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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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ünderung rin ihm vorgegangen, und mit dem unklaren Bewußtsein, als schulde
er es dieser Veränderung, seine Handschuhe zuzuknöpfen, und zwar sorgfältig.

Zu erregt von seinen Gedanken, um schlafen zu können, ging er auf den
Wall hinauf. Es schien ihm, als denke er so merkwürdig ruhig, er wunderte
sich über die Stille in ihm, aber er glaubte eigentlich nicht so recht daran, es
war ihm, als siete es ganz leise, aber unaufhörlich in seinem Innern, als sprudle
und gähre und walte es, aber weit, weit fort. Ihm war zu Mute, als warte
er auf irgend etwas, das aus der Ferne kommen müsse, eine entfernte Musik,
die sich nähern müsse, nach und nach, tönend, sausend, schäumend, brausend, die
sich dröhnend über ihn ergießen müsse, ihn ergreife", ohne daß er wußte wie,
ihn forttragen, ohne daß er wußte wohin, kommend wie die Flut, kämpfend wie
die Brandung, und dann --. Aber noch war er ruhig' nur dies bebende
Singen in der Ferne, sonst war alles Friede und Klarheit.

Er liebte, er sagte es sich selber laut, daß er liebe. Unzählige male. Es
lag ein so wunderbarer Klang in den Worten, und sie bedeuteten so viel. Sie
bedeuteten, daß er kein Gefangener aller jener phantastischen Kindheitseinflüsse
wehr sei, daß er nicht länger der Spielball ziellosen Sehnens, nebelhafter
Träume, daß er diesem Elfenlande entflohen sei, das mit ihm ausgewachsen war,
das ihn rin hundert Armen umschlungen, ihm die Augen mit hundert Händen
zugehalten hatte. Er hatte sich losgerissen aus der Macht derselben, und streckte
es jetzt auch die Hände nach ihm aus, flehte es ihn auch mit stummem Blicke
an, winkte es ihm auch mit seinen weißen Gewändern, seine Herrschaft war nun
einmal tot, ein vom Tage getöteter Traum, ein von der Sonne zerstreuter
Nebel. Denn war seine junge Liebe nicht der Tag und die Sonne und die
ganze Welt? Und war er nicht bisher einherstolzirt in einem purpurnen Feier¬
kleide, das nicht gesponnen war, und mächtig gewesen auf einem Throne, der
nicht errichtet war? Jetzt aber, jetzt stand er auf einem hohen Berge und
schaute hinaus über die weiten Ebenen der Welt, einer sangesdurstigen Welt,
in der er nicht vorhanden war, in der man ihn nicht ahnte, ihn nicht er¬
wartete. Es war ein jubelnder Gedanke, zu denken, daß kein Hauch seines Atems
w dieser ganzen weiten, wachenden Unendlichkeit ein Blatt bewegt oder eine
Welle gekräuselt hatte. Alles das zu gewinnen, stand ihm noch bevor. Und
er wußte, daß er es konnte, er fühlte sich siegesgewiß und stark, wie es nur
der kann, dessen Lieder ungesungen und schwellend in seiner Brust ruhen.

Die laue Frühlingsluft war voller Düfte, nicht so gesättigt, wie es eine
Sommernacht sein kann, sondern gleichsam gestreift von dem würzigen Balsam¬
hauche junger Pappeln, von dem lustigen Atem später Veilchen und dem süßen
Dufte der blühenden Syringen, und das alles kam und vermischte sich, ging
und trennte sich und löste sich zuletzt langsam in der Nachtluft auf. Und wie
Schatten von dem launenhaften Spiel des Duftes zogen luftige Stimmungen
durch sein Inneres.


Grenzboten U. 1388. S<Z

ünderung rin ihm vorgegangen, und mit dem unklaren Bewußtsein, als schulde
er es dieser Veränderung, seine Handschuhe zuzuknöpfen, und zwar sorgfältig.

Zu erregt von seinen Gedanken, um schlafen zu können, ging er auf den
Wall hinauf. Es schien ihm, als denke er so merkwürdig ruhig, er wunderte
sich über die Stille in ihm, aber er glaubte eigentlich nicht so recht daran, es
war ihm, als siete es ganz leise, aber unaufhörlich in seinem Innern, als sprudle
und gähre und walte es, aber weit, weit fort. Ihm war zu Mute, als warte
er auf irgend etwas, das aus der Ferne kommen müsse, eine entfernte Musik,
die sich nähern müsse, nach und nach, tönend, sausend, schäumend, brausend, die
sich dröhnend über ihn ergießen müsse, ihn ergreife«, ohne daß er wußte wie,
ihn forttragen, ohne daß er wußte wohin, kommend wie die Flut, kämpfend wie
die Brandung, und dann —. Aber noch war er ruhig' nur dies bebende
Singen in der Ferne, sonst war alles Friede und Klarheit.

Er liebte, er sagte es sich selber laut, daß er liebe. Unzählige male. Es
lag ein so wunderbarer Klang in den Worten, und sie bedeuteten so viel. Sie
bedeuteten, daß er kein Gefangener aller jener phantastischen Kindheitseinflüsse
wehr sei, daß er nicht länger der Spielball ziellosen Sehnens, nebelhafter
Träume, daß er diesem Elfenlande entflohen sei, das mit ihm ausgewachsen war,
das ihn rin hundert Armen umschlungen, ihm die Augen mit hundert Händen
zugehalten hatte. Er hatte sich losgerissen aus der Macht derselben, und streckte
es jetzt auch die Hände nach ihm aus, flehte es ihn auch mit stummem Blicke
an, winkte es ihm auch mit seinen weißen Gewändern, seine Herrschaft war nun
einmal tot, ein vom Tage getöteter Traum, ein von der Sonne zerstreuter
Nebel. Denn war seine junge Liebe nicht der Tag und die Sonne und die
ganze Welt? Und war er nicht bisher einherstolzirt in einem purpurnen Feier¬
kleide, das nicht gesponnen war, und mächtig gewesen auf einem Throne, der
nicht errichtet war? Jetzt aber, jetzt stand er auf einem hohen Berge und
schaute hinaus über die weiten Ebenen der Welt, einer sangesdurstigen Welt,
in der er nicht vorhanden war, in der man ihn nicht ahnte, ihn nicht er¬
wartete. Es war ein jubelnder Gedanke, zu denken, daß kein Hauch seines Atems
w dieser ganzen weiten, wachenden Unendlichkeit ein Blatt bewegt oder eine
Welle gekräuselt hatte. Alles das zu gewinnen, stand ihm noch bevor. Und
er wußte, daß er es konnte, er fühlte sich siegesgewiß und stark, wie es nur
der kann, dessen Lieder ungesungen und schwellend in seiner Brust ruhen.

Die laue Frühlingsluft war voller Düfte, nicht so gesättigt, wie es eine
Sommernacht sein kann, sondern gleichsam gestreift von dem würzigen Balsam¬
hauche junger Pappeln, von dem lustigen Atem später Veilchen und dem süßen
Dufte der blühenden Syringen, und das alles kam und vermischte sich, ging
und trennte sich und löste sich zuletzt langsam in der Nachtluft auf. Und wie
Schatten von dem launenhaften Spiel des Duftes zogen luftige Stimmungen
durch sein Inneres.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/449>, abgerufen am 01.09.2024.