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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

zurück; es war das letzte, was aus seiner Feder kam. Bald darauf brach sein
Leib erschöpft zusammen, und Ende August oder Anfang September (der Tag
ist nicht festzustellen) hauchte er seine streitbare Seele aus, wenig über fünfund¬
dreißig Jahre alt. Blutarm, wie er gelebt hatte, ist er gestorben; er hinterließ,
wie Zwingli berichtet, nichts an Wert, nicht einmal Bücher, nur eine Feder.
Kein Stein bezeichnet die Stätte, wo der Ritter zur Ruhe gebettet wurde.
Aber im Gedächtnis seiner Nation blieb seine Spur unverwischt, denn es war
so, wie er geschrieben hatte: "Unmöglich ist es, mit dem Leben zugleich das
Andenken des Lebens zu vernichten."

Nicht als ob uns alles erfreuen könnte, was er gesagt oder gethan hat.
Wir halten keine historische Größe für vollkommen, und makellose Heilige hat
es, in der Weltgeschichte wenigstens, nicht gegeben. Ja die menschliche Schwäche
berührt uns umso schmerzlicher, je glänzender ein so hochfliegender Geist und
je selbstloser seine ganze Lebensthätigkeit vor uns steht. Aber es würde sich
schlecht ziemen und Herzensrohheit verraten, wollten wir Fehler, für die er
selbst in laugen Jahren bitter gebüßt hat und die der Tod und die Zeit in
die läuternde Ferne gerückt haben, ihm zum Vorwurf machen. Wollen wir so
bei Beurteilung von Dingen, welche bei den Verhältnissen und Anschauungen
der Zeit leichter wogen als heutzutage, gegen Hütten mindestens nicht härter
sein als die Zeitgenossen, so können wir anderseits seinem uneigennützigen
Wollen volle Gerechtigkeit widerfahren lasten. Es gereicht uns nur selbst zur
Ehre, wenn wir das Verdienst aller der Männer dankbar anerkennen, die sich
an der jahrhundertelangen Arbeit um unsre geistige und nationale Wieder¬
geburt thatkräftig beteiligt haben, wenn auch einer wie Ulrich von Hütten hie
und da fehlgegriffen hat, wenn er sich auch in Personen und Zeitverhältnissen
geirrt und sich der edeln Täuschung hingegeben hat, es werde sich das, was
er für Deutschlands Wohl als nötig erachtete, in raschem Ansturm erringen
lassen.

Und zieren ihn nicht Eigenschaften, die nicht zu jeder Zeit und vor allem
nicht leicht so vollgemessen wie bei ihm zu finden sind: der unerschrockene Mut
des Gewissens, der sittliche Zorn und die durchaus selbstlose Hingebung an eine
große Sache? Weithin erscholl sein Heerruf in dem geistigen Befreiungskriege,
dessen Freiheitssäuger er genannt werden kann; eine der übersprudelndsten Sturm¬
wellen, braust er schäumend daher in dem mächtig einherwogenden Strome der
ersten Neformativnsjcchre. Wie ein Feuerstrudel hofft er in heiligem Zorn das
Alte verzehren zu können und Bahn zu brechen für das Neue. Er erlebte die
Enttäuschung, die solchen Naturen nicht erspart bleibt, die aber, zu der Mensch¬
heit Heil, sie auch nicht lahm zu legen vermag: die zähe Masse ließ sich nicht
so feuerslüssig machen, wie Hütten selber war. ließ sich nicht so rasch in Fluß
bringen und hineingießen in einen kirchlich und politisch verjüngten nationalen
Staat.


Ulrich von Hütten.

zurück; es war das letzte, was aus seiner Feder kam. Bald darauf brach sein
Leib erschöpft zusammen, und Ende August oder Anfang September (der Tag
ist nicht festzustellen) hauchte er seine streitbare Seele aus, wenig über fünfund¬
dreißig Jahre alt. Blutarm, wie er gelebt hatte, ist er gestorben; er hinterließ,
wie Zwingli berichtet, nichts an Wert, nicht einmal Bücher, nur eine Feder.
Kein Stein bezeichnet die Stätte, wo der Ritter zur Ruhe gebettet wurde.
Aber im Gedächtnis seiner Nation blieb seine Spur unverwischt, denn es war
so, wie er geschrieben hatte: „Unmöglich ist es, mit dem Leben zugleich das
Andenken des Lebens zu vernichten."

Nicht als ob uns alles erfreuen könnte, was er gesagt oder gethan hat.
Wir halten keine historische Größe für vollkommen, und makellose Heilige hat
es, in der Weltgeschichte wenigstens, nicht gegeben. Ja die menschliche Schwäche
berührt uns umso schmerzlicher, je glänzender ein so hochfliegender Geist und
je selbstloser seine ganze Lebensthätigkeit vor uns steht. Aber es würde sich
schlecht ziemen und Herzensrohheit verraten, wollten wir Fehler, für die er
selbst in laugen Jahren bitter gebüßt hat und die der Tod und die Zeit in
die läuternde Ferne gerückt haben, ihm zum Vorwurf machen. Wollen wir so
bei Beurteilung von Dingen, welche bei den Verhältnissen und Anschauungen
der Zeit leichter wogen als heutzutage, gegen Hütten mindestens nicht härter
sein als die Zeitgenossen, so können wir anderseits seinem uneigennützigen
Wollen volle Gerechtigkeit widerfahren lasten. Es gereicht uns nur selbst zur
Ehre, wenn wir das Verdienst aller der Männer dankbar anerkennen, die sich
an der jahrhundertelangen Arbeit um unsre geistige und nationale Wieder¬
geburt thatkräftig beteiligt haben, wenn auch einer wie Ulrich von Hütten hie
und da fehlgegriffen hat, wenn er sich auch in Personen und Zeitverhältnissen
geirrt und sich der edeln Täuschung hingegeben hat, es werde sich das, was
er für Deutschlands Wohl als nötig erachtete, in raschem Ansturm erringen
lassen.

Und zieren ihn nicht Eigenschaften, die nicht zu jeder Zeit und vor allem
nicht leicht so vollgemessen wie bei ihm zu finden sind: der unerschrockene Mut
des Gewissens, der sittliche Zorn und die durchaus selbstlose Hingebung an eine
große Sache? Weithin erscholl sein Heerruf in dem geistigen Befreiungskriege,
dessen Freiheitssäuger er genannt werden kann; eine der übersprudelndsten Sturm¬
wellen, braust er schäumend daher in dem mächtig einherwogenden Strome der
ersten Neformativnsjcchre. Wie ein Feuerstrudel hofft er in heiligem Zorn das
Alte verzehren zu können und Bahn zu brechen für das Neue. Er erlebte die
Enttäuschung, die solchen Naturen nicht erspart bleibt, die aber, zu der Mensch¬
heit Heil, sie auch nicht lahm zu legen vermag: die zähe Masse ließ sich nicht
so feuerslüssig machen, wie Hütten selber war. ließ sich nicht so rasch in Fluß
bringen und hineingießen in einen kirchlich und politisch verjüngten nationalen
Staat.


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[0079] Ulrich von Hütten. zurück; es war das letzte, was aus seiner Feder kam. Bald darauf brach sein Leib erschöpft zusammen, und Ende August oder Anfang September (der Tag ist nicht festzustellen) hauchte er seine streitbare Seele aus, wenig über fünfund¬ dreißig Jahre alt. Blutarm, wie er gelebt hatte, ist er gestorben; er hinterließ, wie Zwingli berichtet, nichts an Wert, nicht einmal Bücher, nur eine Feder. Kein Stein bezeichnet die Stätte, wo der Ritter zur Ruhe gebettet wurde. Aber im Gedächtnis seiner Nation blieb seine Spur unverwischt, denn es war so, wie er geschrieben hatte: „Unmöglich ist es, mit dem Leben zugleich das Andenken des Lebens zu vernichten." Nicht als ob uns alles erfreuen könnte, was er gesagt oder gethan hat. Wir halten keine historische Größe für vollkommen, und makellose Heilige hat es, in der Weltgeschichte wenigstens, nicht gegeben. Ja die menschliche Schwäche berührt uns umso schmerzlicher, je glänzender ein so hochfliegender Geist und je selbstloser seine ganze Lebensthätigkeit vor uns steht. Aber es würde sich schlecht ziemen und Herzensrohheit verraten, wollten wir Fehler, für die er selbst in laugen Jahren bitter gebüßt hat und die der Tod und die Zeit in die läuternde Ferne gerückt haben, ihm zum Vorwurf machen. Wollen wir so bei Beurteilung von Dingen, welche bei den Verhältnissen und Anschauungen der Zeit leichter wogen als heutzutage, gegen Hütten mindestens nicht härter sein als die Zeitgenossen, so können wir anderseits seinem uneigennützigen Wollen volle Gerechtigkeit widerfahren lasten. Es gereicht uns nur selbst zur Ehre, wenn wir das Verdienst aller der Männer dankbar anerkennen, die sich an der jahrhundertelangen Arbeit um unsre geistige und nationale Wieder¬ geburt thatkräftig beteiligt haben, wenn auch einer wie Ulrich von Hütten hie und da fehlgegriffen hat, wenn er sich auch in Personen und Zeitverhältnissen geirrt und sich der edeln Täuschung hingegeben hat, es werde sich das, was er für Deutschlands Wohl als nötig erachtete, in raschem Ansturm erringen lassen. Und zieren ihn nicht Eigenschaften, die nicht zu jeder Zeit und vor allem nicht leicht so vollgemessen wie bei ihm zu finden sind: der unerschrockene Mut des Gewissens, der sittliche Zorn und die durchaus selbstlose Hingebung an eine große Sache? Weithin erscholl sein Heerruf in dem geistigen Befreiungskriege, dessen Freiheitssäuger er genannt werden kann; eine der übersprudelndsten Sturm¬ wellen, braust er schäumend daher in dem mächtig einherwogenden Strome der ersten Neformativnsjcchre. Wie ein Feuerstrudel hofft er in heiligem Zorn das Alte verzehren zu können und Bahn zu brechen für das Neue. Er erlebte die Enttäuschung, die solchen Naturen nicht erspart bleibt, die aber, zu der Mensch¬ heit Heil, sie auch nicht lahm zu legen vermag: die zähe Masse ließ sich nicht so feuerslüssig machen, wie Hütten selber war. ließ sich nicht so rasch in Fluß bringen und hineingießen in einen kirchlich und politisch verjüngten nationalen Staat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/79>, abgerufen am 27.07.2024.