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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

teilnehmende oder Dankesworte oder Glückwünsche u. s. w., nichts, das nicht
den schönen Hauch des schlichten, tiefen, deutschen Gemüts auf sich und in sich
hatte, seine kaiserlichen Worte waren immer zugleich rechte, gute, deutsche Worte
in diesem Sinne -- und sein Nachfolger zeigt das glücklich auch. Das hat
aber für Deutschland in seiner Lage, wie sie war, einen ganz eignen, ja hoch
Politischen Wert gehabt. Denn es hat wesentlich mit möglich machen helfen,
was noch vor drei, vier Jahrzehnten ganz unmöglich aussah, daß man nämlich
in deutschen Landen außer Preußen dieses auch als recht deutsch ansehen und
fühlen lernte. Das war ja neben der politischen Emigungsfrage, als sie für
den Verstand schon entschieden war, eine zweite, tiefer liegende, aber eigentlich
die Hauptfrage, daß auch die Stimmung, die Neigung, das Gemüt zur Rede
des Verstandes ihr freies, freudiges Ja sagen lernte. Man muß sich erinnern,
was man noch in den sechziger Jahren in Bayern, Württemberg, Hessen u. s. w.
für Äußerungen über den Berliner, den preußischen Geist zu hören bekam, auch
von Bestgesinnten, wie auch z. B. ein hochgebildeter Kölner mir fast leiden¬
schaftlich sagte: Wir Rheinländer sind gute Deutsche, aber keine Preußen -
dieser Dinge, die nun glücklich in Vergessenheit geraten, muß man sich erinnern,
um zu empfinden, daß wir eigentlich in der Hauptsache ein Wunder haben ge¬
schehen sehen. Fürst Bismarck sprach am 9. März vor dem Reichstage anch
von der allgemeinen Teilnahme in der Welt an dem schmerzlichen Geschicke des
kaiserlichen Hauses, und äußerte dabei: "Sie beweist, welches Vertrauen die
Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Es ist
dies ein Erbteil, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen Volke hinter¬
läßt. Das Vertrauen, welches die Dynastie erworben hat, wird auf die Nation
übertragen, trotz allem, was geschehen." Etwas dem entsprechendes ist denn
auch innerhalb Deutschlands selbst vor sich gegangen, der Name Preußen hat
da in wenigen Jahrzehnten langsam, aber sicher eine Färbung erhalten, einen
Klang gewonnen, wie sie nötig waren für das Ganze, wenn es das freie, schöne
Ganze in sich werden sollte, das nun alle empfinden oder vollends empfinden
lernen. Diese Färbung und dieser Klang sind aber wohl wesentlich von Kaiser
Wilhelm ausgegangen unter bester Mitwirkung seines Sohnes. Die gewaltige
Interessenpolitik, die denn auch nicht ohne Gewalt auftreten konnte, hat ihre
nötige Ergänzung gefunden durch Gemütspolitik von oben her, an der doch
auch der große Kanzler seinen guten Teil hat.

Nun finden wir uns denn geeinigt in neuer Treue und Kraft, nicht bloß
dnrch Vertragstreue, die zu fordern, allenfalls wohl zu erzwingen ist, sondern
durch solche, die als freie Bewegung aus sich heraus zum Ganzen strebt, in
dem alle Einzelnen sich nun erst recht selber finden, die Einzelleben im treuen
Zusammenleben. Alle Kräfte der Zukunft sehen wir nun in dieser Richtung
streben, und die noch widerstreben, lenken auch entweder allmählich ein oder
sind gleich welken Blättern aus einem vergangenen Leben her, von dem sie in


Grenzboten II. 1888. 12
Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

teilnehmende oder Dankesworte oder Glückwünsche u. s. w., nichts, das nicht
den schönen Hauch des schlichten, tiefen, deutschen Gemüts auf sich und in sich
hatte, seine kaiserlichen Worte waren immer zugleich rechte, gute, deutsche Worte
in diesem Sinne — und sein Nachfolger zeigt das glücklich auch. Das hat
aber für Deutschland in seiner Lage, wie sie war, einen ganz eignen, ja hoch
Politischen Wert gehabt. Denn es hat wesentlich mit möglich machen helfen,
was noch vor drei, vier Jahrzehnten ganz unmöglich aussah, daß man nämlich
in deutschen Landen außer Preußen dieses auch als recht deutsch ansehen und
fühlen lernte. Das war ja neben der politischen Emigungsfrage, als sie für
den Verstand schon entschieden war, eine zweite, tiefer liegende, aber eigentlich
die Hauptfrage, daß auch die Stimmung, die Neigung, das Gemüt zur Rede
des Verstandes ihr freies, freudiges Ja sagen lernte. Man muß sich erinnern,
was man noch in den sechziger Jahren in Bayern, Württemberg, Hessen u. s. w.
für Äußerungen über den Berliner, den preußischen Geist zu hören bekam, auch
von Bestgesinnten, wie auch z. B. ein hochgebildeter Kölner mir fast leiden¬
schaftlich sagte: Wir Rheinländer sind gute Deutsche, aber keine Preußen -
dieser Dinge, die nun glücklich in Vergessenheit geraten, muß man sich erinnern,
um zu empfinden, daß wir eigentlich in der Hauptsache ein Wunder haben ge¬
schehen sehen. Fürst Bismarck sprach am 9. März vor dem Reichstage anch
von der allgemeinen Teilnahme in der Welt an dem schmerzlichen Geschicke des
kaiserlichen Hauses, und äußerte dabei: „Sie beweist, welches Vertrauen die
Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Es ist
dies ein Erbteil, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen Volke hinter¬
läßt. Das Vertrauen, welches die Dynastie erworben hat, wird auf die Nation
übertragen, trotz allem, was geschehen." Etwas dem entsprechendes ist denn
auch innerhalb Deutschlands selbst vor sich gegangen, der Name Preußen hat
da in wenigen Jahrzehnten langsam, aber sicher eine Färbung erhalten, einen
Klang gewonnen, wie sie nötig waren für das Ganze, wenn es das freie, schöne
Ganze in sich werden sollte, das nun alle empfinden oder vollends empfinden
lernen. Diese Färbung und dieser Klang sind aber wohl wesentlich von Kaiser
Wilhelm ausgegangen unter bester Mitwirkung seines Sohnes. Die gewaltige
Interessenpolitik, die denn auch nicht ohne Gewalt auftreten konnte, hat ihre
nötige Ergänzung gefunden durch Gemütspolitik von oben her, an der doch
auch der große Kanzler seinen guten Teil hat.

Nun finden wir uns denn geeinigt in neuer Treue und Kraft, nicht bloß
dnrch Vertragstreue, die zu fordern, allenfalls wohl zu erzwingen ist, sondern
durch solche, die als freie Bewegung aus sich heraus zum Ganzen strebt, in
dem alle Einzelnen sich nun erst recht selber finden, die Einzelleben im treuen
Zusammenleben. Alle Kräfte der Zukunft sehen wir nun in dieser Richtung
streben, und die noch widerstreben, lenken auch entweder allmählich ein oder
sind gleich welken Blättern aus einem vergangenen Leben her, von dem sie in


Grenzboten II. 1888. 12
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[0097] Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen. teilnehmende oder Dankesworte oder Glückwünsche u. s. w., nichts, das nicht den schönen Hauch des schlichten, tiefen, deutschen Gemüts auf sich und in sich hatte, seine kaiserlichen Worte waren immer zugleich rechte, gute, deutsche Worte in diesem Sinne — und sein Nachfolger zeigt das glücklich auch. Das hat aber für Deutschland in seiner Lage, wie sie war, einen ganz eignen, ja hoch Politischen Wert gehabt. Denn es hat wesentlich mit möglich machen helfen, was noch vor drei, vier Jahrzehnten ganz unmöglich aussah, daß man nämlich in deutschen Landen außer Preußen dieses auch als recht deutsch ansehen und fühlen lernte. Das war ja neben der politischen Emigungsfrage, als sie für den Verstand schon entschieden war, eine zweite, tiefer liegende, aber eigentlich die Hauptfrage, daß auch die Stimmung, die Neigung, das Gemüt zur Rede des Verstandes ihr freies, freudiges Ja sagen lernte. Man muß sich erinnern, was man noch in den sechziger Jahren in Bayern, Württemberg, Hessen u. s. w. für Äußerungen über den Berliner, den preußischen Geist zu hören bekam, auch von Bestgesinnten, wie auch z. B. ein hochgebildeter Kölner mir fast leiden¬ schaftlich sagte: Wir Rheinländer sind gute Deutsche, aber keine Preußen - dieser Dinge, die nun glücklich in Vergessenheit geraten, muß man sich erinnern, um zu empfinden, daß wir eigentlich in der Hauptsache ein Wunder haben ge¬ schehen sehen. Fürst Bismarck sprach am 9. März vor dem Reichstage anch von der allgemeinen Teilnahme in der Welt an dem schmerzlichen Geschicke des kaiserlichen Hauses, und äußerte dabei: „Sie beweist, welches Vertrauen die Dynastie des deutschen Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Es ist dies ein Erbteil, was des Kaisers lange Regierung dem deutschen Volke hinter¬ läßt. Das Vertrauen, welches die Dynastie erworben hat, wird auf die Nation übertragen, trotz allem, was geschehen." Etwas dem entsprechendes ist denn auch innerhalb Deutschlands selbst vor sich gegangen, der Name Preußen hat da in wenigen Jahrzehnten langsam, aber sicher eine Färbung erhalten, einen Klang gewonnen, wie sie nötig waren für das Ganze, wenn es das freie, schöne Ganze in sich werden sollte, das nun alle empfinden oder vollends empfinden lernen. Diese Färbung und dieser Klang sind aber wohl wesentlich von Kaiser Wilhelm ausgegangen unter bester Mitwirkung seines Sohnes. Die gewaltige Interessenpolitik, die denn auch nicht ohne Gewalt auftreten konnte, hat ihre nötige Ergänzung gefunden durch Gemütspolitik von oben her, an der doch auch der große Kanzler seinen guten Teil hat. Nun finden wir uns denn geeinigt in neuer Treue und Kraft, nicht bloß dnrch Vertragstreue, die zu fordern, allenfalls wohl zu erzwingen ist, sondern durch solche, die als freie Bewegung aus sich heraus zum Ganzen strebt, in dem alle Einzelnen sich nun erst recht selber finden, die Einzelleben im treuen Zusammenleben. Alle Kräfte der Zukunft sehen wir nun in dieser Richtung streben, und die noch widerstreben, lenken auch entweder allmählich ein oder sind gleich welken Blättern aus einem vergangenen Leben her, von dem sie in Grenzboten II. 1888. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/97>, abgerufen am 01.09.2024.