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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Karlsschule und Schillers Ingenddrcunon.

Mechanische und Beengende wälscher Erziehungsweise für deutschgeartete Jung'
kluge noch empfindlicher zu machen. Die allgemeine Stellung Karls zu den
Bildungsfragen der Zeit charakterisirt sich zunächst dadurch, daß in der Militär¬
akademie der Unterricht im Deutschen erst ganz vernachlässigt, später nur sehr
stiefmütterlich berücksichtigt wurde, deutsche Litteratur ganz ausgeschlossen war. Für
Poesie, überhaupt für denjenigen Teil der Kunst, der nichts in die Sinne
fallendes bot, also weder Prunksucht noch sinnlichen Kitzel befriedigte, mangelte
dem Herzog jegliches Verständnis. In der Akademie waren Architekten, Bild-
hauer, Maler und Musiker mit Gärtnerburschen, Ballettänzern und "künftigen
Bedienten" sämtlich in demselben Fach zusammen geworfen. Ein geschickter
Perrückcnmacherlehrling galt dem Herzog als talentvoller "Künstler" und wurde
bon ihm ausgezeichnet. Natürlich nur in der Weise, die der ganzen zu
kavaliermäßiger Behandlung nicht zugelassenen Abteilung zukam. Daß ein junger
Mann aus guter Familie Neigung haben sollte, den Pinsel zu führen, wurde
von dem Fürsten, der für Dekorationen Millionen verschwendete, als ein
Zeichen niedriger Gesinnung angesehen. Daher er den später berühmt ge¬
wordenen Eberhard Wächter mit den Worten anfuhr: "Was, Er, ein Ne-
gierungsratssohn, schämt sich nicht, Maler werden zu wollen?" Ganz auf der¬
selben Stufe, wie seine Auffassung der Kunst, stand die Ansicht Serenissimi von
der Sittlichkeit und der Heranbildung zu deren Bethätigung. Wie hätte auch
dieser französisch zugestutzte Despot eine Ahnung davon haben sollen, daß Sittlich¬
keit ein innerstes Vermögen der Seele sei, das seinen kategorischen Imperativ
i" sich selber trägt! begreifen sollen, daß für die Entwicklung des Charakters
wie des Geistes die Lebenslust der Freiheit ein unentbehrliches Element ist!
Eine gewisse militärische Disziplin und Ordnung war gewiß unentbehrlich, wo
drei- bis vierhundert junge Leute zusammen leben und arbeiten sollte". Aber
die Karlsschule ging hierin über jedes vernünftige Maß hinaus. Die frühere
Soldatenspielerei des Herzogs wurde auf die Schule übertragen; die Disziplin
verfolgte weniger einen Erzichungszweck, als daß sie die Handhabe bot, einer¬
seits mit der Akademie Parade zu machen, anderseits die ihr angehörigen in
einer die gesamte Lebensordnung durchdringenden Abhängigkeit zu erhalten.
Einförmiger Mechanismus beherrschte die ganze Hausordnung. Charlotte von
Lengefeld, die auf einer Reise in die Schweiz im Jahre 1783 die Akademie
besuchte, ohne zu ahnen, wie viel Interesse deren Räume für sie haben sollten,
bemerkt in ihr Tagebuch: "Die Einrichtung der Akademie ist sehr hübsch. Aber
es macht einen besondern Eindruck aufs freie Menschenherz, die jungen Leute
beim Essen zu sehen. Jede ihrer Bewegungen hängt von dem Winke des Auf¬
sehers ab. Es wird einem nicht wohl zu Mute, Menschen wie Drahtpuppen
behandelt zu sehen."

Geradezu empörend, nicht bloß nach unsern heutigen Begriffe", war in
manchen Fülle" die Znmessuiig von Strafen und die Art und Weise, wie sie


Grcnzbote" II. 1888. gy
Die Karlsschule und Schillers Ingenddrcunon.

Mechanische und Beengende wälscher Erziehungsweise für deutschgeartete Jung'
kluge noch empfindlicher zu machen. Die allgemeine Stellung Karls zu den
Bildungsfragen der Zeit charakterisirt sich zunächst dadurch, daß in der Militär¬
akademie der Unterricht im Deutschen erst ganz vernachlässigt, später nur sehr
stiefmütterlich berücksichtigt wurde, deutsche Litteratur ganz ausgeschlossen war. Für
Poesie, überhaupt für denjenigen Teil der Kunst, der nichts in die Sinne
fallendes bot, also weder Prunksucht noch sinnlichen Kitzel befriedigte, mangelte
dem Herzog jegliches Verständnis. In der Akademie waren Architekten, Bild-
hauer, Maler und Musiker mit Gärtnerburschen, Ballettänzern und „künftigen
Bedienten" sämtlich in demselben Fach zusammen geworfen. Ein geschickter
Perrückcnmacherlehrling galt dem Herzog als talentvoller „Künstler" und wurde
bon ihm ausgezeichnet. Natürlich nur in der Weise, die der ganzen zu
kavaliermäßiger Behandlung nicht zugelassenen Abteilung zukam. Daß ein junger
Mann aus guter Familie Neigung haben sollte, den Pinsel zu führen, wurde
von dem Fürsten, der für Dekorationen Millionen verschwendete, als ein
Zeichen niedriger Gesinnung angesehen. Daher er den später berühmt ge¬
wordenen Eberhard Wächter mit den Worten anfuhr: „Was, Er, ein Ne-
gierungsratssohn, schämt sich nicht, Maler werden zu wollen?" Ganz auf der¬
selben Stufe, wie seine Auffassung der Kunst, stand die Ansicht Serenissimi von
der Sittlichkeit und der Heranbildung zu deren Bethätigung. Wie hätte auch
dieser französisch zugestutzte Despot eine Ahnung davon haben sollen, daß Sittlich¬
keit ein innerstes Vermögen der Seele sei, das seinen kategorischen Imperativ
i» sich selber trägt! begreifen sollen, daß für die Entwicklung des Charakters
wie des Geistes die Lebenslust der Freiheit ein unentbehrliches Element ist!
Eine gewisse militärische Disziplin und Ordnung war gewiß unentbehrlich, wo
drei- bis vierhundert junge Leute zusammen leben und arbeiten sollte». Aber
die Karlsschule ging hierin über jedes vernünftige Maß hinaus. Die frühere
Soldatenspielerei des Herzogs wurde auf die Schule übertragen; die Disziplin
verfolgte weniger einen Erzichungszweck, als daß sie die Handhabe bot, einer¬
seits mit der Akademie Parade zu machen, anderseits die ihr angehörigen in
einer die gesamte Lebensordnung durchdringenden Abhängigkeit zu erhalten.
Einförmiger Mechanismus beherrschte die ganze Hausordnung. Charlotte von
Lengefeld, die auf einer Reise in die Schweiz im Jahre 1783 die Akademie
besuchte, ohne zu ahnen, wie viel Interesse deren Räume für sie haben sollten,
bemerkt in ihr Tagebuch: „Die Einrichtung der Akademie ist sehr hübsch. Aber
es macht einen besondern Eindruck aufs freie Menschenherz, die jungen Leute
beim Essen zu sehen. Jede ihrer Bewegungen hängt von dem Winke des Auf¬
sehers ab. Es wird einem nicht wohl zu Mute, Menschen wie Drahtpuppen
behandelt zu sehen."

Geradezu empörend, nicht bloß nach unsern heutigen Begriffe», war in
manchen Fülle» die Znmessuiig von Strafen und die Art und Weise, wie sie


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[0481] Die Karlsschule und Schillers Ingenddrcunon. Mechanische und Beengende wälscher Erziehungsweise für deutschgeartete Jung' kluge noch empfindlicher zu machen. Die allgemeine Stellung Karls zu den Bildungsfragen der Zeit charakterisirt sich zunächst dadurch, daß in der Militär¬ akademie der Unterricht im Deutschen erst ganz vernachlässigt, später nur sehr stiefmütterlich berücksichtigt wurde, deutsche Litteratur ganz ausgeschlossen war. Für Poesie, überhaupt für denjenigen Teil der Kunst, der nichts in die Sinne fallendes bot, also weder Prunksucht noch sinnlichen Kitzel befriedigte, mangelte dem Herzog jegliches Verständnis. In der Akademie waren Architekten, Bild- hauer, Maler und Musiker mit Gärtnerburschen, Ballettänzern und „künftigen Bedienten" sämtlich in demselben Fach zusammen geworfen. Ein geschickter Perrückcnmacherlehrling galt dem Herzog als talentvoller „Künstler" und wurde bon ihm ausgezeichnet. Natürlich nur in der Weise, die der ganzen zu kavaliermäßiger Behandlung nicht zugelassenen Abteilung zukam. Daß ein junger Mann aus guter Familie Neigung haben sollte, den Pinsel zu führen, wurde von dem Fürsten, der für Dekorationen Millionen verschwendete, als ein Zeichen niedriger Gesinnung angesehen. Daher er den später berühmt ge¬ wordenen Eberhard Wächter mit den Worten anfuhr: „Was, Er, ein Ne- gierungsratssohn, schämt sich nicht, Maler werden zu wollen?" Ganz auf der¬ selben Stufe, wie seine Auffassung der Kunst, stand die Ansicht Serenissimi von der Sittlichkeit und der Heranbildung zu deren Bethätigung. Wie hätte auch dieser französisch zugestutzte Despot eine Ahnung davon haben sollen, daß Sittlich¬ keit ein innerstes Vermögen der Seele sei, das seinen kategorischen Imperativ i» sich selber trägt! begreifen sollen, daß für die Entwicklung des Charakters wie des Geistes die Lebenslust der Freiheit ein unentbehrliches Element ist! Eine gewisse militärische Disziplin und Ordnung war gewiß unentbehrlich, wo drei- bis vierhundert junge Leute zusammen leben und arbeiten sollte». Aber die Karlsschule ging hierin über jedes vernünftige Maß hinaus. Die frühere Soldatenspielerei des Herzogs wurde auf die Schule übertragen; die Disziplin verfolgte weniger einen Erzichungszweck, als daß sie die Handhabe bot, einer¬ seits mit der Akademie Parade zu machen, anderseits die ihr angehörigen in einer die gesamte Lebensordnung durchdringenden Abhängigkeit zu erhalten. Einförmiger Mechanismus beherrschte die ganze Hausordnung. Charlotte von Lengefeld, die auf einer Reise in die Schweiz im Jahre 1783 die Akademie besuchte, ohne zu ahnen, wie viel Interesse deren Räume für sie haben sollten, bemerkt in ihr Tagebuch: „Die Einrichtung der Akademie ist sehr hübsch. Aber es macht einen besondern Eindruck aufs freie Menschenherz, die jungen Leute beim Essen zu sehen. Jede ihrer Bewegungen hängt von dem Winke des Auf¬ sehers ab. Es wird einem nicht wohl zu Mute, Menschen wie Drahtpuppen behandelt zu sehen." Geradezu empörend, nicht bloß nach unsern heutigen Begriffe», war in manchen Fülle» die Znmessuiig von Strafen und die Art und Weise, wie sie Grcnzbote» II. 1888. gy

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/481>, abgerufen am 01.09.2024.