Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Die Smaragdinsel. Geldbeutel fiele, so wäre das andre geradezu eine Gefahr. Die keltischen Fran¬ In gewisser Beziehung also ist der Widerstand gegen die irischen For¬ Wir Deutschen haben Jahrhunderte lang nicht gewußt, was Vaterland be¬ Wenn das englische Volk den Staatsgedanken wiedererlangt haben wird Die Smaragdinsel. Geldbeutel fiele, so wäre das andre geradezu eine Gefahr. Die keltischen Fran¬ In gewisser Beziehung also ist der Widerstand gegen die irischen For¬ Wir Deutschen haben Jahrhunderte lang nicht gewußt, was Vaterland be¬ Wenn das englische Volk den Staatsgedanken wiedererlangt haben wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0643" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203420"/> <fw type="header" place="top"> Die Smaragdinsel.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2018" prev="#ID_2017"> Geldbeutel fiele, so wäre das andre geradezu eine Gefahr. Die keltischen Fran¬<lb/> zosen sind die nächsten Verwandten der Iren, und diese würde» sich sicherlich<lb/> mehr zu Frankreich als zu England hingezogen fühlen. Schon in frühern Jahr¬<lb/> hunderten hat Frankreich im Kriege mit England Irland zum Stützpunkte ge¬<lb/> wählt, dasselbe würde in Zukunft der Fall sein. Die Nähe Frankreichs bei<lb/> Dover macht den Engländern bereits Kopfschmerzen genug; ein selbständiges<lb/> Irland würde diese Gefahr verdoppeln und verdreifachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2019"> In gewisser Beziehung also ist der Widerstand gegen die irischen For¬<lb/> derungen auch im Bewußtsein der englischen Schwäche begründet. Man fühlt<lb/> sich den möglichen Gefahren gegenüber nicht stark genug. Der beste Weg zu<lb/> Reformen in Irland würde daher sein, mit Reformen in England zu beginnen.<lb/> Die tiefgewurzelte Abneigung gegen die Staatsgewalt hat es fertig gebracht,<lb/> daß in England der Staatsgedanke fast ganz geschwunden ist. Der englische<lb/> Staat ist eine Gesellschaft von Individuen, deren jeder seinem Gewinne nach¬<lb/> geht, ohne zu fragen, ob sein Thun dem Gemeinwesen, dem er angehört, schadet<lb/> oder nicht. Der Engländer hat dem Staate gegenüber keine persönlichen Opfer<lb/> zu bringen, wahrer Patriotismus ist daher kaum zu erwarten. Der Engländer<lb/> lacht über den Deutschen, der vom Vaterlande singt, weil der Engländer gar<lb/> nicht weiß, was ein Vaterland ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2020"> Wir Deutschen haben Jahrhunderte lang nicht gewußt, was Vaterland be¬<lb/> deutet, bis die eiserne Not es uns gelehrt und uns zu einer Nation zusammen¬<lb/> geschweißt hat, die opferfreudig ihr Letztes daran setzt, die errungene Einheit<lb/> zu erhalten. Vielleicht wird auch das englische Volk durch die Not gezwungen<lb/> werden, anzuerkennen, daß in einem Staate auch noch andre Rücksichten Gel¬<lb/> tung haben als die auf den Geldsack.</p><lb/> <p xml:id="ID_2021"> Wenn das englische Volk den Staatsgedanken wiedererlangt haben wird<lb/> wenn es gelernt haben wird, daß in einem Staate alle für einen und einer für<lb/> alle stehen muß, wenn es eingesehen haben wird, daß nicht angeworbene Miet¬<lb/> linge das Reich schützen können, sondern daß jeder Bürger die Pflicht hat, mit Gut<lb/> und Blut für ein „Vaterland" einzutreten, dann wird England stark genug sein,<lb/> Irland ohne Furcht bewilligen zu können, was es jetzt nicht mag. Wenn Eng¬<lb/> land stark ist, wird auch Irland durch die natürliche Nähe in seine Sphäre<lb/> gezogen werden, und in Freundschaft werden bei einander wohnen, die sich bisher<lb/> befehdet haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0643]
Die Smaragdinsel.
Geldbeutel fiele, so wäre das andre geradezu eine Gefahr. Die keltischen Fran¬
zosen sind die nächsten Verwandten der Iren, und diese würde» sich sicherlich
mehr zu Frankreich als zu England hingezogen fühlen. Schon in frühern Jahr¬
hunderten hat Frankreich im Kriege mit England Irland zum Stützpunkte ge¬
wählt, dasselbe würde in Zukunft der Fall sein. Die Nähe Frankreichs bei
Dover macht den Engländern bereits Kopfschmerzen genug; ein selbständiges
Irland würde diese Gefahr verdoppeln und verdreifachen.
In gewisser Beziehung also ist der Widerstand gegen die irischen For¬
derungen auch im Bewußtsein der englischen Schwäche begründet. Man fühlt
sich den möglichen Gefahren gegenüber nicht stark genug. Der beste Weg zu
Reformen in Irland würde daher sein, mit Reformen in England zu beginnen.
Die tiefgewurzelte Abneigung gegen die Staatsgewalt hat es fertig gebracht,
daß in England der Staatsgedanke fast ganz geschwunden ist. Der englische
Staat ist eine Gesellschaft von Individuen, deren jeder seinem Gewinne nach¬
geht, ohne zu fragen, ob sein Thun dem Gemeinwesen, dem er angehört, schadet
oder nicht. Der Engländer hat dem Staate gegenüber keine persönlichen Opfer
zu bringen, wahrer Patriotismus ist daher kaum zu erwarten. Der Engländer
lacht über den Deutschen, der vom Vaterlande singt, weil der Engländer gar
nicht weiß, was ein Vaterland ist.
Wir Deutschen haben Jahrhunderte lang nicht gewußt, was Vaterland be¬
deutet, bis die eiserne Not es uns gelehrt und uns zu einer Nation zusammen¬
geschweißt hat, die opferfreudig ihr Letztes daran setzt, die errungene Einheit
zu erhalten. Vielleicht wird auch das englische Volk durch die Not gezwungen
werden, anzuerkennen, daß in einem Staate auch noch andre Rücksichten Gel¬
tung haben als die auf den Geldsack.
Wenn das englische Volk den Staatsgedanken wiedererlangt haben wird
wenn es gelernt haben wird, daß in einem Staate alle für einen und einer für
alle stehen muß, wenn es eingesehen haben wird, daß nicht angeworbene Miet¬
linge das Reich schützen können, sondern daß jeder Bürger die Pflicht hat, mit Gut
und Blut für ein „Vaterland" einzutreten, dann wird England stark genug sein,
Irland ohne Furcht bewilligen zu können, was es jetzt nicht mag. Wenn Eng¬
land stark ist, wird auch Irland durch die natürliche Nähe in seine Sphäre
gezogen werden, und in Freundschaft werden bei einander wohnen, die sich bisher
befehdet haben.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |