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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanische und deutsche Gewcrbeschiedsgerichte und Linigungsämter.

Sühnetermine vor dem Vorsitzenden abgeschlossenen Vergleiche sind vollstreckbar.
In besonders schleunigen oder sonst dazu geeigneten Fällen kann der Vorsitzende
des Gewcrbcschicdsgcrichts, wenn der Stthnevcrsuch erfolglos bleibt, den Streit¬
gegenstand ohne Zuziehung von Beisitzern sofort verhandeln und eine vorläufig
vollstreckbare Entscheidung fällen;- diese wird endgiltig, wenn binnen längstens
drei Tagen ein Antrag auf Verhandlung vor dem Gewerbeschiedsgerichte nicht
eingeht."

Mit diesen Bestimmungen würde jedoch die sozialpolitische Aufgabe des Gc-
werbeschiedsgerichts nur halb gelöst sein, denn sie betreffen bloß Rechtsstreitigkeiten
von Person zu Person auf Grund bestehender Arbeitserträge, nicht aber Jnter-
esscnstreitigkeiten zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern einerseits und ihrer
Arbeiterschaft anderseits über zukünftige Arbeitsbedingungen, d. h. Streitigkeiten,
bei denen es sich nicht um die Rechtsfolgen ans bestehenden Arbeitsverhültnissen,
sondern um deren Abänderung oder Neuordnung handelt. Gerade aus diesem
Gebiete ist aber eine friedliche Ausgleichung umso notwendiger, als sich häufig
Unternehmer- und Arbeiterschaft eines ganzen Gewerbszweiges dabei gegenüber¬
treten, wie dies unter anderm der allgemeine Streik der 14000 Berliner Maurer
im Jahre 1885 gezeigt hat. Man müßte daher dem Gewerbeschiedsgerichte die
Befugnis eines "Einigungsamtes" beilegen, d.h. ihm unter den gedachten Voraus¬
setzungen die Aufgabe zuweisen, auf Anrufen der streitenden Parteien unter Zu¬
ziehung beiderseitiger Vertrauensmänner als außerordentlicher Beisitzer mit
beratender Stimme sich als Einigungsamt aufzuthun und nach Klarstellung
der Streitpunkte auf eine Vergleichung hinzuwirken, andernfalls aber eine schieds¬
gerichtliche Entscheidung zu fällen; denn es würde keinen rechten Sinn haben,
erst einen solchen Apparat in Bewegung zu setzen und den Streitgegenstand
spruchreif zu machen, um dann das ganze Verfahren ohne praktisches Ergebnis
verlaufen zu lassen. Allerdings wäre dabei in Rechnung zu ziehen, daß es sich
um die Regelung von Verhältnissen handelt, welche den schwankenden Geschäfts¬
lagen des Marktes unterliegen, mithin eine andauernde Festlegung nicht ge¬
statten. Man müßte daher die Rechtsverbindlichkeit der Vergleiche und Ent¬
scheidungen regelmäßig auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen und beiden
Teilen stets den einseitigen Rücktritt gestatten, diesen Rücktritt aber bei Ver¬
meidung einer von Amtswegen festzusetzenden Konventionalstrafe an eine den
Umständen anzupassende Kündigungsfrist binden. Damit würde nicht nur ver¬
hindert werden, daß die Wirksamkeit des Einigungsamtes mit den praktischen
Anforderungen des Gewerbslebens in Konflikt käme, sondern es würde auch
eine Bürgschaft für eine vernünftige Regelung des Arbeitsmarktes und gegen
die gemeinschädlichem Eingriffe durch plötzliche Arbeitseinstellungen oder Aus¬
sperrungen gegeben sein.

Hiernach möchte es sich empfehlen, hinter Z 120 g. etwa folgende Bestim¬
mungen als einen besondern § 120 b einzuschalten: "Bei drohenden oder aus-


Amerikanische und deutsche Gewcrbeschiedsgerichte und Linigungsämter.

Sühnetermine vor dem Vorsitzenden abgeschlossenen Vergleiche sind vollstreckbar.
In besonders schleunigen oder sonst dazu geeigneten Fällen kann der Vorsitzende
des Gewcrbcschicdsgcrichts, wenn der Stthnevcrsuch erfolglos bleibt, den Streit¬
gegenstand ohne Zuziehung von Beisitzern sofort verhandeln und eine vorläufig
vollstreckbare Entscheidung fällen;- diese wird endgiltig, wenn binnen längstens
drei Tagen ein Antrag auf Verhandlung vor dem Gewerbeschiedsgerichte nicht
eingeht."

Mit diesen Bestimmungen würde jedoch die sozialpolitische Aufgabe des Gc-
werbeschiedsgerichts nur halb gelöst sein, denn sie betreffen bloß Rechtsstreitigkeiten
von Person zu Person auf Grund bestehender Arbeitserträge, nicht aber Jnter-
esscnstreitigkeiten zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern einerseits und ihrer
Arbeiterschaft anderseits über zukünftige Arbeitsbedingungen, d. h. Streitigkeiten,
bei denen es sich nicht um die Rechtsfolgen ans bestehenden Arbeitsverhültnissen,
sondern um deren Abänderung oder Neuordnung handelt. Gerade aus diesem
Gebiete ist aber eine friedliche Ausgleichung umso notwendiger, als sich häufig
Unternehmer- und Arbeiterschaft eines ganzen Gewerbszweiges dabei gegenüber¬
treten, wie dies unter anderm der allgemeine Streik der 14000 Berliner Maurer
im Jahre 1885 gezeigt hat. Man müßte daher dem Gewerbeschiedsgerichte die
Befugnis eines „Einigungsamtes" beilegen, d.h. ihm unter den gedachten Voraus¬
setzungen die Aufgabe zuweisen, auf Anrufen der streitenden Parteien unter Zu¬
ziehung beiderseitiger Vertrauensmänner als außerordentlicher Beisitzer mit
beratender Stimme sich als Einigungsamt aufzuthun und nach Klarstellung
der Streitpunkte auf eine Vergleichung hinzuwirken, andernfalls aber eine schieds¬
gerichtliche Entscheidung zu fällen; denn es würde keinen rechten Sinn haben,
erst einen solchen Apparat in Bewegung zu setzen und den Streitgegenstand
spruchreif zu machen, um dann das ganze Verfahren ohne praktisches Ergebnis
verlaufen zu lassen. Allerdings wäre dabei in Rechnung zu ziehen, daß es sich
um die Regelung von Verhältnissen handelt, welche den schwankenden Geschäfts¬
lagen des Marktes unterliegen, mithin eine andauernde Festlegung nicht ge¬
statten. Man müßte daher die Rechtsverbindlichkeit der Vergleiche und Ent¬
scheidungen regelmäßig auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen und beiden
Teilen stets den einseitigen Rücktritt gestatten, diesen Rücktritt aber bei Ver¬
meidung einer von Amtswegen festzusetzenden Konventionalstrafe an eine den
Umständen anzupassende Kündigungsfrist binden. Damit würde nicht nur ver¬
hindert werden, daß die Wirksamkeit des Einigungsamtes mit den praktischen
Anforderungen des Gewerbslebens in Konflikt käme, sondern es würde auch
eine Bürgschaft für eine vernünftige Regelung des Arbeitsmarktes und gegen
die gemeinschädlichem Eingriffe durch plötzliche Arbeitseinstellungen oder Aus¬
sperrungen gegeben sein.

Hiernach möchte es sich empfehlen, hinter Z 120 g. etwa folgende Bestim¬
mungen als einen besondern § 120 b einzuschalten: „Bei drohenden oder aus-


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[0619] Amerikanische und deutsche Gewcrbeschiedsgerichte und Linigungsämter. Sühnetermine vor dem Vorsitzenden abgeschlossenen Vergleiche sind vollstreckbar. In besonders schleunigen oder sonst dazu geeigneten Fällen kann der Vorsitzende des Gewcrbcschicdsgcrichts, wenn der Stthnevcrsuch erfolglos bleibt, den Streit¬ gegenstand ohne Zuziehung von Beisitzern sofort verhandeln und eine vorläufig vollstreckbare Entscheidung fällen;- diese wird endgiltig, wenn binnen längstens drei Tagen ein Antrag auf Verhandlung vor dem Gewerbeschiedsgerichte nicht eingeht." Mit diesen Bestimmungen würde jedoch die sozialpolitische Aufgabe des Gc- werbeschiedsgerichts nur halb gelöst sein, denn sie betreffen bloß Rechtsstreitigkeiten von Person zu Person auf Grund bestehender Arbeitserträge, nicht aber Jnter- esscnstreitigkeiten zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern einerseits und ihrer Arbeiterschaft anderseits über zukünftige Arbeitsbedingungen, d. h. Streitigkeiten, bei denen es sich nicht um die Rechtsfolgen ans bestehenden Arbeitsverhültnissen, sondern um deren Abänderung oder Neuordnung handelt. Gerade aus diesem Gebiete ist aber eine friedliche Ausgleichung umso notwendiger, als sich häufig Unternehmer- und Arbeiterschaft eines ganzen Gewerbszweiges dabei gegenüber¬ treten, wie dies unter anderm der allgemeine Streik der 14000 Berliner Maurer im Jahre 1885 gezeigt hat. Man müßte daher dem Gewerbeschiedsgerichte die Befugnis eines „Einigungsamtes" beilegen, d.h. ihm unter den gedachten Voraus¬ setzungen die Aufgabe zuweisen, auf Anrufen der streitenden Parteien unter Zu¬ ziehung beiderseitiger Vertrauensmänner als außerordentlicher Beisitzer mit beratender Stimme sich als Einigungsamt aufzuthun und nach Klarstellung der Streitpunkte auf eine Vergleichung hinzuwirken, andernfalls aber eine schieds¬ gerichtliche Entscheidung zu fällen; denn es würde keinen rechten Sinn haben, erst einen solchen Apparat in Bewegung zu setzen und den Streitgegenstand spruchreif zu machen, um dann das ganze Verfahren ohne praktisches Ergebnis verlaufen zu lassen. Allerdings wäre dabei in Rechnung zu ziehen, daß es sich um die Regelung von Verhältnissen handelt, welche den schwankenden Geschäfts¬ lagen des Marktes unterliegen, mithin eine andauernde Festlegung nicht ge¬ statten. Man müßte daher die Rechtsverbindlichkeit der Vergleiche und Ent¬ scheidungen regelmäßig auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen und beiden Teilen stets den einseitigen Rücktritt gestatten, diesen Rücktritt aber bei Ver¬ meidung einer von Amtswegen festzusetzenden Konventionalstrafe an eine den Umständen anzupassende Kündigungsfrist binden. Damit würde nicht nur ver¬ hindert werden, daß die Wirksamkeit des Einigungsamtes mit den praktischen Anforderungen des Gewerbslebens in Konflikt käme, sondern es würde auch eine Bürgschaft für eine vernünftige Regelung des Arbeitsmarktes und gegen die gemeinschädlichem Eingriffe durch plötzliche Arbeitseinstellungen oder Aus¬ sperrungen gegeben sein. Hiernach möchte es sich empfehlen, hinter Z 120 g. etwa folgende Bestim¬ mungen als einen besondern § 120 b einzuschalten: „Bei drohenden oder aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/619>, abgerufen am 28.07.2024.