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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

die ganze Entwicklung unsers modernen Geisteslebens durchstreichen! So findet
sich das iiodils tratruiQ in allen entscheidenden Stunden unsers Geschickes
zusammen, Ultramontane und Fortschritt, der in der That Rückschritt ist in
unsrer geistigen Entwicklung.

Daß das Ministerium an den ganzen unerquicklichen Vorgängen bei diesem
Z 7 eine Schuld treffe, weil der Minister nicht zeitig genug seine Ansicht be¬
züglich der Verfassungsä'ndernng kundgegeben habe, können wir durchaus nicht
finden. Nachdem ohne irgend welches Bedenken von feiten des Abgeordneten¬
hauses seit Jahren Alterszulagen an die Lehrer gewährt worden waren und
nachdem durch die Initiative des Hauses die Staatsbehörde ermächtigt worden
war, jedem pensionirten Lehrer aus der Staatskasse 600 Mark Pension zu
zahlen ohne alle Rücksicht auf den Vermögensstand der Gemeinde, konnte das
Ministerium auch bei diesem Erleichterungsgesetz der Volksschullasten nicht auf
ein Bedenken wegen Verfassungsverletzung gefaßt sein. Die Negierung konnte
sich also auch nicht früher gegen solche Verfassungsbedcnken wenden, als sie
dies gethan hat mit der Ausführung, die der Finanzminister am 18. April gab,
freilich ohne Beachtung zu finden. Der mit vieler Mühe nun endlich beigelegte
Konflikt zwischen den nationalen Parteien zeigt aber wieder, wie sehr sich beide
vor Reibereien hüten müssen, die dem Ganzen doch nur schaden, mag auch
dem Einzelnen die Haut noch so sehr darnach jucken. Denn daß die Kon¬
servativen nicht zu ihren heimlichen Verhandlungen mit dem Zentrum und zu
ihrer Stellung mit dem § 7 gegenüber den Nationalliberalen gekommen wären,
wenn diese in der Kornzollfrage im Reichstage sie nicht geärgert hätten, ist
wohl mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen. Dennoch, es ist immer eine krank¬
hafte Reizbarkeit, wenn zum Schaden des Ganzen der Ärger eine Rolle spielt.
Und wenn die beiden, Konservative und Nationalliberale, sich streiten, so kennt
man den Dritten, der sich freut. Wie fatal diesem Dritten die schließliche Ver¬
söhnung der nationalen Parteien in dieser Sache war, das zeigte die Perle
von Meppen, als sie höchst erstaunt über Kleist-Retzow war, daß dieser "am
Abend seines Lebens einen Schritt thue, der die Schule ganz in die Hände
des Staates liefert." Also Kino nig.6 laorimaö! Auch hier sehen wir wieder:
was bei allen Vernünftigen eine Auslegungsfragc, bei der Perle selbst aber
nichts andres als eine Parteifrage ist, das wollte sie zur Gewissensfrage
machen. Indessen werden sich nicht einmal die fünfzehn bis sechzehn Mil¬
lionen Katholiken, die der Welfe dazu einexerziren möchte, daß sie ihre
Meinung ihren Gegnern "recht gründlich a<Z oculos auf dem Rücken zeigen"
sollen, zu diesem Exerzitium, das übrigens auch denen, die dazu Lust hätten,
schlecht genug bekommen könnte, gebrauchen lassen. Da hat der Welfe
seinen Mund wieder einmal zu voll genommen. Er hat sich auch zu dieser
unverschämten Sprache nur hinreißen lasten aus Ärger darüber, daß das
Verhalten der Konservativen ihm gezeigt hat, daß sie sich zu seinem Kampfe


Die letzte Session des preußischen Landtags.

die ganze Entwicklung unsers modernen Geisteslebens durchstreichen! So findet
sich das iiodils tratruiQ in allen entscheidenden Stunden unsers Geschickes
zusammen, Ultramontane und Fortschritt, der in der That Rückschritt ist in
unsrer geistigen Entwicklung.

Daß das Ministerium an den ganzen unerquicklichen Vorgängen bei diesem
Z 7 eine Schuld treffe, weil der Minister nicht zeitig genug seine Ansicht be¬
züglich der Verfassungsä'ndernng kundgegeben habe, können wir durchaus nicht
finden. Nachdem ohne irgend welches Bedenken von feiten des Abgeordneten¬
hauses seit Jahren Alterszulagen an die Lehrer gewährt worden waren und
nachdem durch die Initiative des Hauses die Staatsbehörde ermächtigt worden
war, jedem pensionirten Lehrer aus der Staatskasse 600 Mark Pension zu
zahlen ohne alle Rücksicht auf den Vermögensstand der Gemeinde, konnte das
Ministerium auch bei diesem Erleichterungsgesetz der Volksschullasten nicht auf
ein Bedenken wegen Verfassungsverletzung gefaßt sein. Die Negierung konnte
sich also auch nicht früher gegen solche Verfassungsbedcnken wenden, als sie
dies gethan hat mit der Ausführung, die der Finanzminister am 18. April gab,
freilich ohne Beachtung zu finden. Der mit vieler Mühe nun endlich beigelegte
Konflikt zwischen den nationalen Parteien zeigt aber wieder, wie sehr sich beide
vor Reibereien hüten müssen, die dem Ganzen doch nur schaden, mag auch
dem Einzelnen die Haut noch so sehr darnach jucken. Denn daß die Kon¬
servativen nicht zu ihren heimlichen Verhandlungen mit dem Zentrum und zu
ihrer Stellung mit dem § 7 gegenüber den Nationalliberalen gekommen wären,
wenn diese in der Kornzollfrage im Reichstage sie nicht geärgert hätten, ist
wohl mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen. Dennoch, es ist immer eine krank¬
hafte Reizbarkeit, wenn zum Schaden des Ganzen der Ärger eine Rolle spielt.
Und wenn die beiden, Konservative und Nationalliberale, sich streiten, so kennt
man den Dritten, der sich freut. Wie fatal diesem Dritten die schließliche Ver¬
söhnung der nationalen Parteien in dieser Sache war, das zeigte die Perle
von Meppen, als sie höchst erstaunt über Kleist-Retzow war, daß dieser „am
Abend seines Lebens einen Schritt thue, der die Schule ganz in die Hände
des Staates liefert." Also Kino nig.6 laorimaö! Auch hier sehen wir wieder:
was bei allen Vernünftigen eine Auslegungsfragc, bei der Perle selbst aber
nichts andres als eine Parteifrage ist, das wollte sie zur Gewissensfrage
machen. Indessen werden sich nicht einmal die fünfzehn bis sechzehn Mil¬
lionen Katholiken, die der Welfe dazu einexerziren möchte, daß sie ihre
Meinung ihren Gegnern „recht gründlich a<Z oculos auf dem Rücken zeigen"
sollen, zu diesem Exerzitium, das übrigens auch denen, die dazu Lust hätten,
schlecht genug bekommen könnte, gebrauchen lassen. Da hat der Welfe
seinen Mund wieder einmal zu voll genommen. Er hat sich auch zu dieser
unverschämten Sprache nur hinreißen lasten aus Ärger darüber, daß das
Verhalten der Konservativen ihm gezeigt hat, daß sie sich zu seinem Kampfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/518>, abgerufen am 27.07.2024.