Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aarlsschnle und Schillers Jugendtraum.

sichtslvsigkeit und Versündigung am Geiste der Jugend zu reden sein möchte,
welche darin bestand, daß der Herzog die Gräfin Franziska, so lange sie noch
seine Mätresse war, in die Schule mitbrachte und so ein über die Sitte sich
schleierlos hinwegsetzendes Verhältnis immer wieder dem Nachdenken der Un¬
mündigen in den Weg rückte. Die ganze Einrichtung und Leitung der Schule
war aber darauf angelegt, Karl als den Gott und die Reichsgräfin als die
Göttin in dieser Schöpfung erscheinen zu lassen. Die Vorstellung, welche Karl
Eugen hatte von dem Abstände zwischen seiner Person und der nichtfürstlichen
Menschheit, war eine groteske Parodie des Dünkels der französischen Ludwige.
Knechtische Unterwürfigkeit und plumpe Schmeicheleien, in denen der Geschmack
römischen Cäsarenwahnsinns vielleicht Ironie gewittert hätte, das waren die
Huldigungen, die Herzog Karl für sich und seine Geliebte von der Jugend seiner
Anstalt verlangte. Daß nebenbei über den Rangunterschied unter den Zöglingen
selbst sorgfältig gewacht wurde, versteht sich von selbst. Nach der Versailler
Ansicht von der Menschheit war ja allerdings neben den König gestellt der
Adel nichts, aber ganz und gar nichts neben dem Adel der Bürgerstand. In
Karl Eugens Akademie waren die Zöglinge nach dem Range ihrer Eltern in
Klassen geschieden; durch Abzeichen wie durch Behandlung wurden Kavaliere,
Honoratiorensöhne, Offizicrssöhne und Bürgerliche an die Ungleichheit des
Standes erinnert. Beim Baden im Teiche der solitude sprangen die An¬
kleben von der einen, die Bürgerlichen von der andern Seite des Dammes ins
Wasser!

Wie viel Schiller für seine Kenntnis der alten Sprachen in der Militär¬
akademie gewonnen hat, läßt sich schwer bestimmen, da die Einrichtung der
Schule nicht gestattet, auch an der Hand eines sehr umfänglichen Aktenmaterials
den Gang eines einzelnen Zöglings durch feststehende Klassen mit bestimmtem
Pensum hindurch zu verfolgen. Daß Schiller ein Kollegium über Virgil be¬
sucht, ebenso daß er den Sallust lateinisch gelesen hat, ist bezeugt. Dagegen
hat er die Bekanntschaft desjenigen Schriftstellers des Altertums, der auf seine
Entwicklung den größten Einfluß übte, des Plutarch, nur in der Übersetzung
gemacht. Was aber den Geist Plutarchs betrifft, so verstand keiner, der den
Schriftsteller griechisch zu lesen vermochte, den tiefern Sinn dieser geschichtlichen
Darstellungen so zu erfassen wie Schiller. An den Helden des Plutarch richtete
sich Schillers eigner heldenhafter Sinn empor, wie seine dichterische Anlage zu
höherm Fluge emporgetragen wurde durch den Schwung des Klopstockscher Geistes.
Eine Fülle poetischer Anregung strömte dem Jüngling aus Goethes "Werther"
zu, und den in ihm schlummernden Sinn für dramatische Wirkung weckte die
Bekanntschaft mit dem Titanen Shakespeare. Am unmittelbarsten entscheidend
aber für Schillers ganze Stellung zu den Kulturfragen, wie den sozialen und
Politischen Fragen, die ihn umgaben, zeigt sich die Einwirkung der Ideen Jean
Jacques Roussenus. Dieses Anstürmen gegen die Autorität des Herkommens, gegen


Die Aarlsschnle und Schillers Jugendtraum.

sichtslvsigkeit und Versündigung am Geiste der Jugend zu reden sein möchte,
welche darin bestand, daß der Herzog die Gräfin Franziska, so lange sie noch
seine Mätresse war, in die Schule mitbrachte und so ein über die Sitte sich
schleierlos hinwegsetzendes Verhältnis immer wieder dem Nachdenken der Un¬
mündigen in den Weg rückte. Die ganze Einrichtung und Leitung der Schule
war aber darauf angelegt, Karl als den Gott und die Reichsgräfin als die
Göttin in dieser Schöpfung erscheinen zu lassen. Die Vorstellung, welche Karl
Eugen hatte von dem Abstände zwischen seiner Person und der nichtfürstlichen
Menschheit, war eine groteske Parodie des Dünkels der französischen Ludwige.
Knechtische Unterwürfigkeit und plumpe Schmeicheleien, in denen der Geschmack
römischen Cäsarenwahnsinns vielleicht Ironie gewittert hätte, das waren die
Huldigungen, die Herzog Karl für sich und seine Geliebte von der Jugend seiner
Anstalt verlangte. Daß nebenbei über den Rangunterschied unter den Zöglingen
selbst sorgfältig gewacht wurde, versteht sich von selbst. Nach der Versailler
Ansicht von der Menschheit war ja allerdings neben den König gestellt der
Adel nichts, aber ganz und gar nichts neben dem Adel der Bürgerstand. In
Karl Eugens Akademie waren die Zöglinge nach dem Range ihrer Eltern in
Klassen geschieden; durch Abzeichen wie durch Behandlung wurden Kavaliere,
Honoratiorensöhne, Offizicrssöhne und Bürgerliche an die Ungleichheit des
Standes erinnert. Beim Baden im Teiche der solitude sprangen die An¬
kleben von der einen, die Bürgerlichen von der andern Seite des Dammes ins
Wasser!

Wie viel Schiller für seine Kenntnis der alten Sprachen in der Militär¬
akademie gewonnen hat, läßt sich schwer bestimmen, da die Einrichtung der
Schule nicht gestattet, auch an der Hand eines sehr umfänglichen Aktenmaterials
den Gang eines einzelnen Zöglings durch feststehende Klassen mit bestimmtem
Pensum hindurch zu verfolgen. Daß Schiller ein Kollegium über Virgil be¬
sucht, ebenso daß er den Sallust lateinisch gelesen hat, ist bezeugt. Dagegen
hat er die Bekanntschaft desjenigen Schriftstellers des Altertums, der auf seine
Entwicklung den größten Einfluß übte, des Plutarch, nur in der Übersetzung
gemacht. Was aber den Geist Plutarchs betrifft, so verstand keiner, der den
Schriftsteller griechisch zu lesen vermochte, den tiefern Sinn dieser geschichtlichen
Darstellungen so zu erfassen wie Schiller. An den Helden des Plutarch richtete
sich Schillers eigner heldenhafter Sinn empor, wie seine dichterische Anlage zu
höherm Fluge emporgetragen wurde durch den Schwung des Klopstockscher Geistes.
Eine Fülle poetischer Anregung strömte dem Jüngling aus Goethes „Werther"
zu, und den in ihm schlummernden Sinn für dramatische Wirkung weckte die
Bekanntschaft mit dem Titanen Shakespeare. Am unmittelbarsten entscheidend
aber für Schillers ganze Stellung zu den Kulturfragen, wie den sozialen und
Politischen Fragen, die ihn umgaben, zeigt sich die Einwirkung der Ideen Jean
Jacques Roussenus. Dieses Anstürmen gegen die Autorität des Herkommens, gegen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203260"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aarlsschnle und Schillers Jugendtraum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1516" prev="#ID_1515"> sichtslvsigkeit und Versündigung am Geiste der Jugend zu reden sein möchte,<lb/>
welche darin bestand, daß der Herzog die Gräfin Franziska, so lange sie noch<lb/>
seine Mätresse war, in die Schule mitbrachte und so ein über die Sitte sich<lb/>
schleierlos hinwegsetzendes Verhältnis immer wieder dem Nachdenken der Un¬<lb/>
mündigen in den Weg rückte. Die ganze Einrichtung und Leitung der Schule<lb/>
war aber darauf angelegt, Karl als den Gott und die Reichsgräfin als die<lb/>
Göttin in dieser Schöpfung erscheinen zu lassen. Die Vorstellung, welche Karl<lb/>
Eugen hatte von dem Abstände zwischen seiner Person und der nichtfürstlichen<lb/>
Menschheit, war eine groteske Parodie des Dünkels der französischen Ludwige.<lb/>
Knechtische Unterwürfigkeit und plumpe Schmeicheleien, in denen der Geschmack<lb/>
römischen Cäsarenwahnsinns vielleicht Ironie gewittert hätte, das waren die<lb/>
Huldigungen, die Herzog Karl für sich und seine Geliebte von der Jugend seiner<lb/>
Anstalt verlangte. Daß nebenbei über den Rangunterschied unter den Zöglingen<lb/>
selbst sorgfältig gewacht wurde, versteht sich von selbst. Nach der Versailler<lb/>
Ansicht von der Menschheit war ja allerdings neben den König gestellt der<lb/>
Adel nichts, aber ganz und gar nichts neben dem Adel der Bürgerstand. In<lb/>
Karl Eugens Akademie waren die Zöglinge nach dem Range ihrer Eltern in<lb/>
Klassen geschieden; durch Abzeichen wie durch Behandlung wurden Kavaliere,<lb/>
Honoratiorensöhne, Offizicrssöhne und Bürgerliche an die Ungleichheit des<lb/>
Standes erinnert. Beim Baden im Teiche der solitude sprangen die An¬<lb/>
kleben von der einen, die Bürgerlichen von der andern Seite des Dammes ins<lb/>
Wasser!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1517" next="#ID_1518"> Wie viel Schiller für seine Kenntnis der alten Sprachen in der Militär¬<lb/>
akademie gewonnen hat, läßt sich schwer bestimmen, da die Einrichtung der<lb/>
Schule nicht gestattet, auch an der Hand eines sehr umfänglichen Aktenmaterials<lb/>
den Gang eines einzelnen Zöglings durch feststehende Klassen mit bestimmtem<lb/>
Pensum hindurch zu verfolgen. Daß Schiller ein Kollegium über Virgil be¬<lb/>
sucht, ebenso daß er den Sallust lateinisch gelesen hat, ist bezeugt. Dagegen<lb/>
hat er die Bekanntschaft desjenigen Schriftstellers des Altertums, der auf seine<lb/>
Entwicklung den größten Einfluß übte, des Plutarch, nur in der Übersetzung<lb/>
gemacht. Was aber den Geist Plutarchs betrifft, so verstand keiner, der den<lb/>
Schriftsteller griechisch zu lesen vermochte, den tiefern Sinn dieser geschichtlichen<lb/>
Darstellungen so zu erfassen wie Schiller. An den Helden des Plutarch richtete<lb/>
sich Schillers eigner heldenhafter Sinn empor, wie seine dichterische Anlage zu<lb/>
höherm Fluge emporgetragen wurde durch den Schwung des Klopstockscher Geistes.<lb/>
Eine Fülle poetischer Anregung strömte dem Jüngling aus Goethes &#x201E;Werther"<lb/>
zu, und den in ihm schlummernden Sinn für dramatische Wirkung weckte die<lb/>
Bekanntschaft mit dem Titanen Shakespeare. Am unmittelbarsten entscheidend<lb/>
aber für Schillers ganze Stellung zu den Kulturfragen, wie den sozialen und<lb/>
Politischen Fragen, die ihn umgaben, zeigt sich die Einwirkung der Ideen Jean<lb/>
Jacques Roussenus. Dieses Anstürmen gegen die Autorität des Herkommens, gegen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Die Aarlsschnle und Schillers Jugendtraum. sichtslvsigkeit und Versündigung am Geiste der Jugend zu reden sein möchte, welche darin bestand, daß der Herzog die Gräfin Franziska, so lange sie noch seine Mätresse war, in die Schule mitbrachte und so ein über die Sitte sich schleierlos hinwegsetzendes Verhältnis immer wieder dem Nachdenken der Un¬ mündigen in den Weg rückte. Die ganze Einrichtung und Leitung der Schule war aber darauf angelegt, Karl als den Gott und die Reichsgräfin als die Göttin in dieser Schöpfung erscheinen zu lassen. Die Vorstellung, welche Karl Eugen hatte von dem Abstände zwischen seiner Person und der nichtfürstlichen Menschheit, war eine groteske Parodie des Dünkels der französischen Ludwige. Knechtische Unterwürfigkeit und plumpe Schmeicheleien, in denen der Geschmack römischen Cäsarenwahnsinns vielleicht Ironie gewittert hätte, das waren die Huldigungen, die Herzog Karl für sich und seine Geliebte von der Jugend seiner Anstalt verlangte. Daß nebenbei über den Rangunterschied unter den Zöglingen selbst sorgfältig gewacht wurde, versteht sich von selbst. Nach der Versailler Ansicht von der Menschheit war ja allerdings neben den König gestellt der Adel nichts, aber ganz und gar nichts neben dem Adel der Bürgerstand. In Karl Eugens Akademie waren die Zöglinge nach dem Range ihrer Eltern in Klassen geschieden; durch Abzeichen wie durch Behandlung wurden Kavaliere, Honoratiorensöhne, Offizicrssöhne und Bürgerliche an die Ungleichheit des Standes erinnert. Beim Baden im Teiche der solitude sprangen die An¬ kleben von der einen, die Bürgerlichen von der andern Seite des Dammes ins Wasser! Wie viel Schiller für seine Kenntnis der alten Sprachen in der Militär¬ akademie gewonnen hat, läßt sich schwer bestimmen, da die Einrichtung der Schule nicht gestattet, auch an der Hand eines sehr umfänglichen Aktenmaterials den Gang eines einzelnen Zöglings durch feststehende Klassen mit bestimmtem Pensum hindurch zu verfolgen. Daß Schiller ein Kollegium über Virgil be¬ sucht, ebenso daß er den Sallust lateinisch gelesen hat, ist bezeugt. Dagegen hat er die Bekanntschaft desjenigen Schriftstellers des Altertums, der auf seine Entwicklung den größten Einfluß übte, des Plutarch, nur in der Übersetzung gemacht. Was aber den Geist Plutarchs betrifft, so verstand keiner, der den Schriftsteller griechisch zu lesen vermochte, den tiefern Sinn dieser geschichtlichen Darstellungen so zu erfassen wie Schiller. An den Helden des Plutarch richtete sich Schillers eigner heldenhafter Sinn empor, wie seine dichterische Anlage zu höherm Fluge emporgetragen wurde durch den Schwung des Klopstockscher Geistes. Eine Fülle poetischer Anregung strömte dem Jüngling aus Goethes „Werther" zu, und den in ihm schlummernden Sinn für dramatische Wirkung weckte die Bekanntschaft mit dem Titanen Shakespeare. Am unmittelbarsten entscheidend aber für Schillers ganze Stellung zu den Kulturfragen, wie den sozialen und Politischen Fragen, die ihn umgaben, zeigt sich die Einwirkung der Ideen Jean Jacques Roussenus. Dieses Anstürmen gegen die Autorität des Herkommens, gegen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/483>, abgerufen am 01.09.2024.