Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

Theodor Wiesen; von ihren vier Kindern starben zwei Söhne 1856 und 1870;
eine Tochter und ein Sohn leben noch. Von den Nachkommen des Sohnes
des Schultheißen verschied Anna Maria, die treue Pflegerin der Kinder ihres
Bruders, am 27. Oktober 1862; zwei Monate später (am 29. Dezember) starb
ihr zehn Jahre jüngerer Bruder, Johann David, als österreichischer Major in
Lemberg, vermählt mit Helene Czarnecka, die ihn noch drei Jahre überlebte.
Von den neun Kindern des Handelsmanns von Bist heirateten drei Töchter
und ein Sohn. Die Nachkommen der Kinder des Pfarrers Stnrck und des
Majors Schuler sind mir nicht genau bekannt. Melbers Sohn erwarb sich
ans der Hochschule in Heidelberg im Jahre 1838 die medizinische Doktorwürde
mit der Abhandlung: Os in<zäullli.ö Spinells kretliisNio, trat 1839 in Frank¬
furt als Arzt auf. ward 1851 Physikus. Zu früh, am 4. Januar 1873, entriß
ihn der Tod seiner erfolgreichen Thätigkeit; seiner Gattin, Maria geb. Wecker,
hinterließ er zwei Söhne, beide Kaufleute, von denen einer in Mexiko verheiratet
ist, der andre, Walter Wolfgang, in Frankfurt lebt, und eine Tochter.

Das alte Appelsche Erbbegräbnis, in welchem die Textor seit dem Schult¬
heißen und die Familien Goethe, Schuler und von Bist beigesetzt wurde", ist am
25. Mai 1883 gebührend erneuert worden. Lange Zeit wurde als Grabstätte
von Goethes Mutter eine etwa achtzig Fuß davon entfernte an derselben
Mauer des Petrikirchhofes betrachtet; der Irrtum war durch eine neue Nnm-
merirung veranlaßt.

Als Charakterzug des Textorischen Geschlechtes ergiebt sich uns das
ernste Streben nach zweckbewußter Wirksamkeit, die nicht allein das eigne Fort¬
kommen, sondern auch das Wohl des Staates sich vorsetzt. Freilich sind es nur
kleine Staaten, denen die Textor ihre Thätigkeit widmeten, aber umso vollkräftiger
traten sie für dieselbe" ein, wenn sie ihnen auch keine neue Richtung zu geben,
nicht die eingerissene Entartung aufzuhalten vermochten. Den Glanzpunkt des
Geschlechts bildet Goethes Großvater; es fehlt nicht an zeitweiligen Nach¬
lassen der Kraft, wie wir es bei dessen Vater erkennen, der sich dem Staats¬
dienste entzieht lind sich auf die Gründung eignen Wohlstandes beschränkt, anch
bei dessen Sohne Johann Jost nicht ganz leugnen können. Nur wenige des
Geschlechts wählten die Soldatenlaufbahn, die in Frankfurt sehr bescheidene
Aussichten bot. Auch dem Predigerstande und der ärztlichen Thätigkeit widmete
sich keiner. Religiöse Duldung finde" wir mehrfach ausgesprochen, und wie
Goethe, so war auch sein Großvater kein Freund der Ärzte, wie wenig sie auch
die Notwendigkeit derselben leugnen konnten. Die akademische Thätigkeit war
für den spätern Frankfurter Syndikus nur ein Durchgang, und der einzige, der
nach ihr sie versuchte, verunglückte dabei, wohl weil ihm die Gabe wissenschaftlichen
Eindringens abging. Im Ghmnasialfache war nur ein Bruder des Syndikus
thätig. Von dichterischer Begabung des Geschlechts kann die Lokalpvsse des
spätern Privatdozenten kein vollwichtiges Zeugnis sein, wenn dieser auch als


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

Theodor Wiesen; von ihren vier Kindern starben zwei Söhne 1856 und 1870;
eine Tochter und ein Sohn leben noch. Von den Nachkommen des Sohnes
des Schultheißen verschied Anna Maria, die treue Pflegerin der Kinder ihres
Bruders, am 27. Oktober 1862; zwei Monate später (am 29. Dezember) starb
ihr zehn Jahre jüngerer Bruder, Johann David, als österreichischer Major in
Lemberg, vermählt mit Helene Czarnecka, die ihn noch drei Jahre überlebte.
Von den neun Kindern des Handelsmanns von Bist heirateten drei Töchter
und ein Sohn. Die Nachkommen der Kinder des Pfarrers Stnrck und des
Majors Schuler sind mir nicht genau bekannt. Melbers Sohn erwarb sich
ans der Hochschule in Heidelberg im Jahre 1838 die medizinische Doktorwürde
mit der Abhandlung: Os in<zäullli.ö Spinells kretliisNio, trat 1839 in Frank¬
furt als Arzt auf. ward 1851 Physikus. Zu früh, am 4. Januar 1873, entriß
ihn der Tod seiner erfolgreichen Thätigkeit; seiner Gattin, Maria geb. Wecker,
hinterließ er zwei Söhne, beide Kaufleute, von denen einer in Mexiko verheiratet
ist, der andre, Walter Wolfgang, in Frankfurt lebt, und eine Tochter.

Das alte Appelsche Erbbegräbnis, in welchem die Textor seit dem Schult¬
heißen und die Familien Goethe, Schuler und von Bist beigesetzt wurde», ist am
25. Mai 1883 gebührend erneuert worden. Lange Zeit wurde als Grabstätte
von Goethes Mutter eine etwa achtzig Fuß davon entfernte an derselben
Mauer des Petrikirchhofes betrachtet; der Irrtum war durch eine neue Nnm-
merirung veranlaßt.

Als Charakterzug des Textorischen Geschlechtes ergiebt sich uns das
ernste Streben nach zweckbewußter Wirksamkeit, die nicht allein das eigne Fort¬
kommen, sondern auch das Wohl des Staates sich vorsetzt. Freilich sind es nur
kleine Staaten, denen die Textor ihre Thätigkeit widmeten, aber umso vollkräftiger
traten sie für dieselbe» ein, wenn sie ihnen auch keine neue Richtung zu geben,
nicht die eingerissene Entartung aufzuhalten vermochten. Den Glanzpunkt des
Geschlechts bildet Goethes Großvater; es fehlt nicht an zeitweiligen Nach¬
lassen der Kraft, wie wir es bei dessen Vater erkennen, der sich dem Staats¬
dienste entzieht lind sich auf die Gründung eignen Wohlstandes beschränkt, anch
bei dessen Sohne Johann Jost nicht ganz leugnen können. Nur wenige des
Geschlechts wählten die Soldatenlaufbahn, die in Frankfurt sehr bescheidene
Aussichten bot. Auch dem Predigerstande und der ärztlichen Thätigkeit widmete
sich keiner. Religiöse Duldung finde» wir mehrfach ausgesprochen, und wie
Goethe, so war auch sein Großvater kein Freund der Ärzte, wie wenig sie auch
die Notwendigkeit derselben leugnen konnten. Die akademische Thätigkeit war
für den spätern Frankfurter Syndikus nur ein Durchgang, und der einzige, der
nach ihr sie versuchte, verunglückte dabei, wohl weil ihm die Gabe wissenschaftlichen
Eindringens abging. Im Ghmnasialfache war nur ein Bruder des Syndikus
thätig. Von dichterischer Begabung des Geschlechts kann die Lokalpvsse des
spätern Privatdozenten kein vollwichtiges Zeugnis sein, wenn dieser auch als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203213"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> Theodor Wiesen; von ihren vier Kindern starben zwei Söhne 1856 und 1870;<lb/>
eine Tochter und ein Sohn leben noch. Von den Nachkommen des Sohnes<lb/>
des Schultheißen verschied Anna Maria, die treue Pflegerin der Kinder ihres<lb/>
Bruders, am 27. Oktober 1862; zwei Monate später (am 29. Dezember) starb<lb/>
ihr zehn Jahre jüngerer Bruder, Johann David, als österreichischer Major in<lb/>
Lemberg, vermählt mit Helene Czarnecka, die ihn noch drei Jahre überlebte.<lb/>
Von den neun Kindern des Handelsmanns von Bist heirateten drei Töchter<lb/>
und ein Sohn. Die Nachkommen der Kinder des Pfarrers Stnrck und des<lb/>
Majors Schuler sind mir nicht genau bekannt. Melbers Sohn erwarb sich<lb/>
ans der Hochschule in Heidelberg im Jahre 1838 die medizinische Doktorwürde<lb/>
mit der Abhandlung: Os in&lt;zäullli.ö Spinells kretliisNio, trat 1839 in Frank¬<lb/>
furt als Arzt auf. ward 1851 Physikus. Zu früh, am 4. Januar 1873, entriß<lb/>
ihn der Tod seiner erfolgreichen Thätigkeit; seiner Gattin, Maria geb. Wecker,<lb/>
hinterließ er zwei Söhne, beide Kaufleute, von denen einer in Mexiko verheiratet<lb/>
ist, der andre, Walter Wolfgang, in Frankfurt lebt, und eine Tochter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388"> Das alte Appelsche Erbbegräbnis, in welchem die Textor seit dem Schult¬<lb/>
heißen und die Familien Goethe, Schuler und von Bist beigesetzt wurde», ist am<lb/>
25. Mai 1883 gebührend erneuert worden. Lange Zeit wurde als Grabstätte<lb/>
von Goethes Mutter eine etwa achtzig Fuß davon entfernte an derselben<lb/>
Mauer des Petrikirchhofes betrachtet; der Irrtum war durch eine neue Nnm-<lb/>
merirung veranlaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Als Charakterzug des Textorischen Geschlechtes ergiebt sich uns das<lb/>
ernste Streben nach zweckbewußter Wirksamkeit, die nicht allein das eigne Fort¬<lb/>
kommen, sondern auch das Wohl des Staates sich vorsetzt. Freilich sind es nur<lb/>
kleine Staaten, denen die Textor ihre Thätigkeit widmeten, aber umso vollkräftiger<lb/>
traten sie für dieselbe» ein, wenn sie ihnen auch keine neue Richtung zu geben,<lb/>
nicht die eingerissene Entartung aufzuhalten vermochten. Den Glanzpunkt des<lb/>
Geschlechts bildet Goethes Großvater; es fehlt nicht an zeitweiligen Nach¬<lb/>
lassen der Kraft, wie wir es bei dessen Vater erkennen, der sich dem Staats¬<lb/>
dienste entzieht lind sich auf die Gründung eignen Wohlstandes beschränkt, anch<lb/>
bei dessen Sohne Johann Jost nicht ganz leugnen können. Nur wenige des<lb/>
Geschlechts wählten die Soldatenlaufbahn, die in Frankfurt sehr bescheidene<lb/>
Aussichten bot. Auch dem Predigerstande und der ärztlichen Thätigkeit widmete<lb/>
sich keiner. Religiöse Duldung finde» wir mehrfach ausgesprochen, und wie<lb/>
Goethe, so war auch sein Großvater kein Freund der Ärzte, wie wenig sie auch<lb/>
die Notwendigkeit derselben leugnen konnten. Die akademische Thätigkeit war<lb/>
für den spätern Frankfurter Syndikus nur ein Durchgang, und der einzige, der<lb/>
nach ihr sie versuchte, verunglückte dabei, wohl weil ihm die Gabe wissenschaftlichen<lb/>
Eindringens abging. Im Ghmnasialfache war nur ein Bruder des Syndikus<lb/>
thätig. Von dichterischer Begabung des Geschlechts kann die Lokalpvsse des<lb/>
spätern Privatdozenten kein vollwichtiges Zeugnis sein, wenn dieser auch als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum, Theodor Wiesen; von ihren vier Kindern starben zwei Söhne 1856 und 1870; eine Tochter und ein Sohn leben noch. Von den Nachkommen des Sohnes des Schultheißen verschied Anna Maria, die treue Pflegerin der Kinder ihres Bruders, am 27. Oktober 1862; zwei Monate später (am 29. Dezember) starb ihr zehn Jahre jüngerer Bruder, Johann David, als österreichischer Major in Lemberg, vermählt mit Helene Czarnecka, die ihn noch drei Jahre überlebte. Von den neun Kindern des Handelsmanns von Bist heirateten drei Töchter und ein Sohn. Die Nachkommen der Kinder des Pfarrers Stnrck und des Majors Schuler sind mir nicht genau bekannt. Melbers Sohn erwarb sich ans der Hochschule in Heidelberg im Jahre 1838 die medizinische Doktorwürde mit der Abhandlung: Os in<zäullli.ö Spinells kretliisNio, trat 1839 in Frank¬ furt als Arzt auf. ward 1851 Physikus. Zu früh, am 4. Januar 1873, entriß ihn der Tod seiner erfolgreichen Thätigkeit; seiner Gattin, Maria geb. Wecker, hinterließ er zwei Söhne, beide Kaufleute, von denen einer in Mexiko verheiratet ist, der andre, Walter Wolfgang, in Frankfurt lebt, und eine Tochter. Das alte Appelsche Erbbegräbnis, in welchem die Textor seit dem Schult¬ heißen und die Familien Goethe, Schuler und von Bist beigesetzt wurde», ist am 25. Mai 1883 gebührend erneuert worden. Lange Zeit wurde als Grabstätte von Goethes Mutter eine etwa achtzig Fuß davon entfernte an derselben Mauer des Petrikirchhofes betrachtet; der Irrtum war durch eine neue Nnm- merirung veranlaßt. Als Charakterzug des Textorischen Geschlechtes ergiebt sich uns das ernste Streben nach zweckbewußter Wirksamkeit, die nicht allein das eigne Fort¬ kommen, sondern auch das Wohl des Staates sich vorsetzt. Freilich sind es nur kleine Staaten, denen die Textor ihre Thätigkeit widmeten, aber umso vollkräftiger traten sie für dieselbe» ein, wenn sie ihnen auch keine neue Richtung zu geben, nicht die eingerissene Entartung aufzuhalten vermochten. Den Glanzpunkt des Geschlechts bildet Goethes Großvater; es fehlt nicht an zeitweiligen Nach¬ lassen der Kraft, wie wir es bei dessen Vater erkennen, der sich dem Staats¬ dienste entzieht lind sich auf die Gründung eignen Wohlstandes beschränkt, anch bei dessen Sohne Johann Jost nicht ganz leugnen können. Nur wenige des Geschlechts wählten die Soldatenlaufbahn, die in Frankfurt sehr bescheidene Aussichten bot. Auch dem Predigerstande und der ärztlichen Thätigkeit widmete sich keiner. Religiöse Duldung finde» wir mehrfach ausgesprochen, und wie Goethe, so war auch sein Großvater kein Freund der Ärzte, wie wenig sie auch die Notwendigkeit derselben leugnen konnten. Die akademische Thätigkeit war für den spätern Frankfurter Syndikus nur ein Durchgang, und der einzige, der nach ihr sie versuchte, verunglückte dabei, wohl weil ihm die Gabe wissenschaftlichen Eindringens abging. Im Ghmnasialfache war nur ein Bruder des Syndikus thätig. Von dichterischer Begabung des Geschlechts kann die Lokalpvsse des spätern Privatdozenten kein vollwichtiges Zeugnis sein, wenn dieser auch als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/436>, abgerufen am 28.07.2024.