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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

Unverstande des Alters und der höhern Berechtigung der Jugend handelten.
Wie genügsam waren sie nicht, wenn sie schrieben! Dann war es doch besser,
wenn sie innerhalb ihrer sichern vier Wände redeten! Nein, wenn er einmal
so weit kam, dann sollte Musik erschallen, Posaunenmusik!

Auch mit den alten Freunden war es nicht mehr wie früher. Besonders
mit Frithjof. Der Grund lag darin, daß Frithjof, eine positive Natur mit
gutem Kopf und breitem Rücken, sich darüber hergemacht hatte, Heiberg recht
gründlich zu studiren; er hatte alles für baare Münze genommen, daß die
Systematiker kluge Leute seien, die ihre Systeme nach ihren Werken machen und
nicht ihre Werke nach ihren Systemen. Und es geht ja nun einmal so, daß
junge Leute, die unter die Macht eines Systems geraten sind, gern auch große
Dogmatiker werden, infolge der löblichen Liebe, welche die Jugend meistenteils
für die fertigen Zustände, für das Befestigte, das Absolute hegt. Und wenn
man nun auf solche Weise Inhaber der ganzen Wahrheit geworden ist, der
ganzen, echten Wahrheit, wäre es da nicht unverzeihlich, wenn man sie ganz
sür sich behalten und seine weniger glücklich gestellten Mitmenschen ihren eignen
schiefen Weg gehen lassen wollte, statt sie zu leiten und zu belehren, statt mit
liebevoller Unbarmherzigkeit ihre wilden Schößlinge zu ergreifen, sie mit freund¬
licher Gewalt an die Mauer zu treiben und ihnen dann klar zu machen, welche
Richtung sie in ihrer Entwicklung einzuschlagen haben, um eines Tages, wenn
auch erst spät, als richtige, künstliche Spaliers dem gütigen Freunde danken zu
können für alle die Mühe, die er sich mit ihnen gemacht hat?

Ricks pflegte zwar zu sagen, daß er nichts so sehr zu schätzen wisse als
Kritik, aber dessenungeachtet zog er die Bewunderung vor, und er konnte sich
durchaus nicht darein finden, sich von Frithjof kritisiren zu lassen, den er stets
als seinen Leibeignen betrachtet hatte und der auch stets entzückt gewesen war,
die Livree seiner Ansichten und Überzeugungen zu tragen. Und jetzt kam er
und wollte den Gleichgestellten spielen in der selbst gewühlten Masteradentracht
eines Talars! Das mußte natürlich zurückgewiesen werden. Ricks versuchte
zuerst, in überlegner Gutmütigkeit Frithjof vor sich selber lächerlich zu machen,
und als ihm das mißglückte, nahm er seine Zuflucht zu unverschämten Behaup¬
tungen, die aber zu erörtern er sich zu erhaben fühlte; er stellte sie nur in
ihrer barocken Abscheulichkeit hin und zog sich dann hinter ein höhnisches Schweigen
zurück. So kamen sie auseinander.

Mit Erik ging es besser. Über ihrer Knabenfreundschaft hatte stets etwas
Zurückhaltendes, eine gewisse geistige Schamhaftigkeit gelegen, und dadurch hatten
sie die allzu genaue gegenseitige Bekanntschaft vermieden, die eine so große
Gefahr für die Freundschaft ist; sie waren im Festsaal ihrer Seele mit einander
begeistert gewesen, hatten sich gemütlich und vertraulich im Wohnzimmer unter¬
halten, aber sie waren nicht in den mehr entlegnen Räumen ihrer Seelenwohnung
aus- und eingegangen.


Ricks Lyhne,

Unverstande des Alters und der höhern Berechtigung der Jugend handelten.
Wie genügsam waren sie nicht, wenn sie schrieben! Dann war es doch besser,
wenn sie innerhalb ihrer sichern vier Wände redeten! Nein, wenn er einmal
so weit kam, dann sollte Musik erschallen, Posaunenmusik!

Auch mit den alten Freunden war es nicht mehr wie früher. Besonders
mit Frithjof. Der Grund lag darin, daß Frithjof, eine positive Natur mit
gutem Kopf und breitem Rücken, sich darüber hergemacht hatte, Heiberg recht
gründlich zu studiren; er hatte alles für baare Münze genommen, daß die
Systematiker kluge Leute seien, die ihre Systeme nach ihren Werken machen und
nicht ihre Werke nach ihren Systemen. Und es geht ja nun einmal so, daß
junge Leute, die unter die Macht eines Systems geraten sind, gern auch große
Dogmatiker werden, infolge der löblichen Liebe, welche die Jugend meistenteils
für die fertigen Zustände, für das Befestigte, das Absolute hegt. Und wenn
man nun auf solche Weise Inhaber der ganzen Wahrheit geworden ist, der
ganzen, echten Wahrheit, wäre es da nicht unverzeihlich, wenn man sie ganz
sür sich behalten und seine weniger glücklich gestellten Mitmenschen ihren eignen
schiefen Weg gehen lassen wollte, statt sie zu leiten und zu belehren, statt mit
liebevoller Unbarmherzigkeit ihre wilden Schößlinge zu ergreifen, sie mit freund¬
licher Gewalt an die Mauer zu treiben und ihnen dann klar zu machen, welche
Richtung sie in ihrer Entwicklung einzuschlagen haben, um eines Tages, wenn
auch erst spät, als richtige, künstliche Spaliers dem gütigen Freunde danken zu
können für alle die Mühe, die er sich mit ihnen gemacht hat?

Ricks pflegte zwar zu sagen, daß er nichts so sehr zu schätzen wisse als
Kritik, aber dessenungeachtet zog er die Bewunderung vor, und er konnte sich
durchaus nicht darein finden, sich von Frithjof kritisiren zu lassen, den er stets
als seinen Leibeignen betrachtet hatte und der auch stets entzückt gewesen war,
die Livree seiner Ansichten und Überzeugungen zu tragen. Und jetzt kam er
und wollte den Gleichgestellten spielen in der selbst gewühlten Masteradentracht
eines Talars! Das mußte natürlich zurückgewiesen werden. Ricks versuchte
zuerst, in überlegner Gutmütigkeit Frithjof vor sich selber lächerlich zu machen,
und als ihm das mißglückte, nahm er seine Zuflucht zu unverschämten Behaup¬
tungen, die aber zu erörtern er sich zu erhaben fühlte; er stellte sie nur in
ihrer barocken Abscheulichkeit hin und zog sich dann hinter ein höhnisches Schweigen
zurück. So kamen sie auseinander.

Mit Erik ging es besser. Über ihrer Knabenfreundschaft hatte stets etwas
Zurückhaltendes, eine gewisse geistige Schamhaftigkeit gelegen, und dadurch hatten
sie die allzu genaue gegenseitige Bekanntschaft vermieden, die eine so große
Gefahr für die Freundschaft ist; sie waren im Festsaal ihrer Seele mit einander
begeistert gewesen, hatten sich gemütlich und vertraulich im Wohnzimmer unter¬
halten, aber sie waren nicht in den mehr entlegnen Räumen ihrer Seelenwohnung
aus- und eingegangen.


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[0501] Ricks Lyhne, Unverstande des Alters und der höhern Berechtigung der Jugend handelten. Wie genügsam waren sie nicht, wenn sie schrieben! Dann war es doch besser, wenn sie innerhalb ihrer sichern vier Wände redeten! Nein, wenn er einmal so weit kam, dann sollte Musik erschallen, Posaunenmusik! Auch mit den alten Freunden war es nicht mehr wie früher. Besonders mit Frithjof. Der Grund lag darin, daß Frithjof, eine positive Natur mit gutem Kopf und breitem Rücken, sich darüber hergemacht hatte, Heiberg recht gründlich zu studiren; er hatte alles für baare Münze genommen, daß die Systematiker kluge Leute seien, die ihre Systeme nach ihren Werken machen und nicht ihre Werke nach ihren Systemen. Und es geht ja nun einmal so, daß junge Leute, die unter die Macht eines Systems geraten sind, gern auch große Dogmatiker werden, infolge der löblichen Liebe, welche die Jugend meistenteils für die fertigen Zustände, für das Befestigte, das Absolute hegt. Und wenn man nun auf solche Weise Inhaber der ganzen Wahrheit geworden ist, der ganzen, echten Wahrheit, wäre es da nicht unverzeihlich, wenn man sie ganz sür sich behalten und seine weniger glücklich gestellten Mitmenschen ihren eignen schiefen Weg gehen lassen wollte, statt sie zu leiten und zu belehren, statt mit liebevoller Unbarmherzigkeit ihre wilden Schößlinge zu ergreifen, sie mit freund¬ licher Gewalt an die Mauer zu treiben und ihnen dann klar zu machen, welche Richtung sie in ihrer Entwicklung einzuschlagen haben, um eines Tages, wenn auch erst spät, als richtige, künstliche Spaliers dem gütigen Freunde danken zu können für alle die Mühe, die er sich mit ihnen gemacht hat? Ricks pflegte zwar zu sagen, daß er nichts so sehr zu schätzen wisse als Kritik, aber dessenungeachtet zog er die Bewunderung vor, und er konnte sich durchaus nicht darein finden, sich von Frithjof kritisiren zu lassen, den er stets als seinen Leibeignen betrachtet hatte und der auch stets entzückt gewesen war, die Livree seiner Ansichten und Überzeugungen zu tragen. Und jetzt kam er und wollte den Gleichgestellten spielen in der selbst gewühlten Masteradentracht eines Talars! Das mußte natürlich zurückgewiesen werden. Ricks versuchte zuerst, in überlegner Gutmütigkeit Frithjof vor sich selber lächerlich zu machen, und als ihm das mißglückte, nahm er seine Zuflucht zu unverschämten Behaup¬ tungen, die aber zu erörtern er sich zu erhaben fühlte; er stellte sie nur in ihrer barocken Abscheulichkeit hin und zog sich dann hinter ein höhnisches Schweigen zurück. So kamen sie auseinander. Mit Erik ging es besser. Über ihrer Knabenfreundschaft hatte stets etwas Zurückhaltendes, eine gewisse geistige Schamhaftigkeit gelegen, und dadurch hatten sie die allzu genaue gegenseitige Bekanntschaft vermieden, die eine so große Gefahr für die Freundschaft ist; sie waren im Festsaal ihrer Seele mit einander begeistert gewesen, hatten sich gemütlich und vertraulich im Wohnzimmer unter¬ halten, aber sie waren nicht in den mehr entlegnen Räumen ihrer Seelenwohnung aus- und eingegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/501>, abgerufen am 27.07.2024.