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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

Bände "Repertorium der neuen Entdeckungen in der Chemie" beweisen, daß
Fechner den schärfsten kritischen Geist mit umfassenden Wissen verband, und
sind noch heute wegen ihrer Zuverlässigkeit wichtige Nachschlagewerke für den
Fachmann. Über den Wert der "Maßbestimmungen" läßt sich heutzutage nicht
leicht ein richtiges Urteil gewinnen. Wir müssen uns zurückversetzen in die
erste Entwicklungszeit der Lehre von elektrischen Strome. Um die Mitte der
zwanziger Jahre hatte die Voltasche Säule bereits viele Verbesserungen er¬
fahren, aber man kannte noch keine Säulen von unveränderlicher Wirksamkeit;
Örstedt hatte die Einwirkung des Stromes auf den Magneten kennen gelernt;
aber man hatte noch keine Galvanometer, die durch die Ablenkung einer Magnet¬
nadel den Strom messen. Ampi-res Entdeckungen wurden zum ersten male in
den physikalischen Kabinetcn Deutschlands wiederholt und in zahlreichen Ab¬
handlungen besprochen, oft nur, um zu zeigen, "daß man hierorts den neuen
Entdeckungen in der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus nicht
mit Gleichgiltigkeit entgegengekommen." Faraday ist Zeitgenosse Fechners im
engsten Sinne; Fechner konnte also nicht bei ihm in die Schule gehen.

Im Jahre 1826 veröffentlichte G. S. Ohm das nach ihm benannte Gesetz,
welches die Abhängigkeit des Stromes von der Beschaffenheit und den Maßen
des Schlicßungskreises feststellt und das Grundgesetz bildet, auf welchem alle
Strommessungen und damit alle Fortschritte, welche die Elektrizitätslchre in der
Folgezeit gemacht hat, beruhen. Die experimentellen Bestätigungen, welche Ohm
seinem Gesetze gab, waren nicht genügend; hier setzen die Maßbestimmungen
Fechners ein. Mit dem richtigen Blick für das Erforderliche, überall methodisch
klar, schuf Fechner Meßmethoden, welche trotz der unvollkommenen Hilfsmittel
des Experiments der Schwierigkeiten des Problems Herr wurden, freilich bald
durch die mit Riesenschritten ihrer heutigen Vollendung entgegeneilenden Wissen¬
schaft überholt wurden, aber in der Zeit ihrer Entstehung doch das wesentlichste
dazu beitrugen, das Ohmsche Gesetz schnell zu allgemeiner Anerkennung zu bringen.
Die "Maßbestimmungen" sollten in keiner Sammlung von mustergiltigen Bei¬
spielen physikalischer Experimcntaluntersuchungen fehlen; sie würden dem Studi-
renden vor allem lehren, daß man nicht mit Kanonen auf die Hasenjagd gehen,
daß man mit einfachen Hilfsmitteln arbeiten soll, so lange diese ausreichen.

Die "Maßbestimmungcn" erschienen gesammelt im Jahre 1831, sie wurden
dann durch viele Abhandlungen erweitert, neues wurde hinzugefügt, Fechner
betrat auch andre Gebiete der Physik -- seine Forschung ist immer gleich muster-
giltig. Ein sonderbares Lob heutzutage! Man bedenke aber, daß die Zeit¬
genossen Fechners unter den deutschen Physikern den ersten Grund dazu gelegt
haben, die methodische Strenge zum Gemeingut aller deutschen Physiker zu
machen, welche uns als etwas Selbstverständliches erscheint.

Nachdem Fechner die physikalische Professur niedergelegt hatte, mußte er
sich darauf beschränken, den Entwicklungsgang der modernen Physik als Zu-


Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

Bände „Repertorium der neuen Entdeckungen in der Chemie" beweisen, daß
Fechner den schärfsten kritischen Geist mit umfassenden Wissen verband, und
sind noch heute wegen ihrer Zuverlässigkeit wichtige Nachschlagewerke für den
Fachmann. Über den Wert der „Maßbestimmungen" läßt sich heutzutage nicht
leicht ein richtiges Urteil gewinnen. Wir müssen uns zurückversetzen in die
erste Entwicklungszeit der Lehre von elektrischen Strome. Um die Mitte der
zwanziger Jahre hatte die Voltasche Säule bereits viele Verbesserungen er¬
fahren, aber man kannte noch keine Säulen von unveränderlicher Wirksamkeit;
Örstedt hatte die Einwirkung des Stromes auf den Magneten kennen gelernt;
aber man hatte noch keine Galvanometer, die durch die Ablenkung einer Magnet¬
nadel den Strom messen. Ampi-res Entdeckungen wurden zum ersten male in
den physikalischen Kabinetcn Deutschlands wiederholt und in zahlreichen Ab¬
handlungen besprochen, oft nur, um zu zeigen, „daß man hierorts den neuen
Entdeckungen in der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus nicht
mit Gleichgiltigkeit entgegengekommen." Faraday ist Zeitgenosse Fechners im
engsten Sinne; Fechner konnte also nicht bei ihm in die Schule gehen.

Im Jahre 1826 veröffentlichte G. S. Ohm das nach ihm benannte Gesetz,
welches die Abhängigkeit des Stromes von der Beschaffenheit und den Maßen
des Schlicßungskreises feststellt und das Grundgesetz bildet, auf welchem alle
Strommessungen und damit alle Fortschritte, welche die Elektrizitätslchre in der
Folgezeit gemacht hat, beruhen. Die experimentellen Bestätigungen, welche Ohm
seinem Gesetze gab, waren nicht genügend; hier setzen die Maßbestimmungen
Fechners ein. Mit dem richtigen Blick für das Erforderliche, überall methodisch
klar, schuf Fechner Meßmethoden, welche trotz der unvollkommenen Hilfsmittel
des Experiments der Schwierigkeiten des Problems Herr wurden, freilich bald
durch die mit Riesenschritten ihrer heutigen Vollendung entgegeneilenden Wissen¬
schaft überholt wurden, aber in der Zeit ihrer Entstehung doch das wesentlichste
dazu beitrugen, das Ohmsche Gesetz schnell zu allgemeiner Anerkennung zu bringen.
Die „Maßbestimmungen" sollten in keiner Sammlung von mustergiltigen Bei¬
spielen physikalischer Experimcntaluntersuchungen fehlen; sie würden dem Studi-
renden vor allem lehren, daß man nicht mit Kanonen auf die Hasenjagd gehen,
daß man mit einfachen Hilfsmitteln arbeiten soll, so lange diese ausreichen.

Die „Maßbestimmungcn" erschienen gesammelt im Jahre 1831, sie wurden
dann durch viele Abhandlungen erweitert, neues wurde hinzugefügt, Fechner
betrat auch andre Gebiete der Physik — seine Forschung ist immer gleich muster-
giltig. Ein sonderbares Lob heutzutage! Man bedenke aber, daß die Zeit¬
genossen Fechners unter den deutschen Physikern den ersten Grund dazu gelegt
haben, die methodische Strenge zum Gemeingut aller deutschen Physiker zu
machen, welche uns als etwas Selbstverständliches erscheint.

Nachdem Fechner die physikalische Professur niedergelegt hatte, mußte er
sich darauf beschränken, den Entwicklungsgang der modernen Physik als Zu-


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[0086] Zum Andenken Gustav Theodor Fechners. Bände „Repertorium der neuen Entdeckungen in der Chemie" beweisen, daß Fechner den schärfsten kritischen Geist mit umfassenden Wissen verband, und sind noch heute wegen ihrer Zuverlässigkeit wichtige Nachschlagewerke für den Fachmann. Über den Wert der „Maßbestimmungen" läßt sich heutzutage nicht leicht ein richtiges Urteil gewinnen. Wir müssen uns zurückversetzen in die erste Entwicklungszeit der Lehre von elektrischen Strome. Um die Mitte der zwanziger Jahre hatte die Voltasche Säule bereits viele Verbesserungen er¬ fahren, aber man kannte noch keine Säulen von unveränderlicher Wirksamkeit; Örstedt hatte die Einwirkung des Stromes auf den Magneten kennen gelernt; aber man hatte noch keine Galvanometer, die durch die Ablenkung einer Magnet¬ nadel den Strom messen. Ampi-res Entdeckungen wurden zum ersten male in den physikalischen Kabinetcn Deutschlands wiederholt und in zahlreichen Ab¬ handlungen besprochen, oft nur, um zu zeigen, „daß man hierorts den neuen Entdeckungen in der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus nicht mit Gleichgiltigkeit entgegengekommen." Faraday ist Zeitgenosse Fechners im engsten Sinne; Fechner konnte also nicht bei ihm in die Schule gehen. Im Jahre 1826 veröffentlichte G. S. Ohm das nach ihm benannte Gesetz, welches die Abhängigkeit des Stromes von der Beschaffenheit und den Maßen des Schlicßungskreises feststellt und das Grundgesetz bildet, auf welchem alle Strommessungen und damit alle Fortschritte, welche die Elektrizitätslchre in der Folgezeit gemacht hat, beruhen. Die experimentellen Bestätigungen, welche Ohm seinem Gesetze gab, waren nicht genügend; hier setzen die Maßbestimmungen Fechners ein. Mit dem richtigen Blick für das Erforderliche, überall methodisch klar, schuf Fechner Meßmethoden, welche trotz der unvollkommenen Hilfsmittel des Experiments der Schwierigkeiten des Problems Herr wurden, freilich bald durch die mit Riesenschritten ihrer heutigen Vollendung entgegeneilenden Wissen¬ schaft überholt wurden, aber in der Zeit ihrer Entstehung doch das wesentlichste dazu beitrugen, das Ohmsche Gesetz schnell zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Die „Maßbestimmungen" sollten in keiner Sammlung von mustergiltigen Bei¬ spielen physikalischer Experimcntaluntersuchungen fehlen; sie würden dem Studi- renden vor allem lehren, daß man nicht mit Kanonen auf die Hasenjagd gehen, daß man mit einfachen Hilfsmitteln arbeiten soll, so lange diese ausreichen. Die „Maßbestimmungcn" erschienen gesammelt im Jahre 1831, sie wurden dann durch viele Abhandlungen erweitert, neues wurde hinzugefügt, Fechner betrat auch andre Gebiete der Physik — seine Forschung ist immer gleich muster- giltig. Ein sonderbares Lob heutzutage! Man bedenke aber, daß die Zeit¬ genossen Fechners unter den deutschen Physikern den ersten Grund dazu gelegt haben, die methodische Strenge zum Gemeingut aller deutschen Physiker zu machen, welche uns als etwas Selbstverständliches erscheint. Nachdem Fechner die physikalische Professur niedergelegt hatte, mußte er sich darauf beschränken, den Entwicklungsgang der modernen Physik als Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/86>, abgerufen am 01.09.2024.