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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen.

in kunstgerecht bearbeiteten und zur Verschiffung fertig sortirten Nutzhölzern
wiederfindet.

Bei solchem Reichtum an Bauholz in unmittelbarster Nähe ist es einer
Privatgesellschaft freilich kaum zu verdenken, wenn sie nach dem nächsten und
billigsten Baumaterial greift, und man darf nicht vergessen, daß Privatbahnen
in erster Linie mit ihren eignen Interessen rechnen, also eine lohnende Verzin¬
sung des Anlagekapitals als Grundbedingung voraussetzen. Wollte man eine
nach unsern Begriffen solide Bauart verlangen, so würde in vielen Fällen der
Bau unterbleiben, was oft, und nicht bloß vom wirtschaftlichen Standpunkte
aus, zu beklagen wäre. So hat man z. B. der erst vor wenigen Jahren er¬
öffneten Northern-Pacificbahn nicht nur eine neue Verbindungsstraße zwischen
den beiden Weltmeeren, sondern u. ni. auch die Aufschließung des Aellowstone
Park zu verdanken, vielleicht des merkwürdigsten Fleckens unsrer Erde, dessen
tausendfach vulkanische Erscheinungen das menschliche Gemüt mit heiligem Schauer
vor dem gewaltigen Wirken der ewigen Naturkräfte erfüllen.

Auf den Hauptlinien des Ostens findet man die provisorischen Holzbauten
allerdings nur noch selten; sie sind dort schon seit Jahren durch massive Bauten
ersetzt, deren Großartigkeit, Sicherheit und Schönheit Bewunderung abnötigen
und den Ruhm amerikanischer Baukunst in alle Lande getragen haben; wir brauchen
nur an die Meeresbrücke zwischen Newyork und Brooklyn, an die Hängebrücke
über den Niagara und an die Mississippibrücke in Se. Louis zu erinnern. Auch
überschreitet man die Gebirgskämme, welche die Wasserscheide zwischen den beiden
Weltmeeren bilden, auf Bahnen, die an Kühnheit des Baues den europäischen
Alpenbahnen kaum nachstehen und den Reisenden bis zu der Höhe von 11000 Fuß
überm Meeresspiegel in solchen Steigungen hinaufführen, daß der Zug nur in
kleinern Teilen von je drei Wagen mit einer Lokomotive vorwärtskeucht. Die
Landschaft läßt sich dagegen auch nicht im entferntesten mit derjenigen der euro¬
päischen Bahnen vergleichen und bietet wenig Abwechslung.

Schließlich noch ein Wort darüber, wie es mit der viel gerühmten Billig¬
keit und Schnelligkeit der amerikanischen Eisenbahnen bestellt ist. In dieser Be¬
ziehung sind die Verhältnisse in den einzelnen Staaten und auf den einzelnen
Linien sehr verschieden. In den Neu-England- und Mittelstaaten der Union
legt man stündlich 30 bis 40 englische Meilen für 2 bis 3 Cents die Meile
zurück, in den Süd- und Pacificstaaten dagegen nur 20 bis 30 Meilen zu
3 bis 6 Cents. Für die gewöhnlichen Expreßzüge läßt sich eine mittlere Ge¬
schwindigkeit von 331/" Meilen zu 3^ Cents 1 Dollar oder 54 Kilometern
zu 7^2 Pfennig 4 Mark für die Stunde annehmen. Diese Zahlen decken sich
aber nahezu mit den Durchschnittsziffern unsrer Schnellzuge, und selbst wenn
der geringere Wert des Geldes in Amerika in Betracht zu ziehen ist, wonach
der dortige Thaler oder Dollar, trotz seines Kurswertes von etwa vier Mark,
höchstens unserm Thaler gleichkommt, so dürfte dieser Preisunterschied durch die


Amerikanisches Eisenbahnwesen.

in kunstgerecht bearbeiteten und zur Verschiffung fertig sortirten Nutzhölzern
wiederfindet.

Bei solchem Reichtum an Bauholz in unmittelbarster Nähe ist es einer
Privatgesellschaft freilich kaum zu verdenken, wenn sie nach dem nächsten und
billigsten Baumaterial greift, und man darf nicht vergessen, daß Privatbahnen
in erster Linie mit ihren eignen Interessen rechnen, also eine lohnende Verzin¬
sung des Anlagekapitals als Grundbedingung voraussetzen. Wollte man eine
nach unsern Begriffen solide Bauart verlangen, so würde in vielen Fällen der
Bau unterbleiben, was oft, und nicht bloß vom wirtschaftlichen Standpunkte
aus, zu beklagen wäre. So hat man z. B. der erst vor wenigen Jahren er¬
öffneten Northern-Pacificbahn nicht nur eine neue Verbindungsstraße zwischen
den beiden Weltmeeren, sondern u. ni. auch die Aufschließung des Aellowstone
Park zu verdanken, vielleicht des merkwürdigsten Fleckens unsrer Erde, dessen
tausendfach vulkanische Erscheinungen das menschliche Gemüt mit heiligem Schauer
vor dem gewaltigen Wirken der ewigen Naturkräfte erfüllen.

Auf den Hauptlinien des Ostens findet man die provisorischen Holzbauten
allerdings nur noch selten; sie sind dort schon seit Jahren durch massive Bauten
ersetzt, deren Großartigkeit, Sicherheit und Schönheit Bewunderung abnötigen
und den Ruhm amerikanischer Baukunst in alle Lande getragen haben; wir brauchen
nur an die Meeresbrücke zwischen Newyork und Brooklyn, an die Hängebrücke
über den Niagara und an die Mississippibrücke in Se. Louis zu erinnern. Auch
überschreitet man die Gebirgskämme, welche die Wasserscheide zwischen den beiden
Weltmeeren bilden, auf Bahnen, die an Kühnheit des Baues den europäischen
Alpenbahnen kaum nachstehen und den Reisenden bis zu der Höhe von 11000 Fuß
überm Meeresspiegel in solchen Steigungen hinaufführen, daß der Zug nur in
kleinern Teilen von je drei Wagen mit einer Lokomotive vorwärtskeucht. Die
Landschaft läßt sich dagegen auch nicht im entferntesten mit derjenigen der euro¬
päischen Bahnen vergleichen und bietet wenig Abwechslung.

Schließlich noch ein Wort darüber, wie es mit der viel gerühmten Billig¬
keit und Schnelligkeit der amerikanischen Eisenbahnen bestellt ist. In dieser Be¬
ziehung sind die Verhältnisse in den einzelnen Staaten und auf den einzelnen
Linien sehr verschieden. In den Neu-England- und Mittelstaaten der Union
legt man stündlich 30 bis 40 englische Meilen für 2 bis 3 Cents die Meile
zurück, in den Süd- und Pacificstaaten dagegen nur 20 bis 30 Meilen zu
3 bis 6 Cents. Für die gewöhnlichen Expreßzüge läßt sich eine mittlere Ge¬
schwindigkeit von 331/» Meilen zu 3^ Cents 1 Dollar oder 54 Kilometern
zu 7^2 Pfennig 4 Mark für die Stunde annehmen. Diese Zahlen decken sich
aber nahezu mit den Durchschnittsziffern unsrer Schnellzuge, und selbst wenn
der geringere Wert des Geldes in Amerika in Betracht zu ziehen ist, wonach
der dortige Thaler oder Dollar, trotz seines Kurswertes von etwa vier Mark,
höchstens unserm Thaler gleichkommt, so dürfte dieser Preisunterschied durch die


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[0474] Amerikanisches Eisenbahnwesen. in kunstgerecht bearbeiteten und zur Verschiffung fertig sortirten Nutzhölzern wiederfindet. Bei solchem Reichtum an Bauholz in unmittelbarster Nähe ist es einer Privatgesellschaft freilich kaum zu verdenken, wenn sie nach dem nächsten und billigsten Baumaterial greift, und man darf nicht vergessen, daß Privatbahnen in erster Linie mit ihren eignen Interessen rechnen, also eine lohnende Verzin¬ sung des Anlagekapitals als Grundbedingung voraussetzen. Wollte man eine nach unsern Begriffen solide Bauart verlangen, so würde in vielen Fällen der Bau unterbleiben, was oft, und nicht bloß vom wirtschaftlichen Standpunkte aus, zu beklagen wäre. So hat man z. B. der erst vor wenigen Jahren er¬ öffneten Northern-Pacificbahn nicht nur eine neue Verbindungsstraße zwischen den beiden Weltmeeren, sondern u. ni. auch die Aufschließung des Aellowstone Park zu verdanken, vielleicht des merkwürdigsten Fleckens unsrer Erde, dessen tausendfach vulkanische Erscheinungen das menschliche Gemüt mit heiligem Schauer vor dem gewaltigen Wirken der ewigen Naturkräfte erfüllen. Auf den Hauptlinien des Ostens findet man die provisorischen Holzbauten allerdings nur noch selten; sie sind dort schon seit Jahren durch massive Bauten ersetzt, deren Großartigkeit, Sicherheit und Schönheit Bewunderung abnötigen und den Ruhm amerikanischer Baukunst in alle Lande getragen haben; wir brauchen nur an die Meeresbrücke zwischen Newyork und Brooklyn, an die Hängebrücke über den Niagara und an die Mississippibrücke in Se. Louis zu erinnern. Auch überschreitet man die Gebirgskämme, welche die Wasserscheide zwischen den beiden Weltmeeren bilden, auf Bahnen, die an Kühnheit des Baues den europäischen Alpenbahnen kaum nachstehen und den Reisenden bis zu der Höhe von 11000 Fuß überm Meeresspiegel in solchen Steigungen hinaufführen, daß der Zug nur in kleinern Teilen von je drei Wagen mit einer Lokomotive vorwärtskeucht. Die Landschaft läßt sich dagegen auch nicht im entferntesten mit derjenigen der euro¬ päischen Bahnen vergleichen und bietet wenig Abwechslung. Schließlich noch ein Wort darüber, wie es mit der viel gerühmten Billig¬ keit und Schnelligkeit der amerikanischen Eisenbahnen bestellt ist. In dieser Be¬ ziehung sind die Verhältnisse in den einzelnen Staaten und auf den einzelnen Linien sehr verschieden. In den Neu-England- und Mittelstaaten der Union legt man stündlich 30 bis 40 englische Meilen für 2 bis 3 Cents die Meile zurück, in den Süd- und Pacificstaaten dagegen nur 20 bis 30 Meilen zu 3 bis 6 Cents. Für die gewöhnlichen Expreßzüge läßt sich eine mittlere Ge¬ schwindigkeit von 331/» Meilen zu 3^ Cents 1 Dollar oder 54 Kilometern zu 7^2 Pfennig 4 Mark für die Stunde annehmen. Diese Zahlen decken sich aber nahezu mit den Durchschnittsziffern unsrer Schnellzuge, und selbst wenn der geringere Wert des Geldes in Amerika in Betracht zu ziehen ist, wonach der dortige Thaler oder Dollar, trotz seines Kurswertes von etwa vier Mark, höchstens unserm Thaler gleichkommt, so dürfte dieser Preisunterschied durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/474>, abgerufen am 27.07.2024.