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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

Wie er sich darin geirrt hat, daß er meinte, die Huldigungen auch der prote¬
stantischen Fürsten und Länder gälten dem Papsttum. Sie galten nur ihm,
dem gegenwärtigen Papste, der als Seelenhirt seiner Gläubigen sich dem Staate
gegenüber versöhnlich bewiesen und mancherlei zur Beruhigung der katholischen
Gemüter beigetragen hat, nachdem durch seinen Vorgänger eine wilde Kaplans-
herrschaft aufgekommen war. Weil man zu Leo das gute Vertrauen hat, daß
er diese fromme Demagogie auch künftig niederhalten wird, so huldigte man
ihm auch protestantischerseits, eine Huldigung, die sofort ihr Ende finden würde,
wenn man dieses Vertrauen nicht mehr haben dürfte. Denn die Liebe zum
Papste kann gegenüber der Liebe zum Vaterlande nur bei den Zentrumsmännern
den ersten Platz einnehmen, und dann, so oft es ihnen paßt, bei dein deutschen
Freisinn.

Im Abgeordnetenhause hatte anch die diesjährige Session, wie das für die
Opposition nicht anders geht, ihre Polendcbatte; der Abgeordnete Jagdzewski
hielt einen langatmigen Vortrag in Betreff der Verfügungen des Kultusministers
vom 7. September und 6. Oktober 1887 über den polnischen Sprachunterricht in
sämtlichen Volksschulen der Provinzen Posen und Westpreußen. Herr Windthorst
benutzte diese Gelegenheit, um seine Herzenswünsche wieder einmal zu offenbaren,
er meinte, bei dem beunruhigenden Zustande unsrer Zeit sollte man nicht einen
großen Teil der Bevölkerung erbittern, es sei doch fraglich, wenn das Schlimmste
eintrete, mit welchem Patriotismus dann das fünfte Armeekorps in Aktion treten
werde. Wir müßten uns vorsehen, meinte der Welfe, "daß die Polen uns nicht
den Stoß zurückgeben." Nur in Deutschland kann man die Duldung so weit
ausarten lassen, daß in der Vertretung eines Landes diese mittelbare Auffor¬
derung zur Fahnenflucht ruhig angehört wird. Das Zentrum spielte überhaupt
wieder in der polnischen Frage seine gewohnte Rolle. Die Agitation gegen
Erzbischof Dinder nahm ihren Anfang; es entwickelte sich damit ein Gegensatz
zwischen der katholischen Kirchenleitung und der national-polnischen Agitation;
auch hierbei leistete das deutsche Zentrum den Polen seine Handlangerdienste.
Wo erscheint diese vaterlandslose Partei nicht, wenn es gilt, gegen Preußen
zu stehen?

Zugleich mit der Verlängerung der Legislaturperiode im Reichstage wurde
die im preußischen Abgeordnetenhause angenommen. Bei der Debatte trat hier
noch unverhüllter als im Reichstage das Bestreben der klerikal-freisinnigen Min¬
derheit hervor, durch ihre Reden Material zu schaffen für Agirations- und be¬
sonders für Wahlzwccke. Nur bei einer Sache gaben sie das Deklamiren auf,
nachdem sie gründlich durch die Erfahrung belehrt worden waren, daß sich da
nichts mehr thun lasse; das war, als die Rechnungsablegung über die Güter¬
ankäufe in Polen kam. Kein Deutschfreisinniger wagte gegenüber dem bis jetzt
ausgezeichnet gelungenen Werke ein Wort zu sagen; sie hatten in vergangnen
Tagen sich in dieser Sache gar zu sehr blamirt. Auch Herr Windthorst schwieg


Die letzte Session des preußischen Landtags.

Wie er sich darin geirrt hat, daß er meinte, die Huldigungen auch der prote¬
stantischen Fürsten und Länder gälten dem Papsttum. Sie galten nur ihm,
dem gegenwärtigen Papste, der als Seelenhirt seiner Gläubigen sich dem Staate
gegenüber versöhnlich bewiesen und mancherlei zur Beruhigung der katholischen
Gemüter beigetragen hat, nachdem durch seinen Vorgänger eine wilde Kaplans-
herrschaft aufgekommen war. Weil man zu Leo das gute Vertrauen hat, daß
er diese fromme Demagogie auch künftig niederhalten wird, so huldigte man
ihm auch protestantischerseits, eine Huldigung, die sofort ihr Ende finden würde,
wenn man dieses Vertrauen nicht mehr haben dürfte. Denn die Liebe zum
Papste kann gegenüber der Liebe zum Vaterlande nur bei den Zentrumsmännern
den ersten Platz einnehmen, und dann, so oft es ihnen paßt, bei dein deutschen
Freisinn.

Im Abgeordnetenhause hatte anch die diesjährige Session, wie das für die
Opposition nicht anders geht, ihre Polendcbatte; der Abgeordnete Jagdzewski
hielt einen langatmigen Vortrag in Betreff der Verfügungen des Kultusministers
vom 7. September und 6. Oktober 1887 über den polnischen Sprachunterricht in
sämtlichen Volksschulen der Provinzen Posen und Westpreußen. Herr Windthorst
benutzte diese Gelegenheit, um seine Herzenswünsche wieder einmal zu offenbaren,
er meinte, bei dem beunruhigenden Zustande unsrer Zeit sollte man nicht einen
großen Teil der Bevölkerung erbittern, es sei doch fraglich, wenn das Schlimmste
eintrete, mit welchem Patriotismus dann das fünfte Armeekorps in Aktion treten
werde. Wir müßten uns vorsehen, meinte der Welfe, „daß die Polen uns nicht
den Stoß zurückgeben." Nur in Deutschland kann man die Duldung so weit
ausarten lassen, daß in der Vertretung eines Landes diese mittelbare Auffor¬
derung zur Fahnenflucht ruhig angehört wird. Das Zentrum spielte überhaupt
wieder in der polnischen Frage seine gewohnte Rolle. Die Agitation gegen
Erzbischof Dinder nahm ihren Anfang; es entwickelte sich damit ein Gegensatz
zwischen der katholischen Kirchenleitung und der national-polnischen Agitation;
auch hierbei leistete das deutsche Zentrum den Polen seine Handlangerdienste.
Wo erscheint diese vaterlandslose Partei nicht, wenn es gilt, gegen Preußen
zu stehen?

Zugleich mit der Verlängerung der Legislaturperiode im Reichstage wurde
die im preußischen Abgeordnetenhause angenommen. Bei der Debatte trat hier
noch unverhüllter als im Reichstage das Bestreben der klerikal-freisinnigen Min¬
derheit hervor, durch ihre Reden Material zu schaffen für Agirations- und be¬
sonders für Wahlzwccke. Nur bei einer Sache gaben sie das Deklamiren auf,
nachdem sie gründlich durch die Erfahrung belehrt worden waren, daß sich da
nichts mehr thun lasse; das war, als die Rechnungsablegung über die Güter¬
ankäufe in Polen kam. Kein Deutschfreisinniger wagte gegenüber dem bis jetzt
ausgezeichnet gelungenen Werke ein Wort zu sagen; sie hatten in vergangnen
Tagen sich in dieser Sache gar zu sehr blamirt. Auch Herr Windthorst schwieg


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[0507] Die letzte Session des preußischen Landtags. Wie er sich darin geirrt hat, daß er meinte, die Huldigungen auch der prote¬ stantischen Fürsten und Länder gälten dem Papsttum. Sie galten nur ihm, dem gegenwärtigen Papste, der als Seelenhirt seiner Gläubigen sich dem Staate gegenüber versöhnlich bewiesen und mancherlei zur Beruhigung der katholischen Gemüter beigetragen hat, nachdem durch seinen Vorgänger eine wilde Kaplans- herrschaft aufgekommen war. Weil man zu Leo das gute Vertrauen hat, daß er diese fromme Demagogie auch künftig niederhalten wird, so huldigte man ihm auch protestantischerseits, eine Huldigung, die sofort ihr Ende finden würde, wenn man dieses Vertrauen nicht mehr haben dürfte. Denn die Liebe zum Papste kann gegenüber der Liebe zum Vaterlande nur bei den Zentrumsmännern den ersten Platz einnehmen, und dann, so oft es ihnen paßt, bei dein deutschen Freisinn. Im Abgeordnetenhause hatte anch die diesjährige Session, wie das für die Opposition nicht anders geht, ihre Polendcbatte; der Abgeordnete Jagdzewski hielt einen langatmigen Vortrag in Betreff der Verfügungen des Kultusministers vom 7. September und 6. Oktober 1887 über den polnischen Sprachunterricht in sämtlichen Volksschulen der Provinzen Posen und Westpreußen. Herr Windthorst benutzte diese Gelegenheit, um seine Herzenswünsche wieder einmal zu offenbaren, er meinte, bei dem beunruhigenden Zustande unsrer Zeit sollte man nicht einen großen Teil der Bevölkerung erbittern, es sei doch fraglich, wenn das Schlimmste eintrete, mit welchem Patriotismus dann das fünfte Armeekorps in Aktion treten werde. Wir müßten uns vorsehen, meinte der Welfe, „daß die Polen uns nicht den Stoß zurückgeben." Nur in Deutschland kann man die Duldung so weit ausarten lassen, daß in der Vertretung eines Landes diese mittelbare Auffor¬ derung zur Fahnenflucht ruhig angehört wird. Das Zentrum spielte überhaupt wieder in der polnischen Frage seine gewohnte Rolle. Die Agitation gegen Erzbischof Dinder nahm ihren Anfang; es entwickelte sich damit ein Gegensatz zwischen der katholischen Kirchenleitung und der national-polnischen Agitation; auch hierbei leistete das deutsche Zentrum den Polen seine Handlangerdienste. Wo erscheint diese vaterlandslose Partei nicht, wenn es gilt, gegen Preußen zu stehen? Zugleich mit der Verlängerung der Legislaturperiode im Reichstage wurde die im preußischen Abgeordnetenhause angenommen. Bei der Debatte trat hier noch unverhüllter als im Reichstage das Bestreben der klerikal-freisinnigen Min¬ derheit hervor, durch ihre Reden Material zu schaffen für Agirations- und be¬ sonders für Wahlzwccke. Nur bei einer Sache gaben sie das Deklamiren auf, nachdem sie gründlich durch die Erfahrung belehrt worden waren, daß sich da nichts mehr thun lasse; das war, als die Rechnungsablegung über die Güter¬ ankäufe in Polen kam. Kein Deutschfreisinniger wagte gegenüber dem bis jetzt ausgezeichnet gelungenen Werke ein Wort zu sagen; sie hatten in vergangnen Tagen sich in dieser Sache gar zu sehr blamirt. Auch Herr Windthorst schwieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/507>, abgerufen am 01.09.2024.