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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Smaragdinsel.

wirr abwirft. In frühern Jahrhunderten wurde der irische Bauer durch Ab¬
sperrung niedergehalten; jetzt ist es die Freiheit des Handels, die ihn noch tiefer
drückt. Daß er unter solchen Umständen nicht an dem Boden hängt, den er
nur bedingungsweise und mit großer Anstrengung erhalten kann, daß er es vor¬
zieht, ein Land zu meiden, wo er Leuten wie einem Lord Clanriearde tribut¬
pflichtig ist, ist nicht zu verwundern. Schon sind mehrere Millionen nach der
andern Seite des Ozeans ausgewandert, und andre folgen. Auch ohne durch¬
greifende Reform würde es der englischen Regierung wohl gelingen, die gestörte
Ruhe wiederherzustellen. Es würde Ruhe sein, aber nicht, weil der irische Bauer
zufriedengestellt ist, sondern weil keiner mehr vorhanden ist.

Das einzige Mittel, das Erfolg verspricht, ist, die Pächter zu Eigentümern
zu machen, wie es seinerzeit in Preußen geschehen ist. Es würde das wenig¬
stens einigermaßen ein Unrecht sühnen, das England einst den: Lande durch die
allgemeine Gütcrkonsiskativn zugefügt hat, und würde das grüne, meerumrauschte
Königreich vor dem Schicksale bewahren, nur von Schafen bewohnt zu werden.

Jedenfalls kann eine solche große Wunde im Staatskörper, wie Irland ist,
nur mit durchgreifenden Mitteln geheilt werden. Mögen diese nun sein, welcher
Art sie wollen, ein Leichtes ist es nicht, sie zur Ausführung zu bringen, da sie
größere Vollmachten für die Negierung bedingen würden, wozu sich ein eng¬
lisches Parlament nicht gern versteht. An der Eifersucht des Parlaments liegt
es, daß sich England nicht entschließen kann, Irland ein eignes Parlament zu
gewähren. In Preußen hat jede Provinz ihren besondern Landtag, ohne daß
dadurch der Gesamtlandtag oder der deutsche Reichstag beeinträchtigt würde.
In England hat das Parlament auch die Arbeit, die in Preußen, als nicht den
gesamten Staat, sondern nur einen Teil desselben betreffend, den Provinzial-
landtagen zugewiesen ist. Ein gleiches für Irland, das ein in sich abgeschlos¬
senes Gebiet bildet, zu bewilligen, erscheint durchaus billig und angemessen.

Irland hat viele innere Fragen, die England gar nichts angehen und für
die das englische Parlament, abgesehen von den irischen Mitgliedern, so viel
Interesse haben kann, wie etwa ein bairischer Landtag für einen Chausseebau
in Mecklenburg. Aber das englische Parlament befürchtet, und wohl nicht mit
Unrecht, daß eine Gewährung von Homerule Irland allmählich zu selbständig
machen und vielleicht zu völliger Abtrennung führen würde.

Die Wirtschaftsinteressen Irlands sind von denen Englands ganz ver¬
schieden. England ist groß durch seine Industrie, Irland hat, mit Ausnahme
der Whiskyfabrikation, wenig dergleichen aufzuweisen und ist hauptsächlich vom
Landbau abhängig. Dieser aber liegt darnieder, und die Befürchtung liegt nahe,
daß ein mit Machtvollkommenheit ausgestattetes irisches Parlament die Abge¬
schlossenheit der Insel erkennen und sich gegen England durch Zölle noch mehr
abschließen würde. Eine wirtschaftliche Trennung wäre gleichbedeutend mit po¬
litischer Selbständigkeit, und wenn schon das eine unangenehm auf den englischen


Die Smaragdinsel.

wirr abwirft. In frühern Jahrhunderten wurde der irische Bauer durch Ab¬
sperrung niedergehalten; jetzt ist es die Freiheit des Handels, die ihn noch tiefer
drückt. Daß er unter solchen Umständen nicht an dem Boden hängt, den er
nur bedingungsweise und mit großer Anstrengung erhalten kann, daß er es vor¬
zieht, ein Land zu meiden, wo er Leuten wie einem Lord Clanriearde tribut¬
pflichtig ist, ist nicht zu verwundern. Schon sind mehrere Millionen nach der
andern Seite des Ozeans ausgewandert, und andre folgen. Auch ohne durch¬
greifende Reform würde es der englischen Regierung wohl gelingen, die gestörte
Ruhe wiederherzustellen. Es würde Ruhe sein, aber nicht, weil der irische Bauer
zufriedengestellt ist, sondern weil keiner mehr vorhanden ist.

Das einzige Mittel, das Erfolg verspricht, ist, die Pächter zu Eigentümern
zu machen, wie es seinerzeit in Preußen geschehen ist. Es würde das wenig¬
stens einigermaßen ein Unrecht sühnen, das England einst den: Lande durch die
allgemeine Gütcrkonsiskativn zugefügt hat, und würde das grüne, meerumrauschte
Königreich vor dem Schicksale bewahren, nur von Schafen bewohnt zu werden.

Jedenfalls kann eine solche große Wunde im Staatskörper, wie Irland ist,
nur mit durchgreifenden Mitteln geheilt werden. Mögen diese nun sein, welcher
Art sie wollen, ein Leichtes ist es nicht, sie zur Ausführung zu bringen, da sie
größere Vollmachten für die Negierung bedingen würden, wozu sich ein eng¬
lisches Parlament nicht gern versteht. An der Eifersucht des Parlaments liegt
es, daß sich England nicht entschließen kann, Irland ein eignes Parlament zu
gewähren. In Preußen hat jede Provinz ihren besondern Landtag, ohne daß
dadurch der Gesamtlandtag oder der deutsche Reichstag beeinträchtigt würde.
In England hat das Parlament auch die Arbeit, die in Preußen, als nicht den
gesamten Staat, sondern nur einen Teil desselben betreffend, den Provinzial-
landtagen zugewiesen ist. Ein gleiches für Irland, das ein in sich abgeschlos¬
senes Gebiet bildet, zu bewilligen, erscheint durchaus billig und angemessen.

Irland hat viele innere Fragen, die England gar nichts angehen und für
die das englische Parlament, abgesehen von den irischen Mitgliedern, so viel
Interesse haben kann, wie etwa ein bairischer Landtag für einen Chausseebau
in Mecklenburg. Aber das englische Parlament befürchtet, und wohl nicht mit
Unrecht, daß eine Gewährung von Homerule Irland allmählich zu selbständig
machen und vielleicht zu völliger Abtrennung führen würde.

Die Wirtschaftsinteressen Irlands sind von denen Englands ganz ver¬
schieden. England ist groß durch seine Industrie, Irland hat, mit Ausnahme
der Whiskyfabrikation, wenig dergleichen aufzuweisen und ist hauptsächlich vom
Landbau abhängig. Dieser aber liegt darnieder, und die Befürchtung liegt nahe,
daß ein mit Machtvollkommenheit ausgestattetes irisches Parlament die Abge¬
schlossenheit der Insel erkennen und sich gegen England durch Zölle noch mehr
abschließen würde. Eine wirtschaftliche Trennung wäre gleichbedeutend mit po¬
litischer Selbständigkeit, und wenn schon das eine unangenehm auf den englischen


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[0642] Die Smaragdinsel. wirr abwirft. In frühern Jahrhunderten wurde der irische Bauer durch Ab¬ sperrung niedergehalten; jetzt ist es die Freiheit des Handels, die ihn noch tiefer drückt. Daß er unter solchen Umständen nicht an dem Boden hängt, den er nur bedingungsweise und mit großer Anstrengung erhalten kann, daß er es vor¬ zieht, ein Land zu meiden, wo er Leuten wie einem Lord Clanriearde tribut¬ pflichtig ist, ist nicht zu verwundern. Schon sind mehrere Millionen nach der andern Seite des Ozeans ausgewandert, und andre folgen. Auch ohne durch¬ greifende Reform würde es der englischen Regierung wohl gelingen, die gestörte Ruhe wiederherzustellen. Es würde Ruhe sein, aber nicht, weil der irische Bauer zufriedengestellt ist, sondern weil keiner mehr vorhanden ist. Das einzige Mittel, das Erfolg verspricht, ist, die Pächter zu Eigentümern zu machen, wie es seinerzeit in Preußen geschehen ist. Es würde das wenig¬ stens einigermaßen ein Unrecht sühnen, das England einst den: Lande durch die allgemeine Gütcrkonsiskativn zugefügt hat, und würde das grüne, meerumrauschte Königreich vor dem Schicksale bewahren, nur von Schafen bewohnt zu werden. Jedenfalls kann eine solche große Wunde im Staatskörper, wie Irland ist, nur mit durchgreifenden Mitteln geheilt werden. Mögen diese nun sein, welcher Art sie wollen, ein Leichtes ist es nicht, sie zur Ausführung zu bringen, da sie größere Vollmachten für die Negierung bedingen würden, wozu sich ein eng¬ lisches Parlament nicht gern versteht. An der Eifersucht des Parlaments liegt es, daß sich England nicht entschließen kann, Irland ein eignes Parlament zu gewähren. In Preußen hat jede Provinz ihren besondern Landtag, ohne daß dadurch der Gesamtlandtag oder der deutsche Reichstag beeinträchtigt würde. In England hat das Parlament auch die Arbeit, die in Preußen, als nicht den gesamten Staat, sondern nur einen Teil desselben betreffend, den Provinzial- landtagen zugewiesen ist. Ein gleiches für Irland, das ein in sich abgeschlos¬ senes Gebiet bildet, zu bewilligen, erscheint durchaus billig und angemessen. Irland hat viele innere Fragen, die England gar nichts angehen und für die das englische Parlament, abgesehen von den irischen Mitgliedern, so viel Interesse haben kann, wie etwa ein bairischer Landtag für einen Chausseebau in Mecklenburg. Aber das englische Parlament befürchtet, und wohl nicht mit Unrecht, daß eine Gewährung von Homerule Irland allmählich zu selbständig machen und vielleicht zu völliger Abtrennung führen würde. Die Wirtschaftsinteressen Irlands sind von denen Englands ganz ver¬ schieden. England ist groß durch seine Industrie, Irland hat, mit Ausnahme der Whiskyfabrikation, wenig dergleichen aufzuweisen und ist hauptsächlich vom Landbau abhängig. Dieser aber liegt darnieder, und die Befürchtung liegt nahe, daß ein mit Machtvollkommenheit ausgestattetes irisches Parlament die Abge¬ schlossenheit der Insel erkennen und sich gegen England durch Zölle noch mehr abschließen würde. Eine wirtschaftliche Trennung wäre gleichbedeutend mit po¬ litischer Selbständigkeit, und wenn schon das eine unangenehm auf den englischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/642>, abgerufen am 28.07.2024.