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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Er suchte sich ihr Bild zurückzurufen, so wie sie auf dem Sofa geruht
und mit ihm gesprochen hatte, aber es kam nicht; er sah sie die Allee entlang
gehen, sah sie sitzen und lesen, den Hut auf dem Kopfe, eins der großen,
weißen Blätter des Buches zwischen ihren behandschuhten Fingern haltend, ge¬
rade im Begriff, es umzuwenden, und dann weiter und weiter blätternd; er
sah sie in ihren Wagen steigen am Abend nach dem Theater, sie winkte ihm
hinter den Fensterscheiben zu, und dann fuhr der Wagen davon, und er stand
da und schaute ihm nach, wie er weiter und weiter fuhr; gleichgiltige Gesichter
kamen und redeten ihn an; Gestalten, die er seit Jahren nicht gesehen hatte,
gingen die Straße hinab, wendeten sich um und schauten ihm nach; und immer
weiter fuhr der Wagen, ohne Unterlaß, er konnte sich nicht frei machen von
dem Wagen, konnte vor dem Wagen an keine andern Bilder denken. Da ge¬
rade, als er völlig erregt war vor Ungeduld, da kam es: das gelbe Licht, die
Augen, der Mund, die Hand unter dem Kinn, so deutlich, als befände es sich
gerade vor ihm im Dunkeln.

Wie war sie doch schön, wie mild, wie rein! Er liebte sie in knieender
Inbrunst, er warb zu ihren Füßen um all diese bezaubernde Schönheit. Stürze
dich herab von deinem Throne und komm zu mir! Mache dich zu meiner
Sklavin, lege dir selber die Sklavenketten um den Hals, aber nicht zum Scherze,
ich will an der Kette rütteln, es soll Gehorsam sein in deinen Gliedern, Unter¬
würfigkeit in deinem Blicke! O könnte ich mich mit einem Liebestrank herab¬
beugen zu dir; nein, kein Liebestrank, denn der würde dich zwingen, und du
würdest dem Zwange willenlos gehorchen, aber ich allein will dein Herr sein,
und ich würde deinen Willen hinnehmen, der vernichtet in deinen demütig aus¬
gestreckten Händen liegt. Du solltest meine Königin sein und ich dein Sklave,
aber mein Sklavenfuß würde auf deinem stolzen königlichen Nacken stehen; es
ist kein Wahnsinn, was ich begehre, denn darin besteht ja die Frauenliebe, stolz
zu sein und stark und doch sich zu beugen, ich weiß es, das ist Liebe, schwach
zu sein und zu herrschen!

Er fühlte es, daß dasjenige in ihrer Seele, was Seele für das Glühend-
Sinnliche ihrer Schönheit war, sich niemals zu ihm hingezogen fühlen würde,
ihn nimmermehr mit diesen blendenden Junoarmen umschlingen, ihm niemals
liebesschwach diesen schimmernden Nacken zum Kusse hingeben würde. Er wußte
es wohl, das junge Mädchen in ihr konnte er gewinnen, hatte er wohl schon
gewonnen, und sie, die Üppige, dessen war er sicher, sie hatte gefühlt, wie die
frühe Schönheit, die in ihr erstorben war, sich mystisch in ihrem Grabe gerührt
hatte, um ihn mit schlanken Jungfrauenarmen zu umfangen, ihm mit zagen
Jungfrauenlippen zu begegnen. Aber seine Liebe war nicht von der Art. Er
liebte nur das, was nicht zu gewinnen war, liebte gerade diesen Nacken mit
seinem warmen Blütenschnee und dem Schimmer von tauigen Golde unter dem
dunkeln Haare. Er schluchzte vor Liebesweh und rang seine Hände in sehnender


Ricks Lyhne.

Er suchte sich ihr Bild zurückzurufen, so wie sie auf dem Sofa geruht
und mit ihm gesprochen hatte, aber es kam nicht; er sah sie die Allee entlang
gehen, sah sie sitzen und lesen, den Hut auf dem Kopfe, eins der großen,
weißen Blätter des Buches zwischen ihren behandschuhten Fingern haltend, ge¬
rade im Begriff, es umzuwenden, und dann weiter und weiter blätternd; er
sah sie in ihren Wagen steigen am Abend nach dem Theater, sie winkte ihm
hinter den Fensterscheiben zu, und dann fuhr der Wagen davon, und er stand
da und schaute ihm nach, wie er weiter und weiter fuhr; gleichgiltige Gesichter
kamen und redeten ihn an; Gestalten, die er seit Jahren nicht gesehen hatte,
gingen die Straße hinab, wendeten sich um und schauten ihm nach; und immer
weiter fuhr der Wagen, ohne Unterlaß, er konnte sich nicht frei machen von
dem Wagen, konnte vor dem Wagen an keine andern Bilder denken. Da ge¬
rade, als er völlig erregt war vor Ungeduld, da kam es: das gelbe Licht, die
Augen, der Mund, die Hand unter dem Kinn, so deutlich, als befände es sich
gerade vor ihm im Dunkeln.

Wie war sie doch schön, wie mild, wie rein! Er liebte sie in knieender
Inbrunst, er warb zu ihren Füßen um all diese bezaubernde Schönheit. Stürze
dich herab von deinem Throne und komm zu mir! Mache dich zu meiner
Sklavin, lege dir selber die Sklavenketten um den Hals, aber nicht zum Scherze,
ich will an der Kette rütteln, es soll Gehorsam sein in deinen Gliedern, Unter¬
würfigkeit in deinem Blicke! O könnte ich mich mit einem Liebestrank herab¬
beugen zu dir; nein, kein Liebestrank, denn der würde dich zwingen, und du
würdest dem Zwange willenlos gehorchen, aber ich allein will dein Herr sein,
und ich würde deinen Willen hinnehmen, der vernichtet in deinen demütig aus¬
gestreckten Händen liegt. Du solltest meine Königin sein und ich dein Sklave,
aber mein Sklavenfuß würde auf deinem stolzen königlichen Nacken stehen; es
ist kein Wahnsinn, was ich begehre, denn darin besteht ja die Frauenliebe, stolz
zu sein und stark und doch sich zu beugen, ich weiß es, das ist Liebe, schwach
zu sein und zu herrschen!

Er fühlte es, daß dasjenige in ihrer Seele, was Seele für das Glühend-
Sinnliche ihrer Schönheit war, sich niemals zu ihm hingezogen fühlen würde,
ihn nimmermehr mit diesen blendenden Junoarmen umschlingen, ihm niemals
liebesschwach diesen schimmernden Nacken zum Kusse hingeben würde. Er wußte
es wohl, das junge Mädchen in ihr konnte er gewinnen, hatte er wohl schon
gewonnen, und sie, die Üppige, dessen war er sicher, sie hatte gefühlt, wie die
frühe Schönheit, die in ihr erstorben war, sich mystisch in ihrem Grabe gerührt
hatte, um ihn mit schlanken Jungfrauenarmen zu umfangen, ihm mit zagen
Jungfrauenlippen zu begegnen. Aber seine Liebe war nicht von der Art. Er
liebte nur das, was nicht zu gewinnen war, liebte gerade diesen Nacken mit
seinem warmen Blütenschnee und dem Schimmer von tauigen Golde unter dem
dunkeln Haare. Er schluchzte vor Liebesweh und rang seine Hände in sehnender


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[0450] Ricks Lyhne. Er suchte sich ihr Bild zurückzurufen, so wie sie auf dem Sofa geruht und mit ihm gesprochen hatte, aber es kam nicht; er sah sie die Allee entlang gehen, sah sie sitzen und lesen, den Hut auf dem Kopfe, eins der großen, weißen Blätter des Buches zwischen ihren behandschuhten Fingern haltend, ge¬ rade im Begriff, es umzuwenden, und dann weiter und weiter blätternd; er sah sie in ihren Wagen steigen am Abend nach dem Theater, sie winkte ihm hinter den Fensterscheiben zu, und dann fuhr der Wagen davon, und er stand da und schaute ihm nach, wie er weiter und weiter fuhr; gleichgiltige Gesichter kamen und redeten ihn an; Gestalten, die er seit Jahren nicht gesehen hatte, gingen die Straße hinab, wendeten sich um und schauten ihm nach; und immer weiter fuhr der Wagen, ohne Unterlaß, er konnte sich nicht frei machen von dem Wagen, konnte vor dem Wagen an keine andern Bilder denken. Da ge¬ rade, als er völlig erregt war vor Ungeduld, da kam es: das gelbe Licht, die Augen, der Mund, die Hand unter dem Kinn, so deutlich, als befände es sich gerade vor ihm im Dunkeln. Wie war sie doch schön, wie mild, wie rein! Er liebte sie in knieender Inbrunst, er warb zu ihren Füßen um all diese bezaubernde Schönheit. Stürze dich herab von deinem Throne und komm zu mir! Mache dich zu meiner Sklavin, lege dir selber die Sklavenketten um den Hals, aber nicht zum Scherze, ich will an der Kette rütteln, es soll Gehorsam sein in deinen Gliedern, Unter¬ würfigkeit in deinem Blicke! O könnte ich mich mit einem Liebestrank herab¬ beugen zu dir; nein, kein Liebestrank, denn der würde dich zwingen, und du würdest dem Zwange willenlos gehorchen, aber ich allein will dein Herr sein, und ich würde deinen Willen hinnehmen, der vernichtet in deinen demütig aus¬ gestreckten Händen liegt. Du solltest meine Königin sein und ich dein Sklave, aber mein Sklavenfuß würde auf deinem stolzen königlichen Nacken stehen; es ist kein Wahnsinn, was ich begehre, denn darin besteht ja die Frauenliebe, stolz zu sein und stark und doch sich zu beugen, ich weiß es, das ist Liebe, schwach zu sein und zu herrschen! Er fühlte es, daß dasjenige in ihrer Seele, was Seele für das Glühend- Sinnliche ihrer Schönheit war, sich niemals zu ihm hingezogen fühlen würde, ihn nimmermehr mit diesen blendenden Junoarmen umschlingen, ihm niemals liebesschwach diesen schimmernden Nacken zum Kusse hingeben würde. Er wußte es wohl, das junge Mädchen in ihr konnte er gewinnen, hatte er wohl schon gewonnen, und sie, die Üppige, dessen war er sicher, sie hatte gefühlt, wie die frühe Schönheit, die in ihr erstorben war, sich mystisch in ihrem Grabe gerührt hatte, um ihn mit schlanken Jungfrauenarmen zu umfangen, ihm mit zagen Jungfrauenlippen zu begegnen. Aber seine Liebe war nicht von der Art. Er liebte nur das, was nicht zu gewinnen war, liebte gerade diesen Nacken mit seinem warmen Blütenschnee und dem Schimmer von tauigen Golde unter dem dunkeln Haare. Er schluchzte vor Liebesweh und rang seine Hände in sehnender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/450>, abgerufen am 01.09.2024.