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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Smaragdinsel.

Verweigert, die von Wales bei aller Erhaltung nationaler Eigenheiten längst
erlangt worden ist, so kann der Grund nicht allein in der nationalen Ver¬
schiedenheit liegen, es müssen andre Umstände und Kräfte thätig gewesen sein,
die nationale Verschiedenheit der Iren von den Engländern, anstatt allmählich
zu verwischen, zu verschärfen und zu dem tiefen Hasse zuzuspitzen, der dem
Engländer heute entgegengebracht wird.

Die Geschichte Irlands seit jenem Tage, als unglückseliger innerer Zwist
die ländergierigen englischen Ritter über den Se. Georgs-Kanal hinüberlockte,
ist eine lange Kette von Mißgeschick. Dieselbe kurzsichtige und verkehrte Politik,
die vor hundert Jahren die Vereinigten Staaten zum Abfall trieb, hat den
gegenwärtigen Zustand Irlands herbeigeführt. Nicht imstande, eine kon¬
sequente Politik zu verfolgen, hat das englische Königreich die Schwester bald
sich selbst überlassen, bald mit der Peitsche behandelt, ein Verfahren, das nicht
geeignet ist, ein unterworfenes Volk zu Freunden zu machen.

Der erste große Fehler Englands war, daß es die Besiedlung nur auf
den nördlichsten Teil der Insel erstreckte, ohne von dem Reste mehr als äußer¬
liche Huldigung erlangen zu können. Ein Gegensatz war auf diese Weise un¬
vermeidbar, während die mittelalterliche Gewohnheit, die Besiegten als unter¬
geordnete Wesen zu betrachten, eine Vermischung und Verschmelzung der ver¬
schiedenen Rassen unmöglich machte, und moralische Eroberungen zu machen,
war die Rohheit der Eindringlinge, welche der der Eingesessenen gleichstand,
nicht imstande.

Auf englischer Seite waltete natürlich das Bestreben, die völlige Unter¬
werfung auch auf die südlichen Teile der Insel auszudehnen. Aber der Feudal¬
adel mit seinem Individualismus, der in der Geschichte aller mittelalterlichen
Staaten eine so unheilvolle Rolle spielt, erwies sich auch hier als verhängnis¬
voll. Die Unternehmungen der Könige Johann und Richard II. hinterließen
als einzige Frucht nur vergrößerten Haß. Erst Heinrich VIII. konnte kräftiger
einschreiten, nachdem in den Kriegen der beiden Rosen die Macht des großen
Adels gebrochen war. Mit starker Hand bemächtigte er sich des Landes, und
sein strenges, cmglisirendes Verfahren würde sicherlich den angestrebten Zweck
erfüllt haben, wenn nicht seine Kirchenreformation alles Errungene wieder zu
nichte gemacht hätte. Man widerstrebte keineswegs seiner Suprematie oder
der Einziehung der Klöster, obgleich die Mönche vielfach fast die einzigen Seel¬
sorger waren und ihr Scheiden bei dem niedrigen Stande der Kultur nur
schädlich wirken konnte; wohl aber stemmte man sich gegen das Aufdrängen
neuer Glaubenslehren, und der Zwang, der zu Gunsten des neuen Gottes¬
dienstes ausgeübt wurde, weckte nicht nur den beinahe eingeschlafenen Gegensatz
wieder auf, sondern fügte noch einen neuen, religiösen hinzu.

Um das Maß der Gegensätze voll zu machen, fehlte bloß noch der soziale,
und die englische Regierung beeilte sich, auch diesen noch hinzuzufügen. Jakob I.


Die Smaragdinsel.

Verweigert, die von Wales bei aller Erhaltung nationaler Eigenheiten längst
erlangt worden ist, so kann der Grund nicht allein in der nationalen Ver¬
schiedenheit liegen, es müssen andre Umstände und Kräfte thätig gewesen sein,
die nationale Verschiedenheit der Iren von den Engländern, anstatt allmählich
zu verwischen, zu verschärfen und zu dem tiefen Hasse zuzuspitzen, der dem
Engländer heute entgegengebracht wird.

Die Geschichte Irlands seit jenem Tage, als unglückseliger innerer Zwist
die ländergierigen englischen Ritter über den Se. Georgs-Kanal hinüberlockte,
ist eine lange Kette von Mißgeschick. Dieselbe kurzsichtige und verkehrte Politik,
die vor hundert Jahren die Vereinigten Staaten zum Abfall trieb, hat den
gegenwärtigen Zustand Irlands herbeigeführt. Nicht imstande, eine kon¬
sequente Politik zu verfolgen, hat das englische Königreich die Schwester bald
sich selbst überlassen, bald mit der Peitsche behandelt, ein Verfahren, das nicht
geeignet ist, ein unterworfenes Volk zu Freunden zu machen.

Der erste große Fehler Englands war, daß es die Besiedlung nur auf
den nördlichsten Teil der Insel erstreckte, ohne von dem Reste mehr als äußer¬
liche Huldigung erlangen zu können. Ein Gegensatz war auf diese Weise un¬
vermeidbar, während die mittelalterliche Gewohnheit, die Besiegten als unter¬
geordnete Wesen zu betrachten, eine Vermischung und Verschmelzung der ver¬
schiedenen Rassen unmöglich machte, und moralische Eroberungen zu machen,
war die Rohheit der Eindringlinge, welche der der Eingesessenen gleichstand,
nicht imstande.

Auf englischer Seite waltete natürlich das Bestreben, die völlige Unter¬
werfung auch auf die südlichen Teile der Insel auszudehnen. Aber der Feudal¬
adel mit seinem Individualismus, der in der Geschichte aller mittelalterlichen
Staaten eine so unheilvolle Rolle spielt, erwies sich auch hier als verhängnis¬
voll. Die Unternehmungen der Könige Johann und Richard II. hinterließen
als einzige Frucht nur vergrößerten Haß. Erst Heinrich VIII. konnte kräftiger
einschreiten, nachdem in den Kriegen der beiden Rosen die Macht des großen
Adels gebrochen war. Mit starker Hand bemächtigte er sich des Landes, und
sein strenges, cmglisirendes Verfahren würde sicherlich den angestrebten Zweck
erfüllt haben, wenn nicht seine Kirchenreformation alles Errungene wieder zu
nichte gemacht hätte. Man widerstrebte keineswegs seiner Suprematie oder
der Einziehung der Klöster, obgleich die Mönche vielfach fast die einzigen Seel¬
sorger waren und ihr Scheiden bei dem niedrigen Stande der Kultur nur
schädlich wirken konnte; wohl aber stemmte man sich gegen das Aufdrängen
neuer Glaubenslehren, und der Zwang, der zu Gunsten des neuen Gottes¬
dienstes ausgeübt wurde, weckte nicht nur den beinahe eingeschlafenen Gegensatz
wieder auf, sondern fügte noch einen neuen, religiösen hinzu.

Um das Maß der Gegensätze voll zu machen, fehlte bloß noch der soziale,
und die englische Regierung beeilte sich, auch diesen noch hinzuzufügen. Jakob I.


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[0637] Die Smaragdinsel. Verweigert, die von Wales bei aller Erhaltung nationaler Eigenheiten längst erlangt worden ist, so kann der Grund nicht allein in der nationalen Ver¬ schiedenheit liegen, es müssen andre Umstände und Kräfte thätig gewesen sein, die nationale Verschiedenheit der Iren von den Engländern, anstatt allmählich zu verwischen, zu verschärfen und zu dem tiefen Hasse zuzuspitzen, der dem Engländer heute entgegengebracht wird. Die Geschichte Irlands seit jenem Tage, als unglückseliger innerer Zwist die ländergierigen englischen Ritter über den Se. Georgs-Kanal hinüberlockte, ist eine lange Kette von Mißgeschick. Dieselbe kurzsichtige und verkehrte Politik, die vor hundert Jahren die Vereinigten Staaten zum Abfall trieb, hat den gegenwärtigen Zustand Irlands herbeigeführt. Nicht imstande, eine kon¬ sequente Politik zu verfolgen, hat das englische Königreich die Schwester bald sich selbst überlassen, bald mit der Peitsche behandelt, ein Verfahren, das nicht geeignet ist, ein unterworfenes Volk zu Freunden zu machen. Der erste große Fehler Englands war, daß es die Besiedlung nur auf den nördlichsten Teil der Insel erstreckte, ohne von dem Reste mehr als äußer¬ liche Huldigung erlangen zu können. Ein Gegensatz war auf diese Weise un¬ vermeidbar, während die mittelalterliche Gewohnheit, die Besiegten als unter¬ geordnete Wesen zu betrachten, eine Vermischung und Verschmelzung der ver¬ schiedenen Rassen unmöglich machte, und moralische Eroberungen zu machen, war die Rohheit der Eindringlinge, welche der der Eingesessenen gleichstand, nicht imstande. Auf englischer Seite waltete natürlich das Bestreben, die völlige Unter¬ werfung auch auf die südlichen Teile der Insel auszudehnen. Aber der Feudal¬ adel mit seinem Individualismus, der in der Geschichte aller mittelalterlichen Staaten eine so unheilvolle Rolle spielt, erwies sich auch hier als verhängnis¬ voll. Die Unternehmungen der Könige Johann und Richard II. hinterließen als einzige Frucht nur vergrößerten Haß. Erst Heinrich VIII. konnte kräftiger einschreiten, nachdem in den Kriegen der beiden Rosen die Macht des großen Adels gebrochen war. Mit starker Hand bemächtigte er sich des Landes, und sein strenges, cmglisirendes Verfahren würde sicherlich den angestrebten Zweck erfüllt haben, wenn nicht seine Kirchenreformation alles Errungene wieder zu nichte gemacht hätte. Man widerstrebte keineswegs seiner Suprematie oder der Einziehung der Klöster, obgleich die Mönche vielfach fast die einzigen Seel¬ sorger waren und ihr Scheiden bei dem niedrigen Stande der Kultur nur schädlich wirken konnte; wohl aber stemmte man sich gegen das Aufdrängen neuer Glaubenslehren, und der Zwang, der zu Gunsten des neuen Gottes¬ dienstes ausgeübt wurde, weckte nicht nur den beinahe eingeschlafenen Gegensatz wieder auf, sondern fügte noch einen neuen, religiösen hinzu. Um das Maß der Gegensätze voll zu machen, fehlte bloß noch der soziale, und die englische Regierung beeilte sich, auch diesen noch hinzuzufügen. Jakob I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/637>, abgerufen am 27.07.2024.