächt und die Macht seiner Leidenschaft vermehrt; aber die
Stimme erklang vergebens, denn ein nüchtern gelebtes Leben, ohne das süße
Laster der Träume, war ihr kein Leben, das wert war, gelebt zu werden — das
Leben hatte ja nur den Wert, den ihm die Träume gaben.

So verschieden waren der Vater und die Mutter des kleinen Ricks Lhhne,
die beiden freundlichen Mächte, die, ohne sich dessen bewußt zu sein, einen Streit
um seine junge Seele stritten, schon von dem Augenblicke an, wo sich eine Funke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/98>, abgerufen am 01.09.2024.