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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußische" Landtags.

angenommen wurde, um sie anderseits wieder nicht anzunehmen, war ja bedenk¬
lich genug. Außerdem hatte das Herrenhaus die Bestimmung gestrichen, nach
welcher neben den schulgeldfrcien Volksschulen solche mit Schulgeld zulässig
sein sollten.

Als nnn am 14. Mai im Abgeordnetenhause das Schullastengesetz wieder
zur Lesung kam, fand die Abstimmung nach den frühern Beschlüssen statt. Als
aber im Herrenhause die Beratung stattfand, sprach der Finanzminister sein leb¬
haftes Bedauern aus über die Aufnahme des § 7. Er fand es stark, wenn
das Abgeordnetenhause die Zumutung an die Regierung und das Herrenhaus
stelle, etwas aus der Verfassung herauszulesen, was nicht darin stehe; auch
könne die Regierung nicht hinter einer Resolution Deckung suchen, wie das
Herrenhaus; die Interpretation des Abgeordnetenhauses stehe dann für alle
Zeiten fest. Diesen vernünftigen Gründen war es zu verdanken, daß der Z 7
mit 96 gegen 25 Stimmen abgelehnt wurde. Über diese Abstimmung des
Herrenhauses erhob sich insbesondre ein lärmendes Geschrei auf feiten des Zen¬
trums. Die "Germania" machte viel blauen Dunst mit allerhand "Gewisscns-
bedenken"; das Gewissen derer, welche im Abgeordnetenhause für Verfassungs¬
veränderung gestimmt hätten, sei damit gebunden; sie könnten um ihres Gewissens
willen ihre erste Abstimmung nicht ändern. Die "Germania" als Hüterin des
Gewissens, das ist kostbar! Es ist derselbe Unfug, den einst die Augustenburger
mit dem "Gewissen" trieben, als sie ihren eignen Staat haben wollten und die
Annexion als "Sünde" verschrieen. Aber heutzutage sollte man doch gegen
solchen Unfug. der politische Dinge, die nur Sache des Urteils und des Verstandes
sind, als Sache des Gewissens behandelt, gesichert sein. Ob ein Gesetz eine
Verfassungsänderung einschließt und ob man seine frühere Überzeugung nach
Kenntnisnahme neuer Gründe und nochmaliger Prüfung nicht zu ändern hat,
das ist schlechterdings Sache des Verstandes und unterliegt der Belehrung. Am
allerwenigsten taugt die "Germania" dazu, irgend einem Menschen das Gewissen
zu schärfen. Sie wollte ums Leben gern den Riß, den das Schullastengesetz
zwischen Konservativen und Nationalliberalen gebracht hatte, erhalten und ver¬
größern, dann wäre ja Aussicht gewesen für eine konservativ-klerikale Mehrheit.
Dieser Gefallen wurde ihr glücklicherweise nicht gethan. In der Sitzung vom
25. Mai wurde die Wiederherstellung des § 7, also die Annahme der Verfassungs¬
änderung, much im Abgeordnetenhaus? mit 179 gegen 148 Stimmen abgelehnt.
Damit war die Mehrheit für das Volksschullastengesctz in der Hcrrenhaus-
fassnug gesichert. Das Zentrum und die Freisinnigen stimmten geschlossen für
8 7. Sie gehören eben ihrer Natur nach zusammen. Ist doch der Freisinn
jetzt sogar soweit, daß er die Reformation Luthers, wie das neulich die "Volks-
zeitung" bei Gelegenheit einer von Haß erfüllten Kritik der Gneistschen Rede an
der Hütten-Sickingendenkmalsfeier mit nackten Worten aussprach, als ein Un¬
glück des deutschen Vaterlandes hinstellte. Und das wollen Freisinnige sein, die


Die letzte Session des preußische» Landtags.

angenommen wurde, um sie anderseits wieder nicht anzunehmen, war ja bedenk¬
lich genug. Außerdem hatte das Herrenhaus die Bestimmung gestrichen, nach
welcher neben den schulgeldfrcien Volksschulen solche mit Schulgeld zulässig
sein sollten.

Als nnn am 14. Mai im Abgeordnetenhause das Schullastengesetz wieder
zur Lesung kam, fand die Abstimmung nach den frühern Beschlüssen statt. Als
aber im Herrenhause die Beratung stattfand, sprach der Finanzminister sein leb¬
haftes Bedauern aus über die Aufnahme des § 7. Er fand es stark, wenn
das Abgeordnetenhause die Zumutung an die Regierung und das Herrenhaus
stelle, etwas aus der Verfassung herauszulesen, was nicht darin stehe; auch
könne die Regierung nicht hinter einer Resolution Deckung suchen, wie das
Herrenhaus; die Interpretation des Abgeordnetenhauses stehe dann für alle
Zeiten fest. Diesen vernünftigen Gründen war es zu verdanken, daß der Z 7
mit 96 gegen 25 Stimmen abgelehnt wurde. Über diese Abstimmung des
Herrenhauses erhob sich insbesondre ein lärmendes Geschrei auf feiten des Zen¬
trums. Die „Germania" machte viel blauen Dunst mit allerhand „Gewisscns-
bedenken"; das Gewissen derer, welche im Abgeordnetenhause für Verfassungs¬
veränderung gestimmt hätten, sei damit gebunden; sie könnten um ihres Gewissens
willen ihre erste Abstimmung nicht ändern. Die „Germania" als Hüterin des
Gewissens, das ist kostbar! Es ist derselbe Unfug, den einst die Augustenburger
mit dem „Gewissen" trieben, als sie ihren eignen Staat haben wollten und die
Annexion als „Sünde" verschrieen. Aber heutzutage sollte man doch gegen
solchen Unfug. der politische Dinge, die nur Sache des Urteils und des Verstandes
sind, als Sache des Gewissens behandelt, gesichert sein. Ob ein Gesetz eine
Verfassungsänderung einschließt und ob man seine frühere Überzeugung nach
Kenntnisnahme neuer Gründe und nochmaliger Prüfung nicht zu ändern hat,
das ist schlechterdings Sache des Verstandes und unterliegt der Belehrung. Am
allerwenigsten taugt die „Germania" dazu, irgend einem Menschen das Gewissen
zu schärfen. Sie wollte ums Leben gern den Riß, den das Schullastengesetz
zwischen Konservativen und Nationalliberalen gebracht hatte, erhalten und ver¬
größern, dann wäre ja Aussicht gewesen für eine konservativ-klerikale Mehrheit.
Dieser Gefallen wurde ihr glücklicherweise nicht gethan. In der Sitzung vom
25. Mai wurde die Wiederherstellung des § 7, also die Annahme der Verfassungs¬
änderung, much im Abgeordnetenhaus? mit 179 gegen 148 Stimmen abgelehnt.
Damit war die Mehrheit für das Volksschullastengesctz in der Hcrrenhaus-
fassnug gesichert. Das Zentrum und die Freisinnigen stimmten geschlossen für
8 7. Sie gehören eben ihrer Natur nach zusammen. Ist doch der Freisinn
jetzt sogar soweit, daß er die Reformation Luthers, wie das neulich die „Volks-
zeitung" bei Gelegenheit einer von Haß erfüllten Kritik der Gneistschen Rede an
der Hütten-Sickingendenkmalsfeier mit nackten Worten aussprach, als ein Un¬
glück des deutschen Vaterlandes hinstellte. Und das wollen Freisinnige sein, die


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[0517] Die letzte Session des preußische» Landtags. angenommen wurde, um sie anderseits wieder nicht anzunehmen, war ja bedenk¬ lich genug. Außerdem hatte das Herrenhaus die Bestimmung gestrichen, nach welcher neben den schulgeldfrcien Volksschulen solche mit Schulgeld zulässig sein sollten. Als nnn am 14. Mai im Abgeordnetenhause das Schullastengesetz wieder zur Lesung kam, fand die Abstimmung nach den frühern Beschlüssen statt. Als aber im Herrenhause die Beratung stattfand, sprach der Finanzminister sein leb¬ haftes Bedauern aus über die Aufnahme des § 7. Er fand es stark, wenn das Abgeordnetenhause die Zumutung an die Regierung und das Herrenhaus stelle, etwas aus der Verfassung herauszulesen, was nicht darin stehe; auch könne die Regierung nicht hinter einer Resolution Deckung suchen, wie das Herrenhaus; die Interpretation des Abgeordnetenhauses stehe dann für alle Zeiten fest. Diesen vernünftigen Gründen war es zu verdanken, daß der Z 7 mit 96 gegen 25 Stimmen abgelehnt wurde. Über diese Abstimmung des Herrenhauses erhob sich insbesondre ein lärmendes Geschrei auf feiten des Zen¬ trums. Die „Germania" machte viel blauen Dunst mit allerhand „Gewisscns- bedenken"; das Gewissen derer, welche im Abgeordnetenhause für Verfassungs¬ veränderung gestimmt hätten, sei damit gebunden; sie könnten um ihres Gewissens willen ihre erste Abstimmung nicht ändern. Die „Germania" als Hüterin des Gewissens, das ist kostbar! Es ist derselbe Unfug, den einst die Augustenburger mit dem „Gewissen" trieben, als sie ihren eignen Staat haben wollten und die Annexion als „Sünde" verschrieen. Aber heutzutage sollte man doch gegen solchen Unfug. der politische Dinge, die nur Sache des Urteils und des Verstandes sind, als Sache des Gewissens behandelt, gesichert sein. Ob ein Gesetz eine Verfassungsänderung einschließt und ob man seine frühere Überzeugung nach Kenntnisnahme neuer Gründe und nochmaliger Prüfung nicht zu ändern hat, das ist schlechterdings Sache des Verstandes und unterliegt der Belehrung. Am allerwenigsten taugt die „Germania" dazu, irgend einem Menschen das Gewissen zu schärfen. Sie wollte ums Leben gern den Riß, den das Schullastengesetz zwischen Konservativen und Nationalliberalen gebracht hatte, erhalten und ver¬ größern, dann wäre ja Aussicht gewesen für eine konservativ-klerikale Mehrheit. Dieser Gefallen wurde ihr glücklicherweise nicht gethan. In der Sitzung vom 25. Mai wurde die Wiederherstellung des § 7, also die Annahme der Verfassungs¬ änderung, much im Abgeordnetenhaus? mit 179 gegen 148 Stimmen abgelehnt. Damit war die Mehrheit für das Volksschullastengesctz in der Hcrrenhaus- fassnug gesichert. Das Zentrum und die Freisinnigen stimmten geschlossen für 8 7. Sie gehören eben ihrer Natur nach zusammen. Ist doch der Freisinn jetzt sogar soweit, daß er die Reformation Luthers, wie das neulich die „Volks- zeitung" bei Gelegenheit einer von Haß erfüllten Kritik der Gneistschen Rede an der Hütten-Sickingendenkmalsfeier mit nackten Worten aussprach, als ein Un¬ glück des deutschen Vaterlandes hinstellte. Und das wollen Freisinnige sein, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/517>, abgerufen am 01.09.2024.