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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ich glaube nun der Zustimmung aller Verständigen und Gutgesinnten
sicher zu sein, wenn ich die Antwort auf die Frage: Was soll unsre Schule
leisten? in folgenden Sätzen zusammenfasse. Die Schule soll aufhören, eine
bloße Anstalt der Belehrung zu sein; sie soll sich in hervorragendem Maße auch
an der Erziehung der Jugend beteiligen, namentlich der körperlichen und der sitt¬
lichen. Ihre Ziele müssen, der Wichtigkeit nach geordnet, sein: 1. Körperlich
gesunde und womöglich kräftige und schöne Menschen zu erziehen; 2. von
Charakter starke und gute Menschen; 3. gebildete Menschen, d. h. solche, die
ein ihren Verhältnissen, namentlich ihrem Stande und Berufe entsprechendes
Maß von Kenntnissen mit klarer Anschauung, richtigem Denken und Urteilen
und einem genügenden Sinne für das Schöne verbinden.

Dazu wird freilich eine gründliche Umgestaltung unsrer Schulen erforderlich
sein, und zwar aller Schulen, auch der für das weibliche Geschlecht, und das
ist eine schwere und nur langsam zu lösende Aufgabe. Aber es ist schon
Schwierigeres unternommen und glücklich durchgeführt worden. Und auch darin
hat Professor Preyer recht: Wenn nicht das gegenwärtige Geschlecht, in gereifter
Würdigung dessen, was die neue Zeit fordert, die veraltete Art unsers Schul¬
unterrichts umformt, dann wird es das künftige umso gründlicher thun. Säumen
Wir also nicht!

Das nächste, wobei eine Reform einzusetzen haben wird, sind unzweifelhaft
die Gymnasien. Sie sollen die höhern Klassen des Volkes heranziehen, die
Staatsbeamten, Lehrer, Ärzte, Geistlichen, Offiziere u. s. w. Ist es nun da das
richtige, wenn sie, wie von vielen Seiten verlangt wird, die sogenannte klassische
Bildung über Bord werfen und die naturwissenschaftliche an deren Stelle setzen?
Ddcr, da die klassische Bildung im wesentlichen auf dem Studium der alten
Sprachen beruht, soll das Studium der alten Sprachen auch fernerhin auf den
Gymnasien den Hauptlehrgegenstand bilden? Und wie ist es einzurichten?
Gehen wir der Sache einmal auf den Grund.

Die alten Sprachen -- schon dieser Kollektivausdruck führt zu schwerem
Irrtume. Er wirft das Lateinische und das Griechische in einen Topf; er ver¬
leitet zu dem Glauben, beide Sprachen stünden als Unterrichtsgegenstand auf
gleicher Stufe, sie seien gar nicht von einander zu trennen. Das ist vollständig
falsch. Es ist im Gegenteil nötig, den Unterschied der beiden Sprachen scharf
hervorzuheben und sie streng zu sondern.

Also zuvörderst die lateinische Sprache! Was ist der Zweck ihres Studiums?
Wie ist es einzurichten?

Um die erste dieser beiden Fragen zu beantworten, kann ich nicht umhin,
zunächst mit zwei Worten mein Glaubensbekenntnis in Betreff des Verhältnisses
unsrer Zeit zum Altertum abzulegen.

Der wesentliche Punkt, der die moderne Welt von der antiken scheidet, ist
der religiöse. Das Altertum war heidnisch -- wir sind Christen. Unerörtert


Grenzboten II. 1888. 65

Ich glaube nun der Zustimmung aller Verständigen und Gutgesinnten
sicher zu sein, wenn ich die Antwort auf die Frage: Was soll unsre Schule
leisten? in folgenden Sätzen zusammenfasse. Die Schule soll aufhören, eine
bloße Anstalt der Belehrung zu sein; sie soll sich in hervorragendem Maße auch
an der Erziehung der Jugend beteiligen, namentlich der körperlichen und der sitt¬
lichen. Ihre Ziele müssen, der Wichtigkeit nach geordnet, sein: 1. Körperlich
gesunde und womöglich kräftige und schöne Menschen zu erziehen; 2. von
Charakter starke und gute Menschen; 3. gebildete Menschen, d. h. solche, die
ein ihren Verhältnissen, namentlich ihrem Stande und Berufe entsprechendes
Maß von Kenntnissen mit klarer Anschauung, richtigem Denken und Urteilen
und einem genügenden Sinne für das Schöne verbinden.

Dazu wird freilich eine gründliche Umgestaltung unsrer Schulen erforderlich
sein, und zwar aller Schulen, auch der für das weibliche Geschlecht, und das
ist eine schwere und nur langsam zu lösende Aufgabe. Aber es ist schon
Schwierigeres unternommen und glücklich durchgeführt worden. Und auch darin
hat Professor Preyer recht: Wenn nicht das gegenwärtige Geschlecht, in gereifter
Würdigung dessen, was die neue Zeit fordert, die veraltete Art unsers Schul¬
unterrichts umformt, dann wird es das künftige umso gründlicher thun. Säumen
Wir also nicht!

Das nächste, wobei eine Reform einzusetzen haben wird, sind unzweifelhaft
die Gymnasien. Sie sollen die höhern Klassen des Volkes heranziehen, die
Staatsbeamten, Lehrer, Ärzte, Geistlichen, Offiziere u. s. w. Ist es nun da das
richtige, wenn sie, wie von vielen Seiten verlangt wird, die sogenannte klassische
Bildung über Bord werfen und die naturwissenschaftliche an deren Stelle setzen?
Ddcr, da die klassische Bildung im wesentlichen auf dem Studium der alten
Sprachen beruht, soll das Studium der alten Sprachen auch fernerhin auf den
Gymnasien den Hauptlehrgegenstand bilden? Und wie ist es einzurichten?
Gehen wir der Sache einmal auf den Grund.

Die alten Sprachen — schon dieser Kollektivausdruck führt zu schwerem
Irrtume. Er wirft das Lateinische und das Griechische in einen Topf; er ver¬
leitet zu dem Glauben, beide Sprachen stünden als Unterrichtsgegenstand auf
gleicher Stufe, sie seien gar nicht von einander zu trennen. Das ist vollständig
falsch. Es ist im Gegenteil nötig, den Unterschied der beiden Sprachen scharf
hervorzuheben und sie streng zu sondern.

Also zuvörderst die lateinische Sprache! Was ist der Zweck ihres Studiums?
Wie ist es einzurichten?

Um die erste dieser beiden Fragen zu beantworten, kann ich nicht umhin,
zunächst mit zwei Worten mein Glaubensbekenntnis in Betreff des Verhältnisses
unsrer Zeit zum Altertum abzulegen.

Der wesentliche Punkt, der die moderne Welt von der antiken scheidet, ist
der religiöse. Das Altertum war heidnisch — wir sind Christen. Unerörtert


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[0521] Ich glaube nun der Zustimmung aller Verständigen und Gutgesinnten sicher zu sein, wenn ich die Antwort auf die Frage: Was soll unsre Schule leisten? in folgenden Sätzen zusammenfasse. Die Schule soll aufhören, eine bloße Anstalt der Belehrung zu sein; sie soll sich in hervorragendem Maße auch an der Erziehung der Jugend beteiligen, namentlich der körperlichen und der sitt¬ lichen. Ihre Ziele müssen, der Wichtigkeit nach geordnet, sein: 1. Körperlich gesunde und womöglich kräftige und schöne Menschen zu erziehen; 2. von Charakter starke und gute Menschen; 3. gebildete Menschen, d. h. solche, die ein ihren Verhältnissen, namentlich ihrem Stande und Berufe entsprechendes Maß von Kenntnissen mit klarer Anschauung, richtigem Denken und Urteilen und einem genügenden Sinne für das Schöne verbinden. Dazu wird freilich eine gründliche Umgestaltung unsrer Schulen erforderlich sein, und zwar aller Schulen, auch der für das weibliche Geschlecht, und das ist eine schwere und nur langsam zu lösende Aufgabe. Aber es ist schon Schwierigeres unternommen und glücklich durchgeführt worden. Und auch darin hat Professor Preyer recht: Wenn nicht das gegenwärtige Geschlecht, in gereifter Würdigung dessen, was die neue Zeit fordert, die veraltete Art unsers Schul¬ unterrichts umformt, dann wird es das künftige umso gründlicher thun. Säumen Wir also nicht! Das nächste, wobei eine Reform einzusetzen haben wird, sind unzweifelhaft die Gymnasien. Sie sollen die höhern Klassen des Volkes heranziehen, die Staatsbeamten, Lehrer, Ärzte, Geistlichen, Offiziere u. s. w. Ist es nun da das richtige, wenn sie, wie von vielen Seiten verlangt wird, die sogenannte klassische Bildung über Bord werfen und die naturwissenschaftliche an deren Stelle setzen? Ddcr, da die klassische Bildung im wesentlichen auf dem Studium der alten Sprachen beruht, soll das Studium der alten Sprachen auch fernerhin auf den Gymnasien den Hauptlehrgegenstand bilden? Und wie ist es einzurichten? Gehen wir der Sache einmal auf den Grund. Die alten Sprachen — schon dieser Kollektivausdruck führt zu schwerem Irrtume. Er wirft das Lateinische und das Griechische in einen Topf; er ver¬ leitet zu dem Glauben, beide Sprachen stünden als Unterrichtsgegenstand auf gleicher Stufe, sie seien gar nicht von einander zu trennen. Das ist vollständig falsch. Es ist im Gegenteil nötig, den Unterschied der beiden Sprachen scharf hervorzuheben und sie streng zu sondern. Also zuvörderst die lateinische Sprache! Was ist der Zweck ihres Studiums? Wie ist es einzurichten? Um die erste dieser beiden Fragen zu beantworten, kann ich nicht umhin, zunächst mit zwei Worten mein Glaubensbekenntnis in Betreff des Verhältnisses unsrer Zeit zum Altertum abzulegen. Der wesentliche Punkt, der die moderne Welt von der antiken scheidet, ist der religiöse. Das Altertum war heidnisch — wir sind Christen. Unerörtert Grenzboten II. 1888. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/521>, abgerufen am 01.09.2024.