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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und Einigungsämter.

Neben diesem staatlichen Hauptamte sind noch eigne Ortsämter zugelassen,
deren Bildung der freien Vereinbarung zwischen den streitenden Parteien in der
Weise anheimgegeben ist, daß in Ermangelung andrer Abmachung jede Partei einen
Schiedsrichter bestimmt und diese beiden einen dritten als Vorsitzenden wählen.
Im übrigen haben sie dieselben Befugnisse wie das Staatsamt und binnen zehn
Tagen nach Abschluß der Ermittelungen den Spruch zu fällen, welcher bei der
Gemeindebehörde niederzulegen und dem staatlichen Schiedsamte abschriftlich ein¬
zureichen ist. Mit diesen Bestimmungen sollte wohl nicht bloß den freiwillig
gebildeten Schiedsämtern eine festere Grundlage gegeben, sondern auch den prak¬
tischen Bedürfnissen noch weiter Rechnung getragen werden, da die Benutzung
des Staatsamtes wegen der räumlichen Entfernungen nicht immer ohne Schwie¬
rigkeit sein würde."

Als "Einigungsamt hat das staatliche Amt folgende Befugnisse. Sobald
es auf die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige der Ortsbehörde oder sonstwie von
einer bevorstehenden oder ausbrechenden Arbeitseinstellung oder Aussperrung
Kenntnis erhält, soll es sich so schnell wie möglich mit den streitenden Parteien
in Verbindung setzen und auf eine gütliche Ausgleichung oder wenigstens auf
eine Überweisung der Streitsache an ein Schiedsgericht hinwirken. Glückt weder
das eine noch das andre, so kann es durch eine Untersuchung an Ort und
Stelle feststellen, welche Partei der überwiegende Teil der Schuld trifft und
das Ergebnis dieser Untersuchung veröffentlichen, d. h. das weitere dem Druck
der öffentlichen Meinung überlassen.

Das Verfahren vor dem staatlichen Schieds- und Einigungsamte ist kosten¬
frei, da die Mitglieder als etatsmäßige Staatsbeamte feste Jahresgehalte von
je zweitausend Dollars nebst den baaren Auslagen und die Zeugen ihre Ver¬
säumnis- und Reisekosten aus der Staatskasse gezahlt erhalten. Den Mit¬
gliedern örtlicher Schiedsgerichte können Diäten von drei Dollars täglich aus
die Gemeindekasse angewiesen werden.

Übrigens bezieht sich das Gesetz nur auf solche Arbeitseinstellungen und
Aussperrungen, wo von feiten des beteiligten Arbeitgebers in demselben Ge¬
schäftszweige und an demselben Orte wenigstens fünfundzwanzig Arbeiter be¬
schäftigt werden.

Augenscheinlich bekundet diese Gesetzgebung einen wichtigen Fortschritt, indem
sie gegen früher einen doppelten Vorteil bietet. Erstens steht den streitenden
Parteien, sofern sie sich über ein eignes Schiedsgericht nicht einigen können oder
wollen, im staatlichen Amte jederzeit ein fertiges Schiedsgericht zur Verfügung,
welches nun jeder Teil, auch gegen den Willen des andern, anrufen kann; so¬
dann ist die Wirkung des Schiedsgerichts durch die gesetzliche Anerkennung und
Ausbildung dieses Gedankens wesentlich erhöht, weil der Spruch nunmehr jedem
andern Gerichtsurteil gleichsteht, also auch vollstreckt werden kann.

Es sind daher schon sechs andre Staaten dem Beispiele von Massachusetts


Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und Einigungsämter.

Neben diesem staatlichen Hauptamte sind noch eigne Ortsämter zugelassen,
deren Bildung der freien Vereinbarung zwischen den streitenden Parteien in der
Weise anheimgegeben ist, daß in Ermangelung andrer Abmachung jede Partei einen
Schiedsrichter bestimmt und diese beiden einen dritten als Vorsitzenden wählen.
Im übrigen haben sie dieselben Befugnisse wie das Staatsamt und binnen zehn
Tagen nach Abschluß der Ermittelungen den Spruch zu fällen, welcher bei der
Gemeindebehörde niederzulegen und dem staatlichen Schiedsamte abschriftlich ein¬
zureichen ist. Mit diesen Bestimmungen sollte wohl nicht bloß den freiwillig
gebildeten Schiedsämtern eine festere Grundlage gegeben, sondern auch den prak¬
tischen Bedürfnissen noch weiter Rechnung getragen werden, da die Benutzung
des Staatsamtes wegen der räumlichen Entfernungen nicht immer ohne Schwie¬
rigkeit sein würde."

Als „Einigungsamt hat das staatliche Amt folgende Befugnisse. Sobald
es auf die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige der Ortsbehörde oder sonstwie von
einer bevorstehenden oder ausbrechenden Arbeitseinstellung oder Aussperrung
Kenntnis erhält, soll es sich so schnell wie möglich mit den streitenden Parteien
in Verbindung setzen und auf eine gütliche Ausgleichung oder wenigstens auf
eine Überweisung der Streitsache an ein Schiedsgericht hinwirken. Glückt weder
das eine noch das andre, so kann es durch eine Untersuchung an Ort und
Stelle feststellen, welche Partei der überwiegende Teil der Schuld trifft und
das Ergebnis dieser Untersuchung veröffentlichen, d. h. das weitere dem Druck
der öffentlichen Meinung überlassen.

Das Verfahren vor dem staatlichen Schieds- und Einigungsamte ist kosten¬
frei, da die Mitglieder als etatsmäßige Staatsbeamte feste Jahresgehalte von
je zweitausend Dollars nebst den baaren Auslagen und die Zeugen ihre Ver¬
säumnis- und Reisekosten aus der Staatskasse gezahlt erhalten. Den Mit¬
gliedern örtlicher Schiedsgerichte können Diäten von drei Dollars täglich aus
die Gemeindekasse angewiesen werden.

Übrigens bezieht sich das Gesetz nur auf solche Arbeitseinstellungen und
Aussperrungen, wo von feiten des beteiligten Arbeitgebers in demselben Ge¬
schäftszweige und an demselben Orte wenigstens fünfundzwanzig Arbeiter be¬
schäftigt werden.

Augenscheinlich bekundet diese Gesetzgebung einen wichtigen Fortschritt, indem
sie gegen früher einen doppelten Vorteil bietet. Erstens steht den streitenden
Parteien, sofern sie sich über ein eignes Schiedsgericht nicht einigen können oder
wollen, im staatlichen Amte jederzeit ein fertiges Schiedsgericht zur Verfügung,
welches nun jeder Teil, auch gegen den Willen des andern, anrufen kann; so¬
dann ist die Wirkung des Schiedsgerichts durch die gesetzliche Anerkennung und
Ausbildung dieses Gedankens wesentlich erhöht, weil der Spruch nunmehr jedem
andern Gerichtsurteil gleichsteht, also auch vollstreckt werden kann.

Es sind daher schon sechs andre Staaten dem Beispiele von Massachusetts


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[0571] Amerikanische und deutsche Gewerbeschiedsgerichte und Einigungsämter. Neben diesem staatlichen Hauptamte sind noch eigne Ortsämter zugelassen, deren Bildung der freien Vereinbarung zwischen den streitenden Parteien in der Weise anheimgegeben ist, daß in Ermangelung andrer Abmachung jede Partei einen Schiedsrichter bestimmt und diese beiden einen dritten als Vorsitzenden wählen. Im übrigen haben sie dieselben Befugnisse wie das Staatsamt und binnen zehn Tagen nach Abschluß der Ermittelungen den Spruch zu fällen, welcher bei der Gemeindebehörde niederzulegen und dem staatlichen Schiedsamte abschriftlich ein¬ zureichen ist. Mit diesen Bestimmungen sollte wohl nicht bloß den freiwillig gebildeten Schiedsämtern eine festere Grundlage gegeben, sondern auch den prak¬ tischen Bedürfnissen noch weiter Rechnung getragen werden, da die Benutzung des Staatsamtes wegen der räumlichen Entfernungen nicht immer ohne Schwie¬ rigkeit sein würde." Als „Einigungsamt hat das staatliche Amt folgende Befugnisse. Sobald es auf die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige der Ortsbehörde oder sonstwie von einer bevorstehenden oder ausbrechenden Arbeitseinstellung oder Aussperrung Kenntnis erhält, soll es sich so schnell wie möglich mit den streitenden Parteien in Verbindung setzen und auf eine gütliche Ausgleichung oder wenigstens auf eine Überweisung der Streitsache an ein Schiedsgericht hinwirken. Glückt weder das eine noch das andre, so kann es durch eine Untersuchung an Ort und Stelle feststellen, welche Partei der überwiegende Teil der Schuld trifft und das Ergebnis dieser Untersuchung veröffentlichen, d. h. das weitere dem Druck der öffentlichen Meinung überlassen. Das Verfahren vor dem staatlichen Schieds- und Einigungsamte ist kosten¬ frei, da die Mitglieder als etatsmäßige Staatsbeamte feste Jahresgehalte von je zweitausend Dollars nebst den baaren Auslagen und die Zeugen ihre Ver¬ säumnis- und Reisekosten aus der Staatskasse gezahlt erhalten. Den Mit¬ gliedern örtlicher Schiedsgerichte können Diäten von drei Dollars täglich aus die Gemeindekasse angewiesen werden. Übrigens bezieht sich das Gesetz nur auf solche Arbeitseinstellungen und Aussperrungen, wo von feiten des beteiligten Arbeitgebers in demselben Ge¬ schäftszweige und an demselben Orte wenigstens fünfundzwanzig Arbeiter be¬ schäftigt werden. Augenscheinlich bekundet diese Gesetzgebung einen wichtigen Fortschritt, indem sie gegen früher einen doppelten Vorteil bietet. Erstens steht den streitenden Parteien, sofern sie sich über ein eignes Schiedsgericht nicht einigen können oder wollen, im staatlichen Amte jederzeit ein fertiges Schiedsgericht zur Verfügung, welches nun jeder Teil, auch gegen den Willen des andern, anrufen kann; so¬ dann ist die Wirkung des Schiedsgerichts durch die gesetzliche Anerkennung und Ausbildung dieses Gedankens wesentlich erhöht, weil der Spruch nunmehr jedem andern Gerichtsurteil gleichsteht, also auch vollstreckt werden kann. Es sind daher schon sechs andre Staaten dem Beispiele von Massachusetts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/571>, abgerufen am 01.09.2024.