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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen'Landtags.

große Staatsmann, hätte auch ohne Neichshilfe sein Defizit stopfen können,
d. h. die Branntweinsteuer hätte nicht genehmigt werden sollen. Wo der Staat
das Geld zu seinen militärischen Ausgaben hernehmen sollte, das bleibt das
Geheimnis der großen Politiker. Daß Preußen zumal durch die Branntwein¬
steuer davor behütet worden ist, mit einem Defizit von fünfzig Millionen in
das neue Etatsjahr einzutreten, daß es für Preußen, sowie für die andern
deutschen Staaten recht gute Zwecke giebt, für die die etwa übrig bleibenden
Summen angewendet werden können, ist doch nur ein Unglück in den Augen der
Nörgler und der Doktrinäre des Nichtsthuns mit ihrem "freien Spiel der wirt¬
schaftlichen Kräfte." Daß sich dieser unfruchtbare Doktrinarismus nicht mehr
in der Lage sieht, obenauf zu sein, darin besteht "der Mangel an Idealen,"
der nach freisinniger Klage uns und besonders unsre Jugend jetzt beherrscht, jene
"Opportunitätspolitik," jene "Vergötterung der Autorität," jener "nationale
Chauvinismus unsrer Zeit," und was die Fortschrittshelden zusammen mit den
Sozialdemokraten noch für andre schöne Bezeichnungen haben, womit sie unsre
Zeit charakterisiren. Auch hierin befinden sich natürlich die Deutschfreisinnigen
in brüderlicher Freundschaft mit den Ultramontanen, wie denn z. B. Dr. Jörg
"das Gift des Nationalismus" als das bezeichnet, woraus das Werk Kaiser
Wilhelms, die deutsche Einigung, hervorgegangen sei. Wir können mit diesem
nationalen Zuge der Zeit zufrieden sein; im Grunde besteht er doch nur darin,
daß unsre Gesellschaft angefangen hat, der politischen Charlatanerie den Rücken
zu kehren und die antinationale Niedertracht in den Bann zu thun. Wenn die
dentschfreisinnigen Zeitungen ihren Ärger über alles durch schlimme Prophe¬
zeiungen über die Zukunft unsers Volkes zu erkennen geben, so kann man
ihnen das gerade so gern gestatten, als man es dem großen Finanzmann Eugen
Richter gern gestattete, daß er in seinem Ärger die Aufstellung des Eisenbahn¬
etats als "tendenziös knapp gehalten" bezeichnete; war das doch nur der Ärger
darüber, daß der Vortreffliche bei dem Verkehrsrückgang von 1885/86 die
Prophezeiung gethan hatte, das Staatsbahnsystem werde bald in Trümmer gehen.

Ungefähr um dieselbe Zeit, wo der preußische Landtag zusammentrat, wurde
mit großem Pompe die "goldne Hochzeit" Leos XIII. gefeiert. Wir erwähnen
dies Ereignis hier wegen der Antwort, die bei dieser Gelegenheit vom Papst
auf die Ansprache des Grafen Brühl, des Abgesandten des Kaisers Wilhelm,
gegeben wurde. Sie betrachtet den Kulturkampf in Preußen als abgeschlossen,
enthält aber die Stelle, der deutsche Kaiser möge das Werk (des Friedens¬
schlusses mit der Kirche in Preußen) krönen; es knüpften sich daran die höchsten
Interessen der Religion und auch das Wohl der Katholiken Deutschlands. Der
Papst wollte damit sagen, daß es sein heißester Wunsch sei, dessen Erfüllung
er erwarte, daß der deutsche Kaiser für Wiedergewinnung der weltlichen Herr¬
schaft des Papstes eintrete. Das wird keinesfalls geschehen, auch nicht von
den Nachfolgern Wilhelms; der Papst wird sich hierin ebenso gründlich irren,


Die letzte Session des preußischen'Landtags.

große Staatsmann, hätte auch ohne Neichshilfe sein Defizit stopfen können,
d. h. die Branntweinsteuer hätte nicht genehmigt werden sollen. Wo der Staat
das Geld zu seinen militärischen Ausgaben hernehmen sollte, das bleibt das
Geheimnis der großen Politiker. Daß Preußen zumal durch die Branntwein¬
steuer davor behütet worden ist, mit einem Defizit von fünfzig Millionen in
das neue Etatsjahr einzutreten, daß es für Preußen, sowie für die andern
deutschen Staaten recht gute Zwecke giebt, für die die etwa übrig bleibenden
Summen angewendet werden können, ist doch nur ein Unglück in den Augen der
Nörgler und der Doktrinäre des Nichtsthuns mit ihrem „freien Spiel der wirt¬
schaftlichen Kräfte." Daß sich dieser unfruchtbare Doktrinarismus nicht mehr
in der Lage sieht, obenauf zu sein, darin besteht „der Mangel an Idealen,"
der nach freisinniger Klage uns und besonders unsre Jugend jetzt beherrscht, jene
„Opportunitätspolitik," jene „Vergötterung der Autorität," jener „nationale
Chauvinismus unsrer Zeit," und was die Fortschrittshelden zusammen mit den
Sozialdemokraten noch für andre schöne Bezeichnungen haben, womit sie unsre
Zeit charakterisiren. Auch hierin befinden sich natürlich die Deutschfreisinnigen
in brüderlicher Freundschaft mit den Ultramontanen, wie denn z. B. Dr. Jörg
„das Gift des Nationalismus" als das bezeichnet, woraus das Werk Kaiser
Wilhelms, die deutsche Einigung, hervorgegangen sei. Wir können mit diesem
nationalen Zuge der Zeit zufrieden sein; im Grunde besteht er doch nur darin,
daß unsre Gesellschaft angefangen hat, der politischen Charlatanerie den Rücken
zu kehren und die antinationale Niedertracht in den Bann zu thun. Wenn die
dentschfreisinnigen Zeitungen ihren Ärger über alles durch schlimme Prophe¬
zeiungen über die Zukunft unsers Volkes zu erkennen geben, so kann man
ihnen das gerade so gern gestatten, als man es dem großen Finanzmann Eugen
Richter gern gestattete, daß er in seinem Ärger die Aufstellung des Eisenbahn¬
etats als „tendenziös knapp gehalten" bezeichnete; war das doch nur der Ärger
darüber, daß der Vortreffliche bei dem Verkehrsrückgang von 1885/86 die
Prophezeiung gethan hatte, das Staatsbahnsystem werde bald in Trümmer gehen.

Ungefähr um dieselbe Zeit, wo der preußische Landtag zusammentrat, wurde
mit großem Pompe die „goldne Hochzeit" Leos XIII. gefeiert. Wir erwähnen
dies Ereignis hier wegen der Antwort, die bei dieser Gelegenheit vom Papst
auf die Ansprache des Grafen Brühl, des Abgesandten des Kaisers Wilhelm,
gegeben wurde. Sie betrachtet den Kulturkampf in Preußen als abgeschlossen,
enthält aber die Stelle, der deutsche Kaiser möge das Werk (des Friedens¬
schlusses mit der Kirche in Preußen) krönen; es knüpften sich daran die höchsten
Interessen der Religion und auch das Wohl der Katholiken Deutschlands. Der
Papst wollte damit sagen, daß es sein heißester Wunsch sei, dessen Erfüllung
er erwarte, daß der deutsche Kaiser für Wiedergewinnung der weltlichen Herr¬
schaft des Papstes eintrete. Das wird keinesfalls geschehen, auch nicht von
den Nachfolgern Wilhelms; der Papst wird sich hierin ebenso gründlich irren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/506>, abgerufen am 01.09.2024.