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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Rarlsschule und Schillers Zugenddramen.

er dir -- sagt der Räuber Razmann von seinem Hauptmann -- einen Landjunker
schröpfen, der seine Bauern wie das Vieh abschindet, oder einen Schurken mit
goldenen Borten unter den Hammer kriegen, der die Gesetze falschmünzt oder
das Auge der Gerechtigkeit übersilbert, oder sonst ein Herrchen von dem Ge¬
lichter -- Kerl! da ist er dir in seinem Element und haust teufelmäßig, als
wenn jede Faser an ihm eine Furie wäre." Wie mochte dem Herzog von
Württemberg zu Mute sein, wenn er die Erzählung zu lesen bekam, womit
Kosinsky um Aufnahme in die Räuberbande Moors nachsucht: "Sie war
bürgerlicher Geburt, eine Deutsche -- übermorgen sollte ich meine Amalia vor
den Altar führen. Mitten unter den Zulüftungen zur Vermählung werd ich
durch einen Expressen nach Hof zitirt -- man nahm mir den Degen ab, warf
mich ins Gefängnis -- endlich erschien der erste Minister des Hofes, wünschte
mir zur Entdeckung meiner Unschuld Glück. Jetzt im Triumphe nach meinem
Schloß, in die Arme meiner Amalia zu fliegen -- sie war verschwunden. --
Man hatte ihr die Wahl gelassen, ob sie mich lieber sterben sehen oder die
Mätresse des Fürsten werden wollte." Kein Zweifel -- dergleichen Geschichten
hat sich die Jugend der Karlsschule manchmal ins Ohr geflüstert. Denn
mochten immerhin die Zöglinge noch strenger als durch Klostermauern von der
Welt abgeschlossen sein, sie waren doch von überall her aus dem Lande Württem¬
berg, aus Deutschland und selbst aus fremden Ländern in der Anstalt zusammen¬
gekommen, und was draußen geschah, was fürstliche Lüstlinge sich einem ge¬
knechteten Volke gegenüber erlaubten, das wurde dort wiedererzählt und mußte
in der stillen Abgeschiedenheit auf jugendliche Gemüter einen nur umso tiefern
Eindruck machen. "Kabale und Liebe" ist ganz erfüllt von dem erwachten
Selbstbewußtsein und dem gereizten Sittlichkeitsgefühl des Bürgertums. In
diesem Geiste, ja bisweilen in diesem Tone schreibt der Abbe Sieyes von den
Privilegirten, wenn er in seiner Broschüre: "Was ist der dritte Stand?" das
Programm ausgiebt für die Revolution. Wenn Luise Millerin mit Rousscauschcr
Schwärmerei einer bessern Welt gedenkt, wo "die Schranken des Unterschiedes
einstürzen, von uns abspringen all die verhaßten Hülsen des Standes, Menschen
nur Menschen sind," so erinnert wiederum Schiller ganz an den Hohn eines
Beaumarchais, wo er den Hofmarschall von Kalb sein entsetzliches Unglück
schildern läßt: "Von Bock und ich -- wir kriechen durch den ganzen Nedouten-
saal, das Strumpfband zu suchen -- endlich erblick ichs -- von Bock merkts --
von Bock darauf zu, reißt es mir aus den Händen -- ich bitte Sie! bringts
der Prinzessin und schnappt mir glücklich das Kompliment weg -- ich meine
in Ohnmacht zu sinken." Das ist der Hofadel, dem gegenüber der von wahrem
Gefühl beseelte, einfach menschlich denkende Ferdinand sein stolzes Recht als
Mann in die Worte kleidet: "Laß doch sehen, ob mein Wappen giltiger ist
als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: dieses Weib ist für diesen
Mann?"


Die Rarlsschule und Schillers Zugenddramen.

er dir — sagt der Räuber Razmann von seinem Hauptmann — einen Landjunker
schröpfen, der seine Bauern wie das Vieh abschindet, oder einen Schurken mit
goldenen Borten unter den Hammer kriegen, der die Gesetze falschmünzt oder
das Auge der Gerechtigkeit übersilbert, oder sonst ein Herrchen von dem Ge¬
lichter — Kerl! da ist er dir in seinem Element und haust teufelmäßig, als
wenn jede Faser an ihm eine Furie wäre." Wie mochte dem Herzog von
Württemberg zu Mute sein, wenn er die Erzählung zu lesen bekam, womit
Kosinsky um Aufnahme in die Räuberbande Moors nachsucht: „Sie war
bürgerlicher Geburt, eine Deutsche — übermorgen sollte ich meine Amalia vor
den Altar führen. Mitten unter den Zulüftungen zur Vermählung werd ich
durch einen Expressen nach Hof zitirt — man nahm mir den Degen ab, warf
mich ins Gefängnis — endlich erschien der erste Minister des Hofes, wünschte
mir zur Entdeckung meiner Unschuld Glück. Jetzt im Triumphe nach meinem
Schloß, in die Arme meiner Amalia zu fliegen — sie war verschwunden. —
Man hatte ihr die Wahl gelassen, ob sie mich lieber sterben sehen oder die
Mätresse des Fürsten werden wollte." Kein Zweifel — dergleichen Geschichten
hat sich die Jugend der Karlsschule manchmal ins Ohr geflüstert. Denn
mochten immerhin die Zöglinge noch strenger als durch Klostermauern von der
Welt abgeschlossen sein, sie waren doch von überall her aus dem Lande Württem¬
berg, aus Deutschland und selbst aus fremden Ländern in der Anstalt zusammen¬
gekommen, und was draußen geschah, was fürstliche Lüstlinge sich einem ge¬
knechteten Volke gegenüber erlaubten, das wurde dort wiedererzählt und mußte
in der stillen Abgeschiedenheit auf jugendliche Gemüter einen nur umso tiefern
Eindruck machen. „Kabale und Liebe" ist ganz erfüllt von dem erwachten
Selbstbewußtsein und dem gereizten Sittlichkeitsgefühl des Bürgertums. In
diesem Geiste, ja bisweilen in diesem Tone schreibt der Abbe Sieyes von den
Privilegirten, wenn er in seiner Broschüre: „Was ist der dritte Stand?" das
Programm ausgiebt für die Revolution. Wenn Luise Millerin mit Rousscauschcr
Schwärmerei einer bessern Welt gedenkt, wo „die Schranken des Unterschiedes
einstürzen, von uns abspringen all die verhaßten Hülsen des Standes, Menschen
nur Menschen sind," so erinnert wiederum Schiller ganz an den Hohn eines
Beaumarchais, wo er den Hofmarschall von Kalb sein entsetzliches Unglück
schildern läßt: „Von Bock und ich — wir kriechen durch den ganzen Nedouten-
saal, das Strumpfband zu suchen — endlich erblick ichs — von Bock merkts —
von Bock darauf zu, reißt es mir aus den Händen — ich bitte Sie! bringts
der Prinzessin und schnappt mir glücklich das Kompliment weg — ich meine
in Ohnmacht zu sinken." Das ist der Hofadel, dem gegenüber der von wahrem
Gefühl beseelte, einfach menschlich denkende Ferdinand sein stolzes Recht als
Mann in die Worte kleidet: „Laß doch sehen, ob mein Wappen giltiger ist
als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: dieses Weib ist für diesen
Mann?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/485>, abgerufen am 01.09.2024.